17. Jahrgang | Nummer 1 | 6. Januar 2014

Kohle für Kalkutta

von Sarcasticus

Auch wer sich dem Gedanken nicht gänzlich verschließt, dass ein funktionierendes Gemeinwesen Steuereinnahmen benötigt, der zahlt die oktroyierten Obolusse deswegen nicht wirklich gern. Das tut niemand. Behaupte ich hier mal. In gewissem Maße Frust dämpfend wirken vor diesem Hintergrund Nachrichten, die bezeugen, dass unsere Regierung mit diesen Einnahmen wenigstens Sinnvolles anzufangen weiß – also nicht nur Stuttgart 21 oder diesen Pannen-Airport am Rande der Hauptstadt in den Sand setzt, sondern Dinge tut oder ermöglicht, die den Menschen wirklich helfen. Darüber sollte man sich als Steuerzahler dann auch mal freuen können. So wie ich kürzlich, und diese Freude möchte ich ganz altruistisch mit den Leserinnen und Lesern dieses Magazins teilen.
Beim Surfen im Internet war ich unversehens auf der Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gelandet, beim Stichwort: Indien. Dort erfuhr ich: In dem großen Land lebten 2012 1.236.686.732 Menschen – die Exaktheit der Ziffer verblüffte mich zugegebenermaßen ein wenig –, 32,68 Prozent davon in extremer Armut. Nach Weltbank-Kriterien herrscht solche, wenn Menschen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen. 2012 waren das in Indien somit immerhin 404.149.224 Bürger oder mehr als fünfmal so viele, wie die Bundesrepublik Einwohner hat. Weitere 38 Prozent der Inder hatten weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur Verfügung, sind aber zumindest schon mal nicht mehr extrem arm. Also nach Weltbankkriterien. Trotzdem wundert man sich fast, dass nur 20 Prozent der Inder als unterernährt gelten. 600 Millionen leben darüber hinaus ohne jegliche sanitäre Einrichtungen, 400 Millionen haben keinen Stromanschluss.
Das BMZ informiert weiter: Die deutschen staatlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit mit Indien – früher hieß das, wenn ich mich recht entsinne, kurz und missverständlich Entwicklungshilfe – beliefen sich 2013 auf immerhin 900 Millionen Euro. Und da habe ich mich gefreut: „Kohle für Kalkutta – endlich trifft’s mal die Richtigen, die Bedürftigen nämlich.“
Wer sich allerdings weiter freuen will, der sollte jetzt rasch zum nächsten Beitrag blättern. Denn ich dachte mir leichtsinniger Weise: Schau doch mal, was im Internet darüber zu finden ist, wofür Indien sein eigenes Geld so ausgibt. Und ich wurde fündig: Gerade wurde zum Beispiel mit der „INS Vikramaditya“ (der Name bedeutet „stark wie die Sonne“) ein zweiter Flugzeugträger der indischen Marine übergeben. Der Pott kommt aus Russland, wurde in der Sowjetunion gebaut und kreuzte unter dem Namen „Admiral Gorschkow“ früher unter anderem im Mittelmeer. 2,3 Milliarden US-Dollar hat der 273 Meter lange Riese einschließlich Runderneuerung gekostet. Da ist die Bewaffnung mit insgesamt 30 MiG 29K-Flugzeugen aber noch nicht mitbezahlt. 2015 und 2018 sollen dann noch zwei in Eigenregie gebaute Träger zur Flotte stoßen.
Die gilt übrigens insgesamt bereits als eine der größten der Welt. Da fährt seit April 2012 mit der „Chakra“ auch ein 12.700 Tonnen verdrängendes gigantisches Jagd-U-Boot mit Atomantrieb durch den indischen Ozean – auf zehn Jahre gepachtet von Russland. Zum Preis von 900 Millionen US-Dollar. Das Leasing eines weiteren Schiffes dieser Größe wird erwogen. Daneben entwickelt Indien eigene Atom-U-Boote. Das erste, „INS Arihant“, circa 6.000 Tonnen, hat 2011 den Testbetrieb aufgenommen. Gar nicht zu reden von den 14 konventionellen U-Booten, von Zerstörern, Korvetten und weiteren Überwasserschiffen. Gegen wen die eigentlich anschwimmen, darüber darf spekuliert werden. Erzfeind Pakistan jedenfalls verfügt nur über drei klapprige Fregatten. Und mit Erzfeind China verbindet Indien zwar manches, aber kein Meer, an dessen Küsten man sich gegenüber läge.
Der indische Rüstungsetat liegt in diesem Jahr bei etwa 40 Milliarden US-Dollar, inklusive der Atomrüstung, die das Land mit hoher Intensität betreibt, um mit China gleichzuziehen. Und in den kommenden zehn Jahren will Indien laut Spiegel insgesamt 100 Milliarden US-Dollar allein für die Modernisierung von Waffensystemen ausgeben. Ein großer Teil davon wird im Ausland gekauft werden. Indien nimmt heute bereits zehn Prozent der weltweiten Rüstungsexporte ab und führt das Ranking der größten Waffenimporteure souverän, mit Abstand an. Na ja, wenigstens eine globale Spitzenstellung.
Und das mit der Entwicklungshilfe muss man wohl doch eher dialektisch als ethisch-moralisch sehen: Was Indien von uns bekommt, dass muss die dortige Regierung der zivilen Entwicklung des Landes schließlich nicht vorenthalten, um die eigenen Großmachtallüren militärisch zu unterfüttern. Daher sollten es 2014 mindestens wieder 900 Millionen sein – die würden für ein zweites russisches Monster-U-Boot reichen. Im Gegenzug könnte New Delhi sich bei der Namensgebung revanchieren und den Kahn „Morgengabe aus Berlin“ nennen. Natürlich auf Indisch.