von Herbert Bertsch
„Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun“. So sah und definierte Steward Alsop, US-amerikanischer Journalist mit Geheimdienst-Einschlag die Funktion der Pressefreiheit. Er wusste allerdings schon, dass dies in der Praxis häufig gerade anders herum funktioniert.
Unser folgender Geschichtsbezug dazu ist legendär und wird wohl bei allen Journalistenschulen und in einschlägigen Lehrmaterialien exemplarisch verwendet, wenngleich möglicherweise selbst Legende; denn es fehlt der dokumentarische Nachweis des häufig zitierten „Telegrammaustauschs“. Deshalb und vorab: Ob tatsächlich so geschehen oder gut erfunden – auf beide Varianten ist das Bonmot „Das ist einfach zu gut, um nicht wahr zu sein.“ anwendbar.
Es geht um das Vorspiel zum Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898. Da gab es William Randolph Hearst, einen der reichsten Männer der Welt und, neben seinem ehemaligen Mentor Pulitzer, „Erfinder“ der Yellow Press als Quelle von Profit und Instrument der Meinungsmache vermittels echter oder aufgepuschter Nachrichten und deren Vermischung mit Kommentaren – also BILD vorweg genommen!.
Im Dezember 1896 engagierte Hearst den damals sehr erfolgreichen Western-Illustrator Frederic Sackrider Remington, dessen „Vor-Bild“ das Indianerbild ganzer Generationen auch in Europa prägte, um nach Havanna zu reisen und Bilder vom „Kriegsgeschehen“ zu liefern. Nach wenigen Tagen auf Cuba, noch im Januar 1897, kabelte Remington gelangweilt: „Everything is quiet. There is no trouble here. There will be no war. I wish to return.“ Hearsts Antwort: „Please remain. You furnish the picture, and I’ll furnish the war.” („Alles ist ruhig. Keine Unruhe hier. Es wird keinen Krieg geben. Ich komme zurück.“ Retour: „Bleiben und liefern Sie Bilder – den Krieg liefere ich.“) Offenbar nicht hochgelogen. Am 15. Februar 1898 explodierte im Hafen von Havanna das US-Kriegsschiff „Maine“, das entsandt worden war, um Druck auf Spanien auszuüben, aus „unbekannten Gründen“, was bei Hearst zur Schlagzeile gerann: „Remember the Maine, to hell with Spain“. Am 25. April 1898 erklärten die USA Spanien dann auch formal den Krieg, der per Vertrag von Paris am 10. Dezember 1898 mit Ergebnissen endete, die bereits damals voll den Anspruch „America first“ erfüllten: Landgewinn auch, vor allem aber die „Neuordnung“ bei den überseeischen Kolonien Spaniens sowie für die USA Zugang zu den asiatischen Märkten.
Nicht unverständlich, dass man sich solcher Vorgänge erinnert fühlte, als es in unserer Gegenwart mit dem Irak losging. Wer sich für Details interessiert, dem sei Tyler Drumheller empfohlen, ehemaliger CIA-Chef für Europa, speziell sein Buch „Wie das Weiße Haus die Welt belügt“. Im Umschlagtext heißt es: „Er schildert, wie trickreich und perfide Washington die Weltöffentlichkeit hinters Licht geführt hat – und welche zentrale Rolle der deutsche Bundesnachrichtendienst dabei spielte.“
Ach ja, wir Deutschen (jedenfalls bestimmte Deutsche), in der Meinungsmanipulation auch nicht ganz unbedarft, eher mehr als nur kongenial. Am 11. November 1938 berichtete der Völkische Beobachter: „Der Führer gab im Führerbau zu München einen Abendempfang für die deutsche Presse“, wobei dieser offenbarte: „Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen, und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann. Das heißt also, bestimmte Vorgänge so zu beleuchten, daß im Gehirn der breiten Masse des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde: Wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muß man es mit Gewalt abstellen; so kann es aber auf keinen Fall weitergehen. Diese Arbeit hat Monate erfordert, sie wurde planmäßig begonnen, planmäßig fortgeführt, verstärkt.“
Unterlassen wir weitere Beispiele für historische Erfahrungen mit der Pressefreiheit, ob nun aus privaten oder staatlichen Zentralen gesteuert. Doch nicht ganz ohne Nachfrage: Wie halten wir‘s denn mit der Religion? Was erleben und erfahren wir als Zeitgenossen an Aufgüssen und Neuerungen in dieser Branche?
