18. Jahrgang | Nummer 15 | 20. Juli 2015

Film ab

von Clemens Fischer

Noch während des mörderischen Korea-Krieges (1950 – 1953), in dem vier Millionen Menschen, ganz überwiegend Koreaner und Chinesen, den Tod fanden, kamen die ersten nordkoreanischen Studenten in die DDR. Weitere folgten, über 90 Prozent davon Männer.
Sie lernten am Herder-Institut in Leipzig das hiesige Idiom und wurden anschließend in Jena, Dresden und anderswo immatrikuliert, um Ingenieur- und weiteres Wissen zu erwerben, das zum Wiederaufbau ihre ziemlich zerstörten Heimat dringend benötigt wurde.
Das klingt einfach, aber wenn im ostdeutschen Staat kein Einheimischer mit Koreanischkenntnissen zu finden war und über die Behelfsbrücke des Russischen von koreanischer Seite aus auch nur wenige zu gehen in der Lage waren, dann fragt man sich, wie eigentlich bereits der Sprachunterricht nicht schon gescheitert ist. Diese Frage wird im hier in Rede stehenden, sehr berührenden Film zwar gestellt, aber leider nicht beantwortet.
Die offiziell mit Volksbefreiung und -beglückung befassten Potentaten der beiden sozialistischen Bruderländer DDR und Nordkorea standen zu hautenger Verbrüderung ihrer Landeskinder allerdings zutiefst ablehnend gegenüber und ließen ihre Polit- und Staatsbürokratien daher nähere persönliche Kontakte unterbinden, wo und wie immer es ging, ohne diese gewollte Absicht direkt zu plakatieren. Die Nordkoreaner etwa sorgten über ihre Botschaft in Ostberlin und über Beauftragte unter den Studenten dafür, dass zeitliche Spielräume für Verabredungen mit Fräuleins aus der DDR eng blieben – unter anderem durch regelmäßige Parteiversammlungen in der Freizeit. Die DDR packte vormilitärische Ausbildung dazu, was für Männer, von denen nicht wenige zuvor im Kriegseinsatz gewesen waren, nicht einer gewissen Ironie entbehrte.
Doch man ahnt es schon: Wo wider die Natur agiert wird, obsiegt der Handelnde nie so durchgängig, wie er es gern hätte. Vielfach gut aussehende, exotische junge Männer in einem ansonsten zwar nicht nur tristen, aber doch gänzlich unexotischen DDR-Alltag … Es fanden sich Liebespaare, es wurden Kinder gezeugt, und manchen Verbindungen gelang es sogar, eines Trauscheines teilhaftig zu werden. Ein normales Familienleben wurde trotzdem in keinem Falle daraus, denn unmittelbar nach Beendigung des Studiums mussten die Nordkoreaner allein zurückreisen. (21 von ihnen setzten sich nach Westdeutschland ab.) Vereinzelte Versuche von Frauen, mit ihren Kindern den Partnern nachzureisen und ihr weiteres Leben nördlich des 38. Breitengrades zu verbringen, scheiterten durchweg. Der nur noch postalische Kontakt riss früher oder später ganz ab, die Kinder wuchsen in der DDR ohne Väter auf und hatten teilweise unter verbalem Rassismus von Gleichaltrigen („Papp-Chinese“) zu leiden. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges gelang es einigen von ihnen und ihren Müttern in mühevollem Engagement, im immer noch nahezu hermetisch abgeschotteten Nordkorea das Schicksal ihrer Väter und Gatten aufzuklären.
1962 waren übrigens sämtliche nordkoreanischen Studenten aus all jenen europäischen sozialistischen Staaten nach Hause beordert worden, die im aufgebrochenen Großkonflikt zwischen Moskau und Peking auf der falschen Seite standen, also nicht an der Chinas.

„Verliebt, verlobt, verloren“, Regie: Sung-Hyung Cho; derzeit noch in manchen Kinos.

