von Wolfgang Schwarz
Für die Pleitedrohne Euro Hawk wurden bereits fast 700 Millionen zum Fenster hinaus geworfen, und allein aufgrund von Vertragsbindungen für dieses Projekt sowie für den deutschen Anteil am parallelen NATO-Vorhaben Global Hawk, dessen Zukunft nun auch auf der Kippe steht, werden weitere hunderte Millionen hinzukommen.
Ein ebenso „klassisches“ wie probates Mittel, um einen Skandal dieser Größenordnung zu singularisieren und damit, insbesondere in der öffentlichen Debatte, Fragen nach grundlegenden Webfehlern im System zu vermeiden oder, wenn sie doch gestellt werden, zu marginalisieren, besteht darin, den Vorgang auf die „Schuldfrage“ zu reduzieren und gegebenenfalls mit dem Abschuss eines oder mehrerer Verantwortlicher zu beenden. Maßgebliche Akteure sind dabei stets aufs Neue inkompetente oder wissend manipulierenden Medien sowie Politiker nahezu jeglicher Couleur (keineswegs nur der jeweils gerade amtierenden Opposition), bei denen Punktesammeln in der Wählergunst durch Abwatschen des politischen Gegners oder gern auch mal des Koalitionspartners allemal Priorität hat.
Genau dieses „klassische“ Schema ist derzeit auch in Sachen Euro Hawk zu beobachten. Geradezu holzschnittartig zeichnete sich dies ab, als Die Welt zwei Tage vor dem ersten zusammenhängenden Erklärungsversuch von Minister Thomas de Maizière im Verteidigungsausschuss des Bundestages vermerkte: „Die entscheidende Frage (Hervorhebung – W.S.) lautet: war der Minister informiert oder nicht?“
Bei ernsthaftem Interesse, nicht nur den aktuellen Skandal aufzuklären, sondern Fehlentwicklungen wie beim Euro Hawk künftig zu vermeiden, wäre das Attribut entscheidend natürlich ganz anderen Fragen beizustellen – etwa der, was in einem System geändert werden muss, in dem Fachwissen und Sachkompetenz für die Berufung von Ministern üblicherweise keinerlei Rolle spielen, hingegen die Parteizugehörigkeit von ausschlaggebender Bedeutung ist. (Eine gewisse Ausnahme bildet hier lediglich das Justizressort, dessen leitender Kopf neben dem richtigen Parteibuch auch juristische Staatsexamina vorweisen muss.) Wäre es da nicht angebracht, ja besser noch: zwingend vorzuschreiben, dass nach dem Amtseid, aber vor Beginn der Amtsausübung eine Art Inventur zu den laufenden und anstehenden Großprojekten des Ressorts erfolgte – mindestens mit den Schwerpunkten Ziele, Stand, Probleme, Perspektiven? Das wäre doch ein sinnvoller Start, um die Aufmerksamkeit des jeweils noch jungfräulichen neuen Amtsinhabers entsprechend zu sensibilisieren, vielleicht gar zu justieren. Dass selbst de Maizière, der als ausgesprochen cleverer Verwaltungsmanager gilt, offenbar nicht auf solch einen simplen Gedanken gekommen ist, wie soll man das eigentlich interpretieren? Dem Steuerzahler jedenfalls hätten auf diese Weise womöglich zig-Millionen Euro erspart werden können – und dem Minister die Blamage, sich am 5. Juni vor dem Verteidigungsausschuss als „ahnungslos“ zu outen: Er habe vor dem 13. Mai (zwei Tage später war das Aus des Projektes verkündet worden) nichts von „unlösbaren“ Problemen beim Euro Hawk gewusst.
