von Burga Kalinowski
„[…] in unserem Herz und unserem Gedächtnis lebendig bleiben.“ Dieser Dank und letzte Gruß der griechischen Kommunisten an ihn hätte Manfred Wekwerth sicher gefreut. Kann man das so sagen, wenn einer gestorben ist?
Gegangen ist ein Theatermann von europäischem Rang mit Weltruhm. Seine künstlerische und politische Arbeit und ihre Bedeutung für das Theater des 20. Jahrhunderts führt auf direktem Wege ins Nachdenken über heutige Zeit, herrschende Verhältnisse und ihre Un-Kultur, über deren Ursachen und Folgen. Die Konsequenz daraus hieße Veränderung. Davon war er überzeugt. Diese Überzeugung bleibt in der Welt.
Am 16. Juli 2014 ist der Regisseur, Intendant des Berliner Ensembles von 1977 bis 1991 und Autor Manfred Wekwerth gestorben. Er wurde 84 Jahre alt.
Verlust – das sagt sich so, bis er spürbar wird als leerer Platz, als fehlende Stimme.
Verlust, weil einer nicht mehr da ist, der genau das sagt, was nötig ist. Der es genau so sagt, dass es verständlich wird.
Verlust – weil Manfred Wekwerth nicht mehr seine Wahrheit erzählen und dagegen halten kann, wenn sich dieser oder jener oder noch einige mehr aufmachen, um Brecht, das Berliner Ensemble und das gescheiterte sozialistische Drum und Dran der DDR niederzumachen. Manchmal hört(e) man dabei dann auch den Zeitgeist hitzig hecheln – aus Gossen und Gazetten, von Bühnen und Tribünen, aus Archiven und Annalen.
Wekwerth selbst hielt von Häme und heftiger Rede nichts. Erklären und Aufklären, Freundlichkeit und Fragen, Denken und Zweifel und Weiterdenken – und dann – natürlich – eine Sache zu Ende bringen. Neues beginnen. Probieren. Arbeit am Stück, an einer Szene, am Artikel, am Buch, am Film, an einer Rede. Bis zuletzt und von Anfang an war das sein Leben und seine Freude.
In seinem Haus in Berlin-Grünau gibt es eine Art Zeittunnel. Eine ganze Wand mit Fotos und Plakaten. Fotos zum Beispiel vom 10. April 2014 im Karl-Liebknecht Haus auf einer Veranstaltung, seinen verstorbenen Freund Werner Mittenzwei zu ehren. Schnappschüsse aus dem September 2011 zeigen Wekwerth im Brecht-Weigel-Haus in Buckow mit der Band „Emma“ aus Thüringen. Der Regisseur und die jungen Rocker vertonen und inszenieren Brecht-Gedichte. Viel Lachen bei der Erarbeitung des Programms. Renate Richter, Schauspielerin und Wekwerths Frau, ist dabei, liest und spielt. Künstlerischer Genuss und Vergnügen auf allen Seiten. Rappelvoll die Wiese am See. Kerzen leuchten in den Abend hinein. Eine schöne Szene am historischen Ort.
Gegenwart und Geschichte treffen sich.
Erinnerung wird Erkundung. Die Bilderwand macht Zeitreisen möglich: lässt teilnehmen an überragenden individuellen und kollektiven Leistungen – Sternstunden des Theaters wie im Berliner Ensemble unter anderem mit „Coriolan“, „Tage der Commune“, „Arturo Ui“ – , weist auf bemerkenswerte gesellschaftliche Entwicklungen hin, von denen „die Enteignung des Kapitals die Hauptleistung der DDR“ war, wie Wekwerth sagte. Alles passierte in einem historischen Wimpernschlag. Im Auf und Ab weniger Jahrzehnte das Vorwärtsgehen mit dem Land, geradeaus, auch temporeich, mit guten Aussichten und holprigen Stellen. Oft auf schiefen Wegen. Auf Umwegen. Bis kein Ziel mehr zu sehen war. Bis nichts mehr ging.