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Wäre das weiland obligatorische Parteilehrjahr der SED beim Durchnehmen der Entartungen eines ungehemmten Kapitalismus sowie des wenig segensreichen Wirkens des militärisch-industriellen Komplexes didaktisch nur halb so kreativ gewesen wie die Macher von „Jurassic World“, der freiwillige Andrang wäre vielleicht ebenfalls überwältigend gewesen: Allein 900.000 Besucher nur in Deutschland wollten das Saurier-Spektakel schon am Startwochenende sehen!
Die kapitalismuskritische Botschaft des Streifens kann man folgendermaßen auf den Punkt bringen: Lässt man amoralischen Profitgeiern und ihren wissenschaftlichen und managenden Erfüllungsdrohnen freie Hand, dann erschaffen sie (im Film mittels Genmanipulation) immer größere, gefährlichere Monster – „[…] selbst auf die Gefahr des Galgens“, also des eigenen Untergangs, wie Marx den zeitgenössischen britischen Trade-Union-Führer P.J. Dunning zitierte. Nach diesen Homunculi gieren sofort weitere Interessenten, deren Business „Sicherheit“, respektive Krieg ist, bis allen zusammen die Kontrolle entgleitet und das Unheil losbricht, das neben vielen „Unschuldigen“ vielleicht auch einige seiner Verursacher auffrisst. Letzteres ist im Hinblick auf den Film wortwörtlich zu nehmen.
Zwar mag dem Kinopublikum in erster Linie an Entertainment durch Nervenkitzel gelegen und die kapitalismuskritische Botschaft infolgedessen überwiegend herzlich egal sein, aber manches hakt sich ja doch im Unterbewusstsein fest. Vielleicht wirkt der Streifen auf seine Weise also trotzdem wie ein Wahlwerbespot für Die Linke … Und damit auch US-Amerikaner die Chance haben, die Botschaft zumindest unterschwellig zu verinnerlichen, wird zumindest an einer Stelle im Film Klartext gesprochen: „Warum“, so fragt ein sympathischer Computernerd seine Unternehmensobrigkeit, „verkaufen sie nicht gleich die Namensrechte (an neuen, genmanipulierten Kreaturen – Ergänzung C.F.)? Wie wär’s mit Pepsisaurus?”
Im Übrigen bietet der Streifen handwerklich, insbesondere animationstechnisch, solides Handwerk, kann jedoch bezüglich der 3D-Effekte James Camerons „Avatar“ und Martin Scorseses „Hugo Cabret“ das Wasser nicht reichen. Und ausgerechnet eine Hommage an den ersten Jurassic-Streifen von 1993 offenbart, dass der in puncto Suspense mindestens eine Klasse besser war. Damals spielte die nervenaufreibendste Szene in der Kantine von „Jurassic Park“. Diese Kantine taucht jetzt, vom Urwald zugewuchert, wieder auf, nur um von einem außer Kontrolle geratenen Retorten-Dino zertrampelt zu werden. Richtig nervenaufreibend ist weder dies noch der Rest des Films. Und für eine Sequenz, die Filmgeschichte schreibt, reicht es schon gar nicht. Die bestand 1993 in einem anschwellenden dumpfen Donnern, das Wasser in zwei Plastikwegwerfbechern erst leicht, dann heftiger vibrieren lässt, bevor das Grauen selbst in Gestalt eines Tyrannosaurus rex ins Bild tritt. Diese Szene war eine Schwester im Geiste von Hitchcocks Gänsehautsequenz mit Duschvorhang in „Psycho“ …
Aber hier wird ja nur intellektualistische Kritikasterei betrieben, die den Sinn der Filmindustrie nicht begriffen hat: Weil die Konsumenten ihr Geld leider nach wie vor nicht einfach in einen Kollekteschlitz an der Kinokasse einwerfen und dann wieder nach Hause gehen, wird ihnen immer noch eine Steigerung angeboten oder zumindest vorgegaukelt, um die gelangweilten, übersättigten Nerven erneut zu erregen. Und in dieser Hinsicht haben dieser Film und sein Marketing durchaus neue (Verwertungs-)Maßstäbe gesetzt: „Jurassic World“ legte mit 511,8 Millionen US-Dollar den erfolgreichsten Filmstart der Geschichte hin. Wirklich neuer Einfälle bedurfte es dazu übrigens nicht wirklich, denn immerhin 22 Jahre nach der Jurassic-Premiere hat kaum jemand bemerkt, dass etliche Szenen so oder so ähnlich schon 1993 zu besichtigen gewesen sind …

„Jurassic World“, Regie: Colin Trevorrow; derzeit in den Kinos.