von Hubert Thielicke
Am 24. November gingen in Wien die Unterhändler des Iran auf der einen und der fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschlands auf der anderen Seite ergebnislos auseinander. Selbst die Teilnahme der Außenminister hatte nicht zum Abschluss der anvisierten Vereinbarung im Hinblick auf das iranische Atomprogramm und die westlichen Sanktionen gegen Teheran geführt. Sind die Gespräche deshalb gescheitert? Offensichtlich nicht. Sie wurden jedenfalls bis Mitte 2015 verlängert. Bis zum 1. März soll ein politisches Abkommen vorliegen, die dazu gehörenden Detailregelungen sollen dann bis zum 1. Juli vereinbart werden. Das Interimsabkommen vom 24. November 2013 gilt weiter. Es beinhaltet eine Begrenzung der Urananreicherung durch den Iran sowie verstärkte Kontrollen und eine Lockerung der Sanktionen gegen das Land.
US-Außenminister John Kerry sprach von „echten und wichtigen Fortschritten“. Aus Teheran ließ Präsident Hassan Rohani wissen, dass „wichtige Schritte in Richtung einer Einigung“ unternommen wurden. In absehbarer Zukunft seien Ergebnisse möglich, beide Seiten wären sich näher gekommen.
Gerade zwischen den USA und Iran bestehen aber auch weiterhin die größten Differenzen. Während der Iran auf seinem Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie beharrt, fordern die USA weitgehende Einschränkungen des iranischen Programms. Im Unterschied zu Vorgänger Bush jun., dessen Politik den Verdacht auf Herbeiführung eines regime change aufkommen ließ, tritt Präsident Obama jedoch flexibler auf, scheint kompromissbereit zu sein. Offensichtlich ist er an einem Ausgleich mit Iran interessiert, um das Land insbesondere in den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ einzubeziehen. Gleichzeitig nimmt er aber auch Rücksicht auf den Verbündeten Israel. Unverblümt fordert dessen Ministerpräsident Netanyahu: keine Anreicherung, keine nuklearen Brennstoffe, keine Raketen. Versteht sich, dass er nicht von Israels eigenen Kernwaffen samt ballistischen und anderen Trägersystemen spricht.
Zugleich steht Barack Obama unter zunehmendem innenpolitischen Druck. Im Kongress werden derzeit Forderungen nach neuen Sanktionen gegen Iran erhoben. Die dürften im nächsten Jahr noch zunehmen, wenn die Republikaner in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit haben.
Iran seinerseits erwartet im Gegenzug für Zugeständnisse bei seinem Nuklearprogramm die vollständige Beendigung der Sanktionen. Auch in Theran scheint sich der Druck konservativer Kräfte auf Präsident Ruhani zu verstärken. Immerhin stehen 2015 Parlamentswahlen an.
Im Grunde geht es sowohl in den Verhandlungen als auch in der öffentlichen Diskussion um vier Grundfragen:
erstens – um das prinzipielle Misstrauen vor allem zwischen den USA und Iran;
zweitens – um das Recht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie durch Iran;
drittens – um technische Detailprobleme wie die Einschränkung vor allem der iranischen Urananreicherung sowie deren Kontrolle und schließlich
viertens – um die Sanktionen.
Das Misstrauen zwischen Iran und USA hat lange historische Wurzeln: Mit CIA-Hilfe wurde 1953 Ministerpräsident Mohammad Mossadegh gestürzt, der Ölquellen verstaatlicht hatte; dann stützten die USA das Schah-Regime und waren nach der iranischen Revolution bestrebt, das neue Regime zu liquidieren. Durch den Sturz des Schah 1979 und die Besetzung ihrer Botschaft fühlten sich wiederum die USA herausgefordert. Auch das spätere, oft provokative Auftreten von Präsident Ahmadinedschad trug nicht zur Beruhigung bei. Es wird also große Anstrengungen kosten, um dieses gegenseitige Misstrauen auch nur zu verringern.
