von Margit van Ham
Nach fast zehn Jahren reisen wir erneut in die USA. Wir wollen amerikanische Freunde treffen und einen weiteren kleinen Teil des Riesenlandes kennenlernen. Die Route führt von Chicago nach Nebraska, der Heimat unserer Freunde, nach Kansas City, und dann per Auto über New York, wo ebenfalls Freunde leben, zu den Niagarafällen, nach Washington, Gettysburg und Philadelphia. Erste Eindrücke werden mit Erinnerung abgeglichen. Was sofort ins Auge fällt – die Anzahl der Flaggen vor den Häusern hat deutlich abgenommen. Dabei steht der Memorial Day, an dem man der zahlreichen Kriegstoten und Verwundeten gedenkt, vor der Tür. Die Preise übertreffen die unserer Erinnerung deutlich. Die Armut ist auch auf den Touristenpfaden von Chicago und Washington unübersehbar – und ist in der großen Mehrzahl schwarz geblieben.
Zugleich gibt es großartige neue Architektur zu sehen und Museen und Kunstsammlungen, die begeistern. Das Ensemble des 9/11-Memorial in New York mit dem One World Trade Center und Oculus, einem riesigen U-Bahnhof (mit Kaufhaus), der hinter dem Memorial seine Schwingen wie ein Vogel in die Luft hebt, muss hier einfach genannt werden. Zwei riesige quadratische Becken stehen an der Stelle des zerstörten World Trade Centers, in ihre Mitte sind zwei kleinere quadratische Becken eingelassen. Wasser fließt von den Seiten hinunter in den Abgrund. Ringsum sind die Namen der vielen Opfer eingraviert und weiße Rosen schmücken am Geburtstag ihre Namen. Was für eine Symbolik. Berührend und großartig. (Wo ist die großartige Architektur in Berlin, frage ich mich bei diesem Anblick.)
Auffällig ist die Politisierung der Menschen. Politik spielte bei vorherigen Besuchen eine eher kleine Rolle in Gesprächen. Jetzt wurden wir in Lincoln, Nebraska, in einer angesagten Bierkneipe mit den Worten „Wir haben Trump nicht gewählt!“ begrüßt. Die sechs versammelten Personen, Freunde unserer Gastgeber, gehören zur sogenannten Mittelschicht, sind inzwischen Rentner. Zwei von ihnen sind Republikaner. Man schämt sich, ist um das Ansehen des Landes besorgt, ratlos. Zu unserem Erstaunen ist es ein überzeugter Republikaner, der die Ablehnung Donald Trumps ausspricht. Er ist sich sicher dass es ein Impeachment-Verfahren innerhalb eines Jahres geben werde. Unser Gastgeber und langjähriger Freund ist auch bei den Republikanern eingetragen, aus wahltaktischen Gründen sagt er. Er hoffe, so bei Vorwahlen der Republikaner jeweils Schlimmeres zu verhindern. Er grinst dabei verlegen, weiß, dass das auch vorher nicht wirklich funktioniert hat. Seine Frau ist bei den Demokraten registriert. Hillary Clinton wäre die bessere Wahl gewesen, sagen sie und registrieren erstaunt unsere Äußerung, dass für uns eigentlich beide Kandidaten nicht wählbar waren. Ob man denn Trump-Anhänger kenne, fragen wir. Das schon, aber man spreche dieses Thema in der Nachbarschaft nicht an. Das könnte Probleme geben. In der direkten Nachbarschaft leben keine Armen. Die übliche Erklärung, dass Arme, Abgehängte der Gesellschaft Trump gewählt hätten, funktioniert hier also nicht.
Im Haus unserer Gastgeber werden uns jüngste Comedy-Sendungen von Stephen Colbert vorgeführt. Zum Thema Trump natürlich. Gut gemacht – mit dem Tenor „Trump ist dumm“. Eine Unterschätzung der bei Trump-Unterstützern erfolgreichen Strategie? Das Lachen mit Colbert ist aber auf jeden Fall hilfreicher als die Kampagne der sogenannten normalen Medien der USA.
