16. Jahrgang | Nummer 17 | 19. August 2013

Der verschubte Kommissar

von Frank-Rainer Schurich

Polizei-Oberkommissar Wolfgang Seeger von der Landespolizei-Abteilung Waiblingen hatte 1963, also vor 50 Jahren, das große Glück, im Heft 2 der Fachzeitschrift Kriminalistik einen Leitartikel mit dem programmatischen Titel „Kriminalität und Demokratie“ zu landen. Seine Hauptthese: Gute Wohlfahrtseinrichtungen wie in der BRD seien ein Magnet für Asoziale und Kriminelle aus allen Ländern. Dies könne nicht hingenommen werden. In zunehmendem Maße kämen – neben einigen „sehr anständigen und arbeitswilligen“ – solche Ausländer in die Bundesrepublik, die die Zahl der einheimischen Land- und Stadtstreicher erheblich vergrößerten. Da müsse etwas getan werden! Seeger fordert ein viel energischeres Vorgehen gegen jenes kriminelle Gesindel und denkt sogleich „an ein verschärftes Heranziehen zu körperlicher Arbeit“ derjenigen, derer man bereits in Strafanstalten habhaft ist. Der Häftling müsse nach seinem Arbeitstag froh sein, wenn er schlafen könne. Wo käme Deutschland denn hin, wenn die Kriminellen im Gefängnis einen „guten Tag“ verlebten – und das alles von den Geldern des Steuerzahlers!
Bei Sittlichkeitstätern propagiert Seeger die Entmannung, mit der irgendeiner Untersuchung zufolge 71,4 Prozent aller Kastrierten neue Glücksgefühle gewannen. Vielleicht hatte der Oberkommissar ein Werk von Herrn Ferdinand Edler von Neureiter studiert, mit dem er sich in trauter Eintracht befand. Neureiter lehrte zu finsteren Zeiten an der Universität Berlin (1938-1939) und stand der berüchtigten Kriminalbiologischen Forschungsstelle beim Reichsgesundheitsamt vor. Er war ein Nazivorreiter, der sich mit der „nationalsozialistischen Erb- und Rassenpflege“ beschäftigte. Ganz humanistisch, denn er dachte immer gleich über die Folgen nach, zum Beispiel der Entmannung. So schrieb er, dass im Seelischen häufig eine gewisse Abstumpfung des Affektlebens und ein Nachlassen der geistigen Beweglichkeit eintrete, „eine Veränderung, die man als ‚Walachisierung’ bezeichnet und bei Kriminellen im allgemeinen gar nicht so ungern wahrnimmt“.
Doch zurück zu Seegers Epistel. Am Untergang des Römischen Reiches macht der Oberkommissar fest, dass die rasche Vermehrung von asozialen und kriminellen Elementen die BRD in den Abgrund stürzen könnte. Natürlich kramt er aus seinen kruden Gehirnecken auch die zwangsweise Sterilisation hervor, denn das Verbrechen sei viel häufiger bei „dummen Menschen“ anzutreffen als bei geistig gut entwickelten Personen. „Ausländische Kriminelle und Asoziale müssen ausgewiesen und ihr Hereinströmen verhindert werden. Die USA haben zum Beispiel in den vergangenen Jahren mehrere hundert Verbrecher italienischer Abstammung nach Italien zurückverschubt.“ Tja, wohin denn sonst?
Das Fazit von Seegers Schreibarbeit: „Bedenkt man die zitierten Worte des Präsidenten der Paneuropa-Union, Graf Coudenhove-Kalergi, genau, dass durch eine Vermischung der verschiedenartigen Völker kriminelle Anlagen (Hemmungslosigkeit, Charakterlosigkeit, Verantwortungslosigkeit usw.) zum großen Teil hervorgerufen werden (was wiederum dann eine höhere Kriminalität zu Folge hat), so muss man zu dem Schluss kommen, dass ein demokratischer Staat besonders bestrebt sein muss, seine Bevölkerung in ihrer Eigenart zu erhalten (die Erbwerte hegen, wie sich Oda Olberg ausdrückt!) und eine Vermischung mit anderen Völkern zu verhindern, denn sonst versetzt die steigende Kriminalität zum Schluss der Demokratie den Todesstoß.“
Seegers abschließenden Bemerkungen hatte jemand im jahrgangsgebundenen Bibliotheksexemplar der Kriminalistik mit Strichen, Frage- und Ausrufungszeichen versehen und mit dem kräftigen Schlusswort: „Nazi!!“ Wie sich die weitere Karriere des Herrn Polizei-Oberkommissar Seeger gestaltete, ist nicht bekannt. Ist er in der Beamtenhierarchie ganz nach oben „verschubt“ worden? Denkbar wär’s ja.
Herrn Fazio, passsend mit italienischer Abstammung, damals Fraktionsvorsitzender der Grünen in Waiblingen, faxte ich auf seine telefonische Bitte hin vor fast 20 Jahren das Seegersche Elaborat; er wollte alles für mich herausfinden. Leider hat er sich noch immer nicht gemeldet. Den Gedanken, dass Herr Fazio von Herrn Seeger persönlich nach Italien zurückverschubt wurde, verwerfe ich. Fazio war schließlich Abgeordneter, und er hatte mir eine Pizza versprochen.