In den Medien ist oft die Rede davon, dass ein Übereinkommen zwischen Iran und der Sechser-Gruppe dem Lande ein friedliches Nuklearprogramm „erlauben“ solle. Das entspricht jedoch keineswegs der internationalen Rechtslage. Als Teilnehmer des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – NPT) steht Iran gemäß Artikel IV das Recht zu, die Kernenergie ohne Diskriminierung zu friedlichen Zwecken zu nutzen und sich an der entsprechenden internationalen Kooperation zu beteiligen. Allerdings unterliegt jedes Vertragsmitglied dabei zugleich nach Artikel III den Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO). Hier hat es in der Vergangenheit Probleme mit der iranischen Seite gegeben, möglicherweise auch Ansätze eines geheimen militärischen Programms. Das wiederum hatte Sanktionen des UN-Sicherheitsrates und internationale Forderungen nach stärkerer Kontrolle zur Folge, wie sie das Zusatzprotokoll von 1997 zum IAEA-Kontrollabkommen vorsieht. Iran hat dieses zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Zugleich wird insbesondere von westlicher Seite verlangt, die Zahl der itranischen Zentrifugen zur Uran-Anreicherung deutlich zu reduzieren. Iran scheint zwar bereit zu sein, auf Forderungen nach stärkerer Kontrolle einzugehen, will sein Atomprogramm aber im Grunde nicht beschränken lassen. So sprach sich der hochrangige iranische Diplomat Takht Ravanchi gegenüber Spiegel Online für größere Transparenz aus, sein Land sei auch bereit, „unsere Aktivitäten für eine bestimmte Zeit einzuschränken. Danach wollen wir jedoch wie jedes andere Mitglied des NPT behandelt werden.“
Angesichts der innenpolitischen Blockaden in den USA, aber auch im Iran schlug der SWP-Experte Oliver Meier kürzlich einen interessanten Lösungsansatz vor: Die EU-Teilnehmer könnten die Initiative übernehmen und eine hochrangige EU-Vermittlungsmission einsetzen. Ihre Aufgabe wäre, neue Ideen für die strittigen Themen zu entwickeln – den Umfang der iranischen Anreicherungskapazitäten, die Aufhebung der Sanktionen und die Aufklärung der (bisherigen) iranischen Atomwaffenforschung. Die Forderung nach Rückbau der Zentrifugen sollte durch mehr Inspektionen ersetzt werden. Im Unterschied zu Obama könnten die Europäer auch verlässliche Zusagen zur Aufhebung der Sanktionen machen.
Ein solches Herangehen würde sicher auch den Interessen Russlands und Chinas entgegenkommen. Wie Iran steht Moskau derzeit unter westlichen Sanktionen, was nicht zuletzt zu einer gewissen Solidarisierung zwischen beiden Staaten und damit einer Stärkung der iranischen Position führen mag. Der bereits genannte iranische Diplomat Takht Ravanchi bemerkte dazu: „Europa und Amerika sind nicht die ganze Welt, und wenn ein Land entscheidet, nicht mit Iran zu arbeiten, bedeutet auch das nicht das Ende […] es gibt Auswege, andere Möglichkeiten mit anderen Ländern.“ So setzen Russland und Iran ihre Zusammenarbeit bei der friedlichen Anwendung der Kernenergie fort. Am 11. November schlossen das russische Unternehmen ROSATOM und Iran ein Abkommen über die Lieferung von acht Atomreaktoren. Das von Russland kürzlich fertig gestellte Atomkraftwerk Bushehr wird um vier Blöcke erweitert. Weitere vier Reaktoren sind für ein neues Kraftwerk vorgesehen, dessen Standort noch nicht bekannt ist. Wie ROSATOM-Chef Sergej Kirijenko erklärte, sollen die Lieferungen der Komponenten und der Brennstoffe unter strikter internationaler Kontrolle entsprechend des NPT stehen. Akbar Salehi, Leiter der iranischen Atomenergieorganisation, bezeichnete den Vertrag als eine „Wende in den Beziehungen unserer beider Länder“. Ihre Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Atomkraft habe große Perspektiven.
Schlagwörter: Atomkraft, Hubert Thielicke, Iran, Kernwaffen, Russland, USA, Zentrifugen