18. Jahrgang | Nummer 11 | 25. Mai 2015

Vom guten Harfenton

von Renate Hoffmann

Der Mai sei Musik von Mozart, sagt man, und der Harfenklang wäre die Grundstimmung des Wonnemonats. Gesellt sich die Flöte dazu, so ist des Jubilierens kein Ende. Wolfgang Amadé komponierte ein solches Jubelkonzert (weniger aus frühlingshaftem Überschwang, als aus kommerziellen Gründen) im Jahre 1778 während seines zweiten Parisbesuchs. Er verkehrte, wahrscheinlich ab März, im Hause des Duc de Guines, der „unvergleichlich die flöte spiellt“, und dessen Tochter „magnificque die Harpfe“. Mozart gab der jungen Dame Kompositionsunterricht. Mochte sie vorzüglich Harfe gespielt haben, so hielt sie ihr Lehrer im Komponieren für „von herzen dumm, und dann von Herzen faul“. Hinzu kam die Zahlungsunwilligkeit des Vaters, „weil er schon 4 Monath ein Concert auf die flöte und harpfe von mir hat, welches er mir noch nicht bezahlt hat“.
Trotz Lamento und Ärgernissen war das Doppelkonzert für Flöte, Harfe und Orchester C-Dur KV 299 geboren. Es blieb übrigens das einzige Werk Mozarts, in dem er die Harfe als Soloinstrument herausstellte. Als ich es hörte, wusste ich, Mai ist Mozart – und der Frühling Harfenklang. Die Musikwissenschaft beschreibt ihn als zart, transparent, windrauschig, nicht eben von durchdringender Stärke, jedoch in den mittleren und unteren Saitenlagen von wohltuender Fülle und Wärme. Man kann ihn auch poetisch betrachten, dann verführt er, betört, besänftigt und erhebt und macht zuweilen melancholisch. Sein Resonanzboden ist die Seele.
Wenn der Orgel königlicher Rang gebührt, so gilt für die Harfe der göttliche. Besitzt sie doch ihren eigenen Gott. DAGDA mit der magischen Harfe, den gütigen Allvater aus der keltischen Mythologie der Iren. Und ihr prominenter Spieler war David, einstmaliger Schafhirte und später König von Israel. Er harfte so seelenvoll, dass König Saul ihn zu sich befahl. Saul plagten Launenhaftigkeit und Jähzorn. David aber harfte die Wogen wieder glatt.
Mit ihren 46 beziehungsweise 47 Saiten vermag die Harfe wundersame Klangbilder zu zaubern – wenn man das schwierige Instrument zu spielen weiß. Verlangt es doch den Einsatz von Händen und Füßen. Über Fußpedale lassen sich aus der in Ganztönen gestimmten Harfe auch die Halbtöne hervorlocken. Vom Musizierenden erfordert es hohe Konzentration. Damit er sich aber nicht im Ton vergreift, insbesondere bei Prestissimo-Passagen, sind alle C-Saiten rot, die F-Saiten blau eingefärbt.
Die „Göttliche“ ist eine Eigensinnige! Ihre Saiten neigen zur Verstimmung. Dieses Dilemma beschreibt Michael Praetorius (1571-1621), Komponist, Kapellmeister, Musiktheoretiker in einer Instrumentenkunde. Darin heißt es: „Bei den Harfen aber wird der Ton gar leichtlichen und oft verändert und verstimmt. […] Wie wol sich die mit Darmsaiten bezogenen Instrumente noch viel eher verstimmen als die mit Ertzsaiten.“ – Gerät der Spieler, vom sphärischen Klang seines Instruments überwältigt, in unkontrollierte Begeisterung, so reißt manchmal auch eine Saite. Aus den genannten Gründen liegt in seiner greifbaren Nähe, verborgen oder offenkundig, ein Täschchen. Es enthält Ersatzsaiten, Stimmschlüssel und Zubehör. Liegt das Täschchen nicht in greifbarer Nähe, so ähnelt dieser Umstand dem Auftritt eines Schauspielers, der entdeckt, dass der Souffleurkasten leer ist.
Nicht jedermanns Ohr erfreut sich am Harfenklang. Glareanus (1488-1563), Musiktheoretiker, Musiker, Dichter, Universalgelehrter aus der Schweiz, bedauert bereits um 1547 in seinen Schriften, dass „die Harfe jetzt so selten in Gebrauch ist, weil […] das gewöhnliche Volk die schreienden und weniger künstlichen Instrumente lieber hat.“
Jahrhunderte danach brachte ein Musiktheoretiker den Gedanken ins Spiel, die Harfe sei eigentlich das klassische Instrument für die Damen. Nicht nur der Subtilität seiner Spielart halber – sondern wegen der dekorativen Wirkung. Isabella von Spanien und Marie Antoinette wären doch sehr attraktiv gewesen und hätten noch dazu artig geharft. – Man denke auch an Dorette Scheidler, verehelichte Spohr. Louis, der Komponist, Musiker und Dirigent (1784-1859), fragte die „reizende Blondine“ nach einem gemeinsamen Konzert, in dem sie mit „größter Sicherheit und feinster Nuancierung“ die Harfe gespielt hatte, nicht etwa, ob sie seine Frau werden wolle, sondern: „Wollen wir so für’s Leben miteinander musiciren?“
Die Romantik zeigte sich der Harmonie von schönem Anblick und schmelzendem Ton besonders geneigt. – Vielleicht lauschte sogar der Lyriker Eduard Mörike (1804-1875) dem Spiel einer Harfenistin. Vielleicht war es Mai und Vollmond und warme Abendluft. Alle Wonnen befielen den studierten Theologen und Privatgelehrten, und er musst sich das Entzücken von der Seele schreiben: „Frühling läßt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte; / Süße, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land. / Veilchen träumen schon, / wollen balde kommen. / – Horch, von fern ein leiser Harfenton! / Frühling, ja du bist’s! / Dich hab ich vernommen!“