Auf dieser Zeitreise trifft man den jungen Wekwerth im Gespräch mit Brecht, Ernst Busch, Hans Bunge und Käthe Rülicke in einer Probe zum „Kaukasischen Kreidekreis“, begleitet sie 1955 zum Gastspiel nach Paris, verfolgt 1959 „Arturo Ui“-Proben mit Hilmar Thate und Ekkehard Schall, sieht sich „Die Tage der Commune“ mit Renate Richter, Gisela May, Angelica Domröse, Stefan Lisewski und Wolf Kaiser an, sitzt mit Carlo Ponti, Sophia Loren, Vittorio de Sica und Helene Weigel in der „Möwe“, verfolgt die Arbeit von Paul Dessau am „Coriolan“, sucht mit Elisabeth Hauptmann in Stratford on Avon die Spuren von Shakespeare, bewundert Anthony Hopkins im „“Coriolan“ in der Regie von Wekwerth 1971 am National Theatre London, erlebt Inszenierungen von ihm am Schauspielhaus Zürich und am Burgtheater Wien – und ist mit dabei, als er 2002 für seine Verdienste um das europäische Theater mit dem Honorary Fellow of the Rose Bruford College London geehrt wird.
Sechs Jahrzehnte vergehen so im Fluge. Große Namen. Erfahrungen und Erkenntnisse. Denken, Spaß und Arbeit.
Ein Blick zurück auf den allerersten Anfang von Manfred Wekwerth. 1948 Abitur und Neulehrerausbildung. Wekwerth ist Mitglied einer Theatergruppe in Köthen, die 1950 das Brecht-Stück „Die Gewehre der Frau Carrar“ aufführt. Dann hatte die Truppe einen Einfall, mit dem sie Brecht in die anhaltinische Provinz locken wollte. In der Zeitung kündigten sie die Anwesenheit des Autors an und schickten die Meldung nach Berlin, Bertolt Brecht, Berliner Ensemble. Die Post kam an und tatsächlich eine Antwort von der Weigel zurück: Brecht sei krank, aber sie schicke zwei Busse, die Truppe soll das Stück in. Berlin zeigen. Sie fuhren hin und spielten vor Ernst Busch, Erwin Geschonneck, Wolfgang Langhoff, Brecht und Weigel. Die fanden das enorm, was die jungen Leute erarbeitet hatten. Wekwerth erinnert sich 2012 im Interview: „Ich sollte nach der Aufführung zu Brecht kommen und suchte nun die berühmte Haarfrisur und die Jacke. Da waren aber mindesten zehn. Dann sprach ich einen als Brecht an, das war Paul Dessau. Dann kam ein kleiner Mann auf mich zu, etwas schüchtern, gab mir die Hand. Das war Brecht. Er wollte noch ein bisschen mit meiner Gruppe arbeiten. Das ging bis Mitternacht. Brecht sagte, da muss noch gelernt werden. Wenn Sie Lust haben, es hier im Berliner Ensemble zu machen, können Sie auch hierbleiben.“
Das war 1951 im März. Wekwerth blieb. 1968 kündigt er wegen Differenzen mit der Weigel, „die aber damals, als wir ankamen, wie eine Mutter zu uns war. Dieses Berliner Ensemble war überhaupt ein Wunderunternehmen – da wurden Menschen nicht beurteilt nach Namen, sondern nach Leistungen.“ Das bleibt ein ganzes Leben. Erzeugt gelassene Heiterkeit. Produziert Energie und schöpferische Kraft. Macht untauglich zur Lüge. Verführt zur Unbestechlichkeit. Auf der Bühne und im Leben.
Ein letzter Satz aus dem Interview mit Manfred Wekwerth: „Der Verlust von Alternativen ist für die Emanzipation der Menschen eine Katastrophe.“ Ein wahrer Satz. Ein Spreng-Satz in die Zukunft.
Im Jahre 2006 stellte Manfred Wekwerth seine Überlegungen, Beobachtungen und Fragen zur Zeit in einem Vortrag mit dem Thema „Zerstörung von Kultur und Kultur der Zerstörung“ vor, der aus dem Internet downloadbar ist.
Schlagwörter: Berliner Ensemble, Brecht, Burga Kalinowski, Manfred Wekwerth, Theater, Weigel