18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Die griechische Lektion

von Ulrich Busch

Noch sind die Verhandlungen nicht gänzlich abgeschlossen, gleichwohl aber scheint das Ergebnis bereits festzustehen: Griechenland bekommt ein drittes „Hilfspaket“ und die Euro-Staaten bürgen für weitere rund 85 Milliarden Euro. Im Gegenzug wird die griechische Regierung einige Reformen einleiten.
Manche Politiker interpretieren dieses Ergebnis so, als hätten sich damit die Gläubiger gegenüber dem Schuldner durchgesetzt und der aufmüpfigen Regierung Tsipras eine Lektion erteilt. Die meisten Ökonomen aber urteilen hier anders. Sie meinen, Griechenland habe den Euro-Staaten, der Europäischen Union und der Finanzwelt eine Lektion erteilt, indem es frisches Geld gegen alte Versprechen eingetauscht hat, und das ohne Aussicht auf Rückzahlung. Die Erklärung dafür ist darin zu sehen, dass der im Falle einer Verweigerung weiterer Kredite unvermeidlich gewordene Grexit für die Gläubiger ein weit größeres Problem mit sich bringen würde als er es für Griechenland wäre. Allzu viel Geld ist bereits nach Athen geflossen. Dieses jetzt als Fehlinvestition abzuschreiben, geht politisch nicht an. Also wird nachgeschossen…
Praktisch heißt dies aber nichts anderes, als dass wiederum „Zeit gekauft“ wird, Zeit, die das Land nutzen soll, um eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen, eine gewinnbringende Exportindustrie, eine funktionierende Verwaltung, eine moderne Infrastruktur, alles Jahrhundertprojekte, wofür die gekaufte Zeit aber nicht reichen wird. So ist schon jetzt abzusehen, dass die Wirtschaft in den kommenden zwei bis drei Jahren keine exorbitanten Wachstumsraten verzeichnen wird, dass der Außenhandel weiter darunter leidet, dass man eigentlich nichts zu exportieren hat und dass die Sparpolitik dazu führt, dass von der Binnennachfrage kaum Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung ausgehen werden. Die Folgen werden sein: ein Anstieg der Staatsverschuldung, statt deren Abbau, weitere Liquiditätsengpässe bei den Banken, statt deren Überwindung und ein Zurückbleiben gegenüber der Konkurrenz auf den internationalen Märkten, statt hier vorzupreschen.
Was nützt es angesichts der langfristig nicht tragfähigen Verschuldungssituation des Landes und der fehlenden Wachstumspotenziale die aktuellen Liquiditätsprobleme Griechenlands kurzfristig zu verringern oder mittels „Notfinanzierungen“ der Europäischen Zentralbank zu überbrücken? Wenn Mario Draghi davon spricht, dass das jetzt beschlossene dritte „Hilfspaket“ Griechenland zur „blühenden Wirtschaft“ verhelfen werde, so mutet dies heute mindestens ebenso peinlich an wie seinerzeit der ähnlich lautende Spruch von Helmut Kohl in Bezug auf die neuen Bundesländer.
In Ostdeutschland wurde selbst nach fünfundzwanzig Jahren und mit fünfundzwanzig Hilfspaketen keine selbst tragende Wirtschaftsentwicklung erreicht! Siehe hierzu die Analysen im Heft Nummer 2-2015 der Zeitschrift Berliner Debatte Initial. Das ostdeutsche Beispiel sollte eine Lehre dafür sein, wie lange die Umstrukturierung und Modernisierung einer Wirtschaft dauert – und vor allem, was dies an Investitionen kostet.
Mit den neuen Krediten ist der Grexit jedenfalls noch längst nicht vom Tisch. Er ist nur aufgeschoben, für einige Jahre, vielleicht aber auch nur bis zum nächsten Jahr.
Führt man sich die Gesamtentwicklung Griechenlands vor Augen, so erscheint auch die vielfach gepriesene Politik der EZB in zweifelhaftem Licht: Die EZB ist aktiv geworden, als und weil die Politik versagt hat. Dies kann man positiv werten. Es ermöglichte andererseits aber der Politik auch, weiterhin untätig zu bleiben, im Grunde genommen seit 2010. Ob die EZB den Verdacht der Unterstützung der Konkursverschleppung griechischer Banken und der verdeckten monetären Staatsfinanzierung – beides ist in Europa verboten – jemals ausräumen kann, sei dahingestellt. Auf jeden Fall ist sie dabei gewaltige Risiken eingegangen, die sie heute daran hindert, „frei“ zu handeln, denn im Falle eines Grexit wäre das eingesetzte Geld verloren. Also unterstützt die EZB eine Politik, die bestrebt ist, einen Grexit um jeden Preis zu verhindern, unabhängig davon, ob dies ökonomisch vernünftig ist oder nicht.
Man muss sich auch fragen, ob es noch mit rechten Dingen zugeht, wenn eine Institution wie die EZB, nicht nur zum mächtigsten Akteur in der Wirtschaft wird, sondern zudem auch noch zum zentralen Akteur in der Politik. Genau das war aber in den letzten Monaten in der Griechenlandkrise der Fall und ist es immer noch. Sicherlich fällt es manch einem politischen Kopf und Kritiker kapitalistischer Verhältnisse schwer, einzusehen, dass in einer monetären Ökonomie – und die gegenwärtige Wirtschaftsordnung entspricht nun mal dieser Charakterisierung – Banken eine Sonderrolle einnehmen und im Wirtschaftsleben die zentralen Akteure sind. Folglich ist die Zentralbank, in der Eurozone die EZB, die absolute Nummer eins unter allen ökonomischen Institutionen.
Was wir heute sehen, ist aber, dass sie sich in ihrem Handeln nicht auf die Geldpolitik und auch nicht auf die Wirtschaft beschränkt, sondern faktisch den „Job“ der nationalen Regierungen, der Europäischen Kommission, eben der Politik, macht. Und das ist nicht richtig. Zudem birgt es die Gefahr in sich, dass dies „am Ende nach hinten losgeht“ (Mark Schrörs), wie es immer der Fall ist, wenn Institutionen sich Aufgaben zumuten, die sie eigentlich nicht beherrschen, egal ob es sich dabei um ökonomische oder um politische Institutionen handelt. Die Folgen wären dann nicht nur für Griechenland fatal, sondern auch für die anderen Euro-Staaten, nicht zuletzt für Deutschland.