Kleiner Ausschnitt aus dem eigenen Land. 1954 wurde in der BRD der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) gegründet, mit diesem „Leitbild für Zeitungen” als Programm:
„Die Zeitungen sind unabhängig.
Die Zeitungen liefern Qualität.
Die Zeitungen bewegen Demokratie.
Die Zeitungen sind ein Wirtschaftsfaktor.
Die Zeitungen bewegen den Alltag.
Die Zeitungen sind ein Zukunftslabor.“
Ein erhellendes Beispiel dafür, wie das in der Praxis funktioniert, entnehmen wir den „Essentials“ des Springer-Konzerns; diese zunächst – so heißt es mit unverhohlenem Stolz – von Springer selbst formuliert und nach 1989/90 in aktualisierter Fassung als Firmenphilosophie verpflichtend:
„Medienunternehmen tragen in einer Demokratie gesellschaftliche Verantwortung, weil sie die Meinungsbildung ihrer Leser, Hörer, Zuschauer, ihrer Nutzer prägen.
[…] Die Essentials […] leiten sich von der Zielstellung von Axel Springer ab, für die Freiheit einzustehen.
[…]
1. Wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und ein vereinigtes Europa.
2. Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel.
3. Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
4. Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein.
5. Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus ab.“
Auf der Homepage des Unternehmens, auf der dies nachzulesen ist, wird zugleich mitgeteilt: „Die […] Essentials wurden Teil der […] Verträge mit den Journalisten in Deutschland […].“
Eine Personalie im Kontext dessen für seinerzeitige Zeitgenossen und auch für Nachgeborene: Dr. Paul Sethe. Geboren am 12. Dezember 1901, gestorben am 21. Juni 1967 – fast genau 50 Jahre zurück. Zu Hitlers Geburtstag, immerhin schon zu dem in 1933, schrieb er, dieser sei jener, „auf den die besten unter uns lange gewartet haben“. Zunächst zivil-journalistisch tätig, dann Angehöriger einer Propagandakompanie der Waffen-SS, später wohl Freimaurer, zwischen 1949 und 1955 einer der fünf Herausgeber der FAZ. Dort ausgeschieden, weil Gegner der Außenpolitik Adenauers – also nicht guter „Europäer auf dem Weg nach Westen“. Aber wohl auch kein vorweg genommener Putin„versteher“. Im Frühjahr 1957 erschien in Meshdunarodnaja Shisn ein Beitrag von ihm, der in der Empfehlung gipfelte, die Sowjetunion möge doch den westdeutschen Standpunkt in der Wiedervereinigungsfrage verstehen und möglichst auch bedenken. Das war nicht so üblich; weder ein solcher Aufsatz noch zudem in dem staatsnahen Blatt. Bei Wikipedia, woher die Angaben stammen, lesen wir zusammengefasst: „Sethe gehörte zu den führenden Journalisten der Nachkriegsära. Seinen Berufsstand betrachtete er als das ‚Gewissen der Nation‘.“ Im Spiegel vom 5. Mai 1965 stand dieser Leserbrief von ihm: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, Ihre Meinung zu verbreiten.“ Zwar gebe es „Oasen, in denen noch die Luft der Freiheit weht. […] aber wie viele von meinen Kollegen können das von sich sagen?“ Und an die erwarteten empörten Kritiker gerichtet: „Das ist nicht von Karl Marx, sondern von Paul Sethe.“
Damit können wir es hier denn wohl auch belassen.
Schlagwörter: Hearst, Herbert Bertsch, Presse, Pressefreiheit, Springer