Die nächste, mindestens ebenso entscheidende Frage ist die nach dem aktuellen Zustand der Verwaltungs-, in diesem Fall speziell der Beschaffungsbürokratie im Bundesverteidigungsministerium (BMVg) unterhalb der Ebene von Ministern und Staatssekretären: Wie kann es sein, dass diese Bürokratie bei Milliarden-Projekten „weitgegend auf Autopilot“ (Stuttgarter Zeitung) läuft – über Jahre unkontrolliert oder in der Lage, sich der Kontrolle soweit zu entziehen, dass desaströse Vorgänge erst auffliegen, wenn das Kind längst im Brunnen liegt?
Hier sind allerdings nicht nur die Amtsinhaber an der Spitze der Behörde in der Pflicht, der Missstand führt vielmehr zugleich zur meines Erachtens entscheidendsten aller Fragen in diesem Gesamtkontext: Wie soll man Fehlentwicklungen wie beim Euro Hawk mit einem überwiegend uninteressierten, inkompetenten oder selbstkastrierten Parlament wie dem Bundestag eigentlich überhaupt verhindern, das die jährlichen Haushaltstranchen für Projekte wie Euro Hawk jeweils durchwinkt, nachdem es – genauer: der oder die zuständigen Ausschüsse – sich mit Floskeln und Allgemeinplätzen seitens der Ministerialbürokratie hat einlullen lassen, ohne nachdrücklich nachzuhaken oder gar regelmäßig substantiierte Statusberichte einzufordern? (Sporadische gegenteilige Aktivitäten einzelner Abgeordneter ändern an diesem Gesamtbefund leider nichts.) Und um hier dem Vorwurf des Parlaments- und Abgeordneten-Bashings vorzubeugen: Der Euro Hawk ist ja nicht mehr als die Spitze des Eisbergs – Steuergelder in Größenordnungen sinnlos verpulvert wurden und werden, damit hat sich auch dieses Magazin bereits befasst, nicht minder bei Projekten wie Korvette K 130, Kampfhubschrauber Tiger, Eurofighter und Militär-Airbus A400M, um nur die wichtigsten zu nennen. Und das nächste Steuerngrab ist bereits ausgehoben: Im März hat das BMVg einen Zehn-Milliarden-Euro-Deal über die Lieferung von Hubschraubern an die Marine abgeschlossen – die die gar nicht haben will.
Neben den drei genannten Fragen sind es einige weitere Details des Euro Hawk-Skandals, die der Notwendigkeit, den Webfehlern im System zu Leibe zu rücken, weiteren Nachdruck verleihen.
Ein maßgeblicher Aspekt des Skandals besteht darin, dass der Euro Hawk keine Chance auf allgemeine Flugzulassung für den deutschen und den europäischen Luftraum hat, weil das Gerät nicht über ein automatisches Anti-Kollionssystem im Hinblick auf andere Luftfahrzeuge, vor allem Passagierflugzeuge, verfügt und weil der Hersteller Northrop Grumman mit Hinweis auf US-Geheimhaltungsvorschriften den kompletten Einblick in die Systemunterlagen verweigert. Allerdings waren mögliche Probleme bei der Zulassung dem Verteidigungsministerium – einem Bericht des Bundesrechnungshofes zufolge – „bereits vor Abschluss des Entwicklungsvertrags“ im Jahr 2007 bekannt. Und schon 2004 hatte ein (durch eine Video-Aufnahme dokumentierter) Fast-Crash einer Aufklärungsdrohne der Bundeswehr vom Typ „Luna“ mit einem zivilen Airbus über dem Flughafen von Kabul das Kollisionsproblem hinreichend verdeutlicht. Trotzdem wurde der Vertrag mit Northrop Grumman abgeschlossen, ohne den Hersteller zu verpflichten, alle Baupläne offenzulegen, und ohne auf einen Anti-Kollisionsschutz zu dringen. Geht gar nicht? Doch!
