von Ulrich Scharfenorth
Es gibt eine Alternative zu den realsozialistischen Irrwegen und zum Kapitalismus, der uns in die Krise geführt hat. So der nüchterne und dabei zutiefst spannende Epilog des vorliegenden Buches. Christian Felber komme – so der (leider anonyme) Ausrufer – mit einem fundamentalen Neuansatz. Und tatsächlich: Das, was der Autor in seinem Buch anbietet, unterscheidet sich von den landläufigen Betrachtungen zu Wirtschaft und Finanzwesen signifikant. Weil es die traditionellen Triebfedern der „freien“ Marktwirtschaft – die Kombination aus Gewinnstreben und Konkurrenz – durch einen neuen „mehrheitsfähigen Leitstern“ mit den Grundwerten Vertrauensbildung, Kooperation, Solidarität und Teilen ablöst. Felber weiß, dass die Konkurrenz im derzeitigen Getriebe zu manch einer Leistung anspornt, ist sich aber genauso sicher, dass eben diese Konkurrenz einen ungemein größeren Schaden an der Gesellschaft und an den Beziehungen zwischen den Menschen anrichtet. Der so genannte “freie Markt“ sei nur für diejenigen frei, die sich schadlos aus jedem Tauschgeschäft zurückziehen könnten. Das treffe nur auf die Stärksten der Marktteilnehmer zu. Alle anderen blieben in den Schleppnetzen der Abhängigkeit.
Felber beschreibt sehr anschaulich, wohin uns der Kapitalismus bisher geführt hat. Seine Analyse filtert die zehn Krisen des Kapitalismus, die sich mit kurzen Schlagworten umreißen lassen: Konzentration und Missbrauch von Macht; Ausschaltung des Wettbewerbs und Kartellbildung; Standortkonkurrenz zu lokalen Kleinbetrieben; ineffiziente Preisbildung infolge manipulierter Marktmacht; soziale Polarisierung und Angst in einer sich öffnenden Schere zwischen arm und reich; Nichtbefriedigung von Grundbedürfnissen und Hunger; Umweltzerstörung; Sinnverlust; Werteverfall und Ausschaltung der Demokratie.
In einem System, das die Anhäufung materieller Werte zum nahezu einzigen Ziel habe, gerieten andere, weitaus wichtigere Werte (Beziehungs- und Umweltqualität, Zeitwohlstand, Kreativität, Autonomie und anderes mehr) unter die Räder. Und es sei offensichtlich, dass globale Unternehmen, Banken und Investmentfonds über Lobbying, Medienbesitz, Public Private Partnerships und Parteienfinanzierung Parlamente und Regierungen erfolgreich dazu bringen, ihren Partikularinteressen und nicht dem Gemeinwohl zu dienen. Die Demokratie werde so zum letzten und prominentesten Opfer der „freien Marktwirtschaft“.
Felber bringt Alternativen ins Spiel. Für ihn ist allein das Gemeinwohl Ziel allen Denkens und Handels. An ihm misst sich, was der Gesellschaft und dem Einzelnen nützt. Felber schafft neue Definitionen für unternehmerischen Erfolg, regt an, das Gemeinwohl als solches zu definieren, zu messen und eine Gemeinwohlbilanz aufzustellen. Sei dies geschehen, müsse jedes Bestreben, das Gemeinwohl zu mehren, belohnt werden. Das gelte gleichermaßen für Unternehmen, Organisationen, Einzelpersonen etc.
Was den konkreten Wandel angeht, so formuliert der Autor durchaus strikt. Unter anderem beschränkt er die Gewinnverwendung von Unternehmen, sieht Aktiengesellschaften und folglich die Gewinnausschüttung an Aktionäre total im Aus, schlägt einen Mindestlohn und attraktive Veränderungen im Arbeitsleben vor – so zum Beispiel vier Freijahre im Berufsleben. Er „gründet“ die so genannte „demokratische Bank“ – deren fast ausschließliche Aufgabe es ist, eine dem Gemeinwohl und der Nachhaltigkeit verpflichtete Realwirtschaft mit Geld auszustatten und hofft, dass das Ganze im Wechselspiel von Subsidiarität, Demokratie, Kontrolle und Transparenz gar wird. Und mehr noch. Felber fordert darüber hinaus, bestehende Regeln für Vermögen, Eigentum und Unternehmensgrößen zu ändern. Auch das bestehende Erbrecht soll radikal „umgestrickt“ und zu Gunsten einer „demokratischen Mitgift“ neu gestaltet werden. Große Bedeutung weist Felber der künftigen Erziehung und Bildung zu, wobei der Erwerb von sozialer und kommunikativer Kompetenz, Gefühlskunde, Wertekunde sowie Naturerfahrenskunde im Vordergrund stehen.
