von Günter Hayn
Am 15. Januar wollte der Haushaltsauschuss des Bundestages in Sachen Berliner Flughafengesellschaft (FBB) tagen. Dem Bund gehören 26 Prozent der Gesellschafteranteile, den Ländern Berlin und Brandenburg jeweils 37 Prozent. Die Pleitenbaustelle bei Schönefeld ist ein gemeinsames Projekt. Der Ausschuss konnte seine Fragen nicht loswerden. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der seit Monaten zwar nicht Gott, aber doch alle Welt mit Ausnahme der eigenen Person für das Debakel haftbar macht, konnte sich nicht äußern. CDU und FDP brachen die Sitzung ab, weil die Herren Klaus Wowereit (SPD/Berlin) und Matthias Platzeck (SPD/Brandenburg) nicht erschienen. Beide schoben Kabinettssitzungen vor, hätten sich aber durchaus dort vertreten lassen können.
Das Possenspiel im Bundestag war für die Abgeordnete Gesine Lötzsch (Die Linke) Anlass zu erklären, dass Ramsauer „seiner Aufgabe als Verkehrsminister nicht gerecht“ werde, daher müsse Ramsauer selbst in den Aufsichtsrat. Sie attestierte dem Minister also Versagen, um ihn stante pede in jenes Gremium zu schicken, dem unisono bislang Versagen attestiert wurde. Tolle Logik. Jedoch zog das den letzten Abtaucher, eben jenen „Haltet-den-Dieb-Minister“, an die Oberfläche des BER-Sumpfsees. Im Aufsichtsrat der FBB sitzt „nur“ dessen Staatssekretär Rainer Bomba (CDU). Den zweiten Sitz des Bundes in diesem Pleiten-Gremium besetzt der Bundesfinanzminister. Auch der lässt sich von einem Staatssekretär, einem gewissen Werner Gatzer (SPD!), vertreten. Lötzschs Partei, die Linke, ruderte übrigens tags darauf später wieder zurück und versuchte, den Großen Frieden auszurufen: „Wer immer ein Gegeneinander der Miteigentümer des Flughafens zum Zweck der eigenen Profilierung über die Fertigstellung des Vorhabens stellt, nimmt neue Schuld auf sich“, heißt es in einem Antrag der Fraktion vom 16. Januar. Dieses Herumeiern hat Gründe.
Dass aber zwei SPD-Ministerpräsidenten, die sich unklugerweise eben nicht von Staatssekretären im Flughafen-Aufsichtsrat vertreten ließen, ausgerechnet im Bundestagswahljahr ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten, war nun ein Super-GAU für die steinbrückgeschüttelte Partei. Zum Glück für sie wurde Wowereits Sturz, genau genommen seine Rücktrittsabsicht aufgrund des erheblichen öffentlichen Druckes, ausgerechnet von der CDU aufgefangen. Seit den Wahlen vom September 2011 regiert in Berlin eine große Koalition. Ein Ausfall Wowereits wäre für die Hauptstadt-SPD zur Katastrophe geworden. Peinlicherweise verkündete deren Fraktionsvorsitzender Raed Saleh, der sieht sich selbst als potenzieller Nachfolger, dass man „den Regierenden“ zum Bleiben überreden musste. Politisch gilt so etwas als verordneter Tod auf Raten: Seit dem 4. Januar geistert die Nachfolgefrage durch die Korridore von Abgeordnetenhaus und Parteibüros, die Presse wird immer wieder mit gezielten Indiskretionen gefüttert. Spätestens seit dem Sturz des Wowereit-Vertrauten Stadtentwicklungssenator Michael Müller vom Parteivorsitz durch die „linken“ Sozialdemokraten (was auch immer das ist) Saleh und Jan Stöß liegt mehr als eine offene Rechnung auf den Kontortischen der Berliner SPD.
Und die CDU? Nach über zehn Jahren Entzug wollte die Partei die Droge Macht nur ungern wieder verlieren. Im Aufsichtsrat der FBB sitzt neben Klaus Wowereit auch Innensenator Frank Henkel (CDU). Der ist Wowereits Stellvertreter. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, aber auf SPD-Ticket im Senat) hat diese undankbare Aufgabe seiner Staatssekretärin Margaretha Sudhoff übergeholfen. Henkels Kompetenz? Möglicherweise der Brandschutz, ihm untersteht die Berliner Feuerwehr.
Aber auch bei der Person Frank Henkel, der bei einem Sturz Wowereits ebenfalls den Hut hätte nehmen müssen, steht für die Berliner CDU die Nachfolgefrage. Auch hier gibt es mögliche Nachfolgekandidaten nur in der zweiten Reihe – Justizsenator Thomas Heilmann wird als Favorit gehandelt, auch Mario Czaja (Senator für Gesundheit und Soziales) rechnet sich Chancen aus. Heilmann ist jedoch zu erfahren, um seinen Namen vorschnell verbrennen zu lassen, und Czaja gilt in der Partei noch als zu unerfahren. Die Berliner CDU hat zudem das Kunststück fertig gebracht, binnen kürzester Zeit gleich zwei ihrer Senatoren in die Wüste zu schicken. Nach nur zwölf Tagen Amtszeit musste Justizsenator Michael Braun gehen. Er stolperte im Zusammenhang mit dubiosen Immobiliengeschäften, die man ihm anzulasten versuchte. CDU-Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz hielt sich immerhin ein dreiviertel Jahr im Amt. Dann wurde sie geschasst: Berlin hat zwar eine schwachbrüstige Wirtschaftsstruktur, aber intrigenerfahrene Lobbby-Verbände. Von Obernitz begann leichtfertig eigene Ideen zu entwickeln. Ihre Nachfolgerin Cornelia Yzer (erfahrene Frontfrau der Pharma-Industrie) beschäftigt einen Stab aus zwei Staatssekretären, vier Abteilungsleitern und 19 Unterabteilungsleitern. Da hätten viele Vieles zu verlieren, die passen jetzt besser auf. In anderen Senatsverwaltungen ist das ähnlich. Berlin ist ein Stadtstaat… Solange die Stadt Bundesland spielen darf, wird sich dieser Apparat nicht ändern.
