19. Jahrgang | Nummer 17 | 15. August 2016

Auf dem Markt

von Franz Schandl, Wien

Bei schlichten Geistern wie Milton Friedman liest sich das Einmaleins der Marktwirtschaft allen Ernstes wie folgt: „So ist der Verbraucher vor einem Druck durch den Verkäufer dadurch gesichert, dass es andere Verkäufer gibt, bei denen er kaufen kann. Ebenso ist der Verkäufer dadurch vor einem Zwang durch den Konsumenten geschützt, dass er mit anderen Konsumenten abschließen kann. Der Angestellte ist vor Nötigung seitens seines Arbeitgebers dadurch geschützt, dass er für andere Arbeitgeber arbeiten kann, und so weiter. All das wird auf dem Markt ohne eine zentrale Instanz erreicht.“ (Kapitalismus und Freiheit,1962). Jeder oberflächliche Blick auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt müsste diese euphorische Sichtweise als blanke Ideologie entlarven.
Von der stofflichen oder materiellen Seite her betrachtet, verdeutlicht die Marktwirtschaft nichts anderes als die Trennung der Menschen von ihren Produktions- und Konsumtionsmitteln. Gesellschaftliche Erzeugnisse, ob Häuser oder Paradeiser, Stemmeisen oder Gummistiefel, werden nicht gesellschaftlich verfügt und direkt angeeignet, sondern durchlaufen die Metamorphosen des Kapitals bis sie konsumiert werden können.
Tausch meint, dass Produkte und Leistungen sich in der gesellschaftlichen Kommunikation nur als ein sich wechselseitig Bedingendes erfüllen können. Nehmen bedingt Geben bedingt Nehmen etc. Unter dem Dogma des Tauschwerts können sie nur als zwei äquivalente Seiten derselben Medaille bestehen. Produktenabgabe wie Produktenentnahme sind keine einfachen Akte, sondern gestalten sich im Zwangsverhältnis des Geschäfts. Das gilt auch analog für Dienstleistungen. Nur das Konkretum kann freiwillig sein, nicht die Form in der es sich vollzieht, nicht die Positionierung, von der aus es getätigt wird. Das Geschäft ist das Sakrament bürgerlicher Kommunikation. Seine Rechtsform ist der Vertrag. Dieser verdeutlicht wiederum nichts anderes als das konstitutive Misstrauen der Menschen gegeneinander. Das objektive Defizit an allgemeiner Verlässlichkeit manifestiert sich darin. Dies alles und mehr zu hinterfragen, wird in der normierten Öffentlichkeit freilich als völliges Hirngespinst wahrgenommen. Solch Denken ist Halluzination.
Der Tausch als Imperativ des Kaufens und Verkaufens zwingt natürlich auch zur Konkurrenz, zum Kampf Jeder gegen jeden, sei es am Obst- oder am Arbeitsmarkt. Es geht darum, (sich) teuer zu verkaufen und billig einzukaufen. Unter dem Druck dieser objektiven Vorgabe, die auf ihrer subjektiven Seite die Ausschöpfung aktueller Lebensstandards bedeutet, entsteht ein Klima der allgemeinen Kälte, ein Klima, das permanent Vertrauen und Solidarität untergräbt, diese zu Sonntagsbekenntnissen degradiert. Permanent denkt das bürgerliche Individuum an das Übervorteilen, auch ohne das eigentlich zu wollen.
Das Konkurrenzprinzip ist auf Ausschließung, Zurückdrängung und Vernichtung des Gegenüber programmiert. „Die Tatsache, dass ‚der Kampf für sich selbst‘ zugleich ‚ein Kampf gegen andere‘ ist, durchdringt den gesamten Alltag.“ (Agnes Heller, Das Alltagsleben) Homo homini lupus.
„Im Kampf ums Leben gibt es keine denkerischen Sentimentalitäten, sondern nur den Wunsch, den Gegner auf dem kürzesten und tatsächlichsten Wege umzubringen, da ist jedermann Positivist; und ebenso wenig wäre es im Geschäft eine Tugend, sich etwas vormachen zu lassen, statt aufs Feste zu gehen, wobei der Gewinn letzten Endes eine psychologische und den Umständen entspringende Überwältigung des anderen bedeutet.“ (Musil, Der Mann ohne Eigenschaften I.) Im Geschäft liegt die konzentrierte Gewalt der Verhältnisse. Der hellsichtige Musil lässt zurecht fragen: „Aber ist das Geld nicht eine ebenso sichere Methode der Behandlung menschlicher Beziehungen wie die Gewalt und erlaubt uns, auf ihre naive Anwendung zu verzichten? Es ist vergeistigte Gewalt, eine geschmeidige, hochentwickelte und schöpferische Spezialform der Gewalt. Beruht nicht das Geschäft auf List und Zwang, auf Übervorteilung und Ausnützung, nur sind diese zivilisiert, ganz in das Innere des Menschen verlegt, ja geradezu in das Aussehen seiner Freiheit gekleidet?“ Wir haben Freiheiten uns in der Form des Geschäftes zu bewegen, wir haben aber auf der Ebene des gesellschaftlichen Stoffwechsels wenig Freiheit gegen die Form des Geschäfts.
Lohnkampf und Preiskampf sind obligat, immer präsent, machen die Menschen zu Klassenfeinden und Tauschgegnern. Das bürgerliche Selbstbewusstsein (inklusive des einst beschworenen proletarischen Klassenbewusstseins!) kann vor diesem Hintergrund nichts anderes sein als die immanente Selbstbehauptung in Zwangsverhältnissen. Stets geht es ums Durchsetzen. Das bürgerliche Subjekt steht unter dem Zwang, sich in Wert zu setzen, (sich) zu verkaufen, um kaufen zu können. Das bedingt natürlich auch unzählige und aufdringliche Abarten der charakterlichen Maskierung, sei es Bluff oder Fassade, Mode oder Werbung. Anbieten, Anpreisen, Anmachen sind bürgerliche Formen der Selbstverstellung. Stets geht es um Täuschung im Sinne des Tauschs.
Die Manipulation durch die Massenmedien darf daher gerade vor diesem Hintergrund nicht überschätzt werden, das sind Realisierungsmaschinen, nicht Schaffungsinstanzen der verkehrten Welt im Kopf. Die Kulturindustrie ist Folge, nicht Ursache. Für diese Art von Beeinflussung müssen die Menschen schon konstituiert und dimensioniert sein. Die Durchschnittsmenschen bewegen sich in diesem Kontinuum, sie brauchen nicht verleitet zu werden. Sie stehen auf der Leitung. Und nicht nur auf dieser, sondern auch auf diese. Und zur Zeit verkabeln sie sich immer mehr.

Auszug aus: Franz Schandl: Der Kapitalismus und du – Fragmente einer Kritik des bürgerlichen Alltags, Streifzüge, Magazinierte Transformationslust , 67/2016. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.