Wir hatten zuvor bereits einige Tage Nachrichten von CNN bis CNBC gehört: Ein Thema – Trump und die Russen. Das Thema wird zum Dauerbrenner. Ein Schema – kurze Nachricht (oft eher Spekulation), danach Vorstellung der „Experten“, die die Nachricht bewerten, Werbepause, dann die Kommentare zu der „Nachricht“, natürlich jeweils von Werbung unterbrochen. Daneben noch ein paar Kriminalitäts- und Unwettermeldungen aus dem Land. Die Tonlage ist hysterisch, anders lässt sich das nicht beschreiben. Die Welt gibt es nicht oder nur im Zusammenhang mit Trump. Fast möchten mir die deutschen Medien als Hort der Seriosität erscheinen. Donald Trump selbst gibt mit der Entlassung von FBI-Chef Comey jeden Grund, die Stimmung weiter aufzuheizen. Die Medienkampagne aber ist in ihrer Hysterie fragwürdig, wirkt abstoßend. Trump-Anhänger ficht sie vermutlich nicht an. Die sehen Fox-TV. Dort findet man nun eine fast erholsame ruhige Tonlage – mit entgegengesetzten Wertungen. Vermutlich hat die Hysterie nach Obama die Seiten gewechselt.
„I like Merkel“, sagt eine Verkäuferin, als sie die Deutschen erkennt. Eine Museumsführerin äußert ihre Begeisterung für Merkel. Angela Merkel erscheint als der positive Gegenpol – auch in der Freundesgruppe. Unsere Erklärung, dass wir sie respektieren, aber ihre Politik ebenfalls für falsch halten, findet nicht viel Gegenliebe.
Drei Wochen in den USA – und Donald Trump bleibt unser heimlicher Begleiter – irgendwo läuft immer ein Fernseher. In einem Restaurant schlägt eine ältere Frau am Nachbartisch beschämt die Hände vor die Augen und schüttelt den Kopf. Im Fernsehen wird gerade gezeigt, wie Trump den Ministerpräsidenten Montenegros zur Seite schubst. Ihr Mann zuckt mit den Achseln und sagt, nicht schön, aber ansonsten habe Trump doch recht. Die Europäer sollten viel mehr zahlen…
In Philadelphia spricht uns Gwenda an. Sie sei ursprünglich aus New York und habe das Nummernschild des Leihwagens mit New Yorker Kennzeichen gesehen. Diese unkomplizierte Art vieler Amerikaner, ins Gespräch zu kommen, ist sehr sympathisch. Wir kommen schnell zu Donald Trump. Sie ist besonders empört über seinen Rassismus und die Frauenfeindlichkeit seiner Äußerungen, versteht nicht, wie man ihn habe wählen können. Das was er vorhabe, helfe doch auch den Armen überhaupt nicht. Im Gegenteil. Sie ist die Erste, die versucht, eine Erklärung dafür zu liefern, warum Obamacare so bekämpft wird, auch von ganz normalen Leuten. Bisher ernteten wir nur Achselzucken auf diese Frage. Oder einfach ein „Zu teuer“. Sie meint, dass viele denken, dass jeder für sich selbst verantwortlich sei und warum sollte man den Nichtstuern etwas schenken. Es sei auch ein Großteil Rassismus dabei. Der Glaube, jeder könne es schaffen, wenn er sich nur Mühe gebe, führt also auf der anderen Seite zu dem Phänomen, dass die Verweigerung von Krankenversicherungsleistungen für Millionen Menschen viele Unterstützer in der Gesellschaft hat.
Eher zufällig war „Exit Ghost“ des amerikanischen Autors Philip Roth in mein Gepäck geraten. Das Buch ist inzwischen zehn Jahre alt und hochaktuell. Roth beschreibt an einer Stelle die Verzweiflung einer jungen New Yorkerin nach der Wiederwahl von George W. Bush, ihre Erkenntnis, dass nicht liberale Großstädter den Kurs des Landes bestimmen. Roths Held Zuckerman denkt: „Es ist erstaunlich, wieviel wir verkraften. Ich dachte daran zu sagen: Wenn man in Amerika so denkt wie Sie, wird man in neun von zehn Fällen scheitern. Ich dachte daran zu sagen: Das ist schlimm, aber nicht so schlimm, wie am Morgen nach der Bombardierung von Pearl Harbor aufzuwachen. Es ist schlimm, aber nicht so schlimm, wie am Morgen nach Kennedys Ermordung aufzuwachen. Es ist schlimm, aber nicht so schlimm, wie am Morgen nach der Erschießung der Studenten an der Kent State University aufzuwachen. […]“ Ein Exit für Hysterie?
Schlagwörter: Margit van Ham, Obamacare, Philip Roth, Republikaner, Trump, USA