Scharf kritisiert der Autor das Gerangel um die EU-Verfassung. Hier habe man den Souverän (die Völkern) zu Gunsten von Wirtschaft und Finanzwelt schlicht ausgeklinkt. So etwas sei mit seinen Vorstellung zu direkter Demokratie (dabei Teilhabe aller Gruppierungen der Bevölkerung) und Gemeinwohl-Ökonomie nicht vereinbar.
Auch dazu, wie die von Felber konstruierte Welt realisiert werden soll, gibt es Hinweise. Der Autor spricht von breiter Diskussion über das Konzept, über den notwendigen persönlichen Einsatz derer, die verändern wollen, beschwört den Gemeinwohlkonvent, der dem allgemeinen Druck auf Parlament und Regierung folgend angesetzt werden müsse und schildert eine Einübungs- und Übergangsphase. Schließlich sei auch der Weg über die direkte Demokratie, also die Einberufung des Gemeinwohlkonvents auf Initiative und Druck allein der Bürgerbewegung – also ohne Dazutun von Regierung und Parlament – möglich, ja vielleicht sogar der bessere.
Die meisten von Felbers Ideen geraten angesichts des laufenden Finanz- und Wirtschaftswahnsinns in eine Art heilsbringerische Aura. Ja, möchte man rufen: Lasst uns unser Handeln am Gemeinwohl messen, lasst uns kooperieren statt konkurrieren, übt die direkte Demokratie, gebt dem Souverän (dem Volk), was des Souveräns ist und lebt die wirklichen Werte!
Doch es ist wie so oft in Zukunftsentwürfen: Obwohl der Zielzustand – zumindest in den Hauptachsen – gut definiert ist, ist der Weg dahin zu dünn ausgeleuchtet. Aber auch das Konstrukt an sich wirft Fragen auf. So möchte man doch wissen, wie die Zahlen zu Einkommen und Vermögen entstanden sind, ob Felber sein neues Wirtschaften tatsächlich ausreichend stimuliert hat, wo die „demokratische Mitgift“ überhaupt verwaltet und den Bürgern (allen oder doch nur den „vertrauenswürdigen“?) in die „Treuhand“ gedrückt werden soll.
Der Autor geht in seinem „Maßnahmeplan“ relativ weit. Doch auf eine der entscheidenden Fragen findet man keine Antwort: Wie bricht Felber den Widerstand seiner Gegner? Wie trennt er die derzeitigen „Weltwagenlenker“ von ihren Zügeln, sprich: von Macht und Vermögen? Kann es sein, dass er allein auf deren physische Vergänglichkeit und die strikte Durchsetzung seiner Erbrechtsreform setzt. Glaubt er wirklich, dass ein solcher Mechanismus bei alten Machtverhältnissen einfach so – von einer zur anderen Generation – durchsetzbar ist? Bisher vermochten nur Revolutionen das Oberste nach unten und das Untere nach oben zu kehren. Warum sollte das künftig anders sein? Felber meidet auch manche Begrifflichkeit. Die Weltreligionen, der Rheinische Kapitalismus, die öko-soziale Marktwirtschaft, der Kommunismus, ja selbst der demokratische Sozialismus kommen nicht vor bei ihm – folglich auch keinerlei Abgrenzungsversuche in diese wie jene Richtung.
Bleibt die Frage, wo und wie diese Kraft entsteht, die den Paradigmenwechsel quasi zwingend, wenn nicht zum Selbstläufer macht. In dem derzeit dominierenden Mix aus Konsum, Lifestyle, Desinteresse und Phlegma – meine ich – findet sie kaum Wurzeln. Felber sieht das offenbar anders. Ja er wartet sogar mit Beispielen auf. Das sind Privatpersonen, Attac-Aktivisten und kleine Unternehmen, die Felbers Ideale zum Teil. um den Preis ihrer Existenz aufs Schild heben. Hut ab! sage ich da. Doch wie lange hält das im gnadenlosen Wettbewerb mit den alten Mächten? Macht es sich Felber nicht zu leicht, wenn er diese begrüßenswerte, offenbar aber nur langsam wachsende Bewegung zur ersten Etappe des großen Umbruchs erklärt? Ist es mit der Mund-zu-Mund-Propaganda – forciert und vernunftgesteuert – tatsächlich getan, und wenn ja: auf welcher Zeitachse? Wird es nicht zusätzlicher Notlagen, Spannungen, Zuspitzungen und Kontroversen bedürfen, um diesen Wende-Prozess wirklich loszutreten – vor allem, wenn er die ganze Welt betrifft, ja – wie Felber selbst sagt – betreffen muss?
Christian Felber: Gemeinwohlökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010, 144 Seiten, 15,90 Euro
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