Der Ärger der Berliner CDU mit ihrem Personal hält an. Noch ist der Ausgang der Affäre um Czajas Staatssekretär Michael Büge offen. Der ist „Alter Herr“ der „Gothia“, einer schlagenden Verbindung, die Mitglied der „Burschenschaftlichen Vereinigung“ ist. Das ist nun kein Trachtenverein, sondern eine ziemlich rechtslastige Truppe. Was an Personen danach kommt, gilt in der Partei als kaum ministrabel. Das ist eine der vielen Gemeinsamkeiten, die die Berliner CDU mit der dortigen SPD teilt. Beider politisches Personal zeichnet sich – mit wenigen Ausnahmen – durch hochgradige Mittelmäßigkeit aus. Nicht umsonst tendiert das politische Gewicht beider Landesverbände in den jeweiligen Bundesparteien gegen Null.
Allerdings besaß ein CDU-Mensch die Torheit, trotz der schwierigen Gemengelage ausgerechnet in Potsdam, wo man seit dem unfreiwilligen Abgang der Hardlinerin Saskia Ludwig vom Parteivorsitz im September 2012 verzweifelt um Wiederherstellung zumindest des Anscheins von Solidität ringt, zu zündeln. Dieter Dombrowski, Fraktionsvorsitzender im Landtag, bezeichnete noch am 14. Januar auf einer Sondersitzung Ministerpräsident Platzeck als „Master of Desaster“ und sprach ihm jegliche Eignung für den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden ab, den er nunmehr – auch mit Billigung der Bundes-CDU – innehat. Klaus Wowereit ist jetzt Stellvertreter. Ralf Christoffers (LINKE), Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg, sowie Helmuth Markov (LINKE), Minister für Finanzen ebenda, vertreten ebenfalls das Land mit dem roten Adler im Wappen. Dem war es geschuldet, dass sich die brandenburgische Linkspartei in beeindruckender Geschlossenheit gegen die Oppositionsangriffe stellte. Auch sie will ihre Regierungsbeteiligung nicht gefährden.
Ihr Sekundant in dieser Frage ist der Berliner Landesverband der Linken, seit 2011 nicht mehr im Aufsichtsrat vertreten. Zuvor hatte der zehn Jahre lang jede, aber auch jede Entscheidung zum „Problem-BER“, wie Spötter den Airport seit längerem bezeichnen, mitgetragen. Jetzt unterstützte man halbherzig (als die Krisentelefone glühten, brach Fraktionsvorsitzender Udo Wolf seinen Ski-Urlaub mitnichten ab) den Misstrauens-Antrag von Grünen und Piraten gegen Klaus Wowereit – und sicherte im gleichen Atemzuge den brandenburgischen Genossen uneingeschränkte Solidarität zu. Schließlich stünden die zuvörderst für eine soziale Politik im Lande. Keiner will’s also gewesen sein. Niemand ist bereit, Verantwortung für die lange Liste von Fehlentscheidungen zu übernehmen. Für alle gilt die Losung, die der Berliner CDU-Fraktionschef Florian Graf am 10. Januar in einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses ausgab: „Wir haben eine Flughafenkrise, keine Regierungskrise.“ Keine Regierung hat mit diesem Flugplatz etwas zu tun. Und vor möglichen Neuwahlen fürchten sich alle, auch die Oppositionsparteien.
Harald Martenstein brachte es in der Zeit auf den Punkt: „Im Kern wird Berlin bis heute von der alten, sagen wir: bodenständigen West-Berliner Elite aus Mauertagen regiert … Das wirkt deswegen so seltsam, weil Berlin in jeder anderen Hinsicht, außer in der Politik, heute eine völlig andere Stadt ist als 1989. … man findet überall brillante und originelle Köpfe. Nur in der Berliner Politik findet man solche Leute selten.“ Die Flughafen-Affäre zeigt die Auswirkungen dieser Zustände. Die Süddeutsche Zeitung meint: „Derzeit lässt sich am Beispiel des Berliner Nicht-Flughafens beobachten, wie schnell und rückstandsfrei politische Verantwortung zu verdunsten scheint.“ Die Zeche zahlen allemal andere. Der aufsichtsunwillige Aufsichtsrat ist nach wie vor im Amte. Am 16. Januar setzte er immerhin den Flughafenchef Rainer Schwarz vor die Tür. Dem steht wohl eine siebenstellige Abfindungssumme zu. Die vielen Menschen in der Region, die auf die „Jobmaschine“ BER setzten, wären schon mit einem Arbeitsplatz zufrieden. Klaus-Peter Müller neulich in der Berliner Zeitung: „Mein Eindruck ist, dass die Interessen der Aktionäre besser geschützt werden, als die der Steuerzahler.“ Der Mann weiß, wovon er spricht. Er ist Aufsichtsratschef der Commerzbank.
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