Der Minister selbst – „Kein deutscher Verteidigungsminister hat sich so vehement für die Beschaffung von Drohnen eingesetzt wie de Maizière […].“ (Der Spiegel) – lässt sich im Übrigen in seiner Überzeugung vom Wert unbemannter Flugkörper nicht beirren. In den „Bewertungen und Konsequenzen zum Euro Hawk durch den Bundesminister der Verteidigung […] im Verteidigungsausschuss […]“ heißt es: „Wir brauchen diese luftgestützte Aufklärung, um durch Informationsüberlegenheit zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beizutragen.“ Geflissentlich nicht erläuterte de Maizière dabei, wie das mit dem Euro Hawk eigentlich hätte bewerkstelligt werden sollen: Der Flieger benötigt einschlägigen Angaben zufolge nämlich eine Flugvorlaufphase von vier bis sechs Wochen. Zeitnahe Informationsbeschaffung „zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“? Fehlanzeige!
Da fällt ein weiteres Kuriosum des Vertrages mit den Amerikanern kaum mehr ins Gewicht, dass nämlich, wie Der Spiegel berichtete, „deutsche Drohnenpiloten nicht das Recht [haben], den ,Euro Hawk‘ zu fliegen. Soll die Drohne abheben, muss das Verteidigungsministerium Northrop Grumman darum bitten. Erst wenn sich in Kalifornien ein Pilot an den Computer setzt, kann die Drohne in Deutschland abheben.“
Bekannt im BMVg war schließlich auch, dass bei der US-Luftwaffe im Hinblick auf die von ihr eingesetzte Variante Global Hawk längst Ernüchterung eingetreten ist – vor allem wegen technischer Unzulänglichkeiten. In einem Bericht der US-Behörde „Operational Test and Evaluation“ war das Fluggerät schon im Mai 2011 als „für den Einsatz ungeeignet“ eingestuft worden. Von weiteren Ankäufen des Modells durch die US-Streitkräfte wurde Abstand genommen. Die Beschaffungsbürokratie im BMVg focht das nicht an.
Kann alles nicht wahr sein? Im Gegenteil – und noch getoppt: Der Entwicklungsvertrag mit Northrop Grumman enthält eine „Bemühensklausel“, der zufolge sich die Firma lediglich „nach besten Kräften bemühen“ müsse, den Vertrag zu erfüllen. Sollte das jedoch wider alle Mühen nicht gelingen, dann gilt für die deutsche Seite: Pech für die Kuh Elsa – die Kosten sind trotzdem zu berappen.
P.S.: Indizien sprechen dafür, dass de Maizières Outing als „ahnungslos“ vor dem Verteidigungsausschuss am 5. Juni nur eine Schutzbehauptung – und eine unwahre dazu – gewesen sein könnte. Der Donaukurier jedenfalls zitierte bereits einen Tag nach des Ministers Einlassung aus einem Gespräch, das im Zuge eines Redaktionsbesuchs de Maizières am 7. Mai in Ingolstadt geführt worden war, sechs Tage bevor der Minister erstmals von den „unlösbaren“ Problemen beim Euro Hawk erfahren haben will. Dabei habe de Maizière auf die Frage, ob die Bundeswehr wie geplant fünf Euro Hawk-Exemplare beschaffen werde, geantwortet: „Im Moment sieht es nicht so aus.“ (Nach Recherchen des Spiegel war die BMVg-Spitze übrigens bereits Anfang vergangenen Jahres über das gesamte Ausmaß des Drohnen-Desasters im Bilde.) Sollten sich diese und andere Indizien dahingehend erhärten, dass de Maizière den Verteidigungsausschuss belogen und auch bei anderen Gelegenheiten nicht bei der Wahrheit geblieben ist, dann könnte die Frage „War der Minister informiert oder nicht?“ doch noch entscheidend werden – zwar nicht für die Bewertung des Skandals insgesamt, wohl aber für das Verfallsdatum des Karrierepolitikers de Maizière.
Schlagwörter: BMVg, Bundestag, Bürokratie, Drohnen, Euro Hawk, Rüstung, Thomas de Maizière, Wolfgang Schwarz