von Wolfgang Brauer
Ganz oben auf der alljährlich erstellten Liste der „100 peinlichsten Berliner“ einer hauptstädtischen Programmzeitschrift wird 2010 garantiert ein gewisser Harald Ehlert („Maserati-Harry“) stehen. Der ist Jahrgang 1962, stammt aus Detmold und war bis vor kurzem Geschäftsführer der Berliner Treberhilfe gGmbH. Wie der ihm von einem Boulevardblatt verliehene Spitzname schon sagt, fiel er durch die allzu forsche Benutzung eines „Maserati“ auf. Das war der Dienstwagen. Privat bevorzugt Ehlert „Jaguar“. Bekannt wurden jüngst auch seine kulinarischen Vorlieben für Jakobsmuscheln und Hummer. Daneben mag er Whirlpools und Saunagänge in der Treberhilfevilla in Caputh. Fontane nannte das Nest einmal vorausschauend „Chicago am Schwielowsee“.
Die Berliner Treberhilfe betreut etwa 3000 hauptsächlich junge Obdachlose und beschäftigt dabei 280 Mitarbeiter. Das ist ein guter Betreuungsschlüssel. Sowohl die ehemalige Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner als auch Nachfolgerin Carola Bluhm (beide Die Linke) bescheinigten der Treberhilfe die „durchgehend gute Qualität der Arbeit“. O-Ton Knake-Werner: „Ehlert … hatte nicht nur ein gutes Konzept, sondern auch akzeptable Ergebnisse.“ Die aber offensichtlich nicht nur in der Sozialarbeit. Man munkelt von einer stattlichen Rendite der Gesellschaft so zwischen neun und zehn Prozent. Davon hat Harald Ehlert sich ein Jahresgehalt von zuletzt gut 350 000 Euro bezahlt. Er konnte das als sich selbst kontrollierender Geschäftsführer einer GmbH, an der er selbst 50 Prozent der Anteile hält. Interessant und bislang unbeantwortet ist die Frage, wie eine dermaßen exorbitante Summe aus einer in beträchtlichem Umfange fallkostensatzfinanzierten, also aus Zuwendungen der öffentlichen Hand, „Geschäftstätigkeit“ erwachsen kann.
Diese Frage stellt sich auch die in der Angelegenheit ziemlich hilflose Berliner Sozialverwaltung. Senatorin Bluhm hat Strafanzeige gegen Ehlert gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt laut Agenturmeldungen wegen „Verdachts auf Untreue“. Aber selbst die skandalerfahrene Berliner Presse hat an deren Erfolg Zweifel. Die Suche nach fehlerhaften Abrechungen zum Beispiel werde, so der „Tagesspiegel“, „Insidern zufolge vorübergehen, ohne an dem Bollwerk der Treberhilfe Schäden zu hinterlassen.“ Berlin kann sich der Treberhilfe gegenüber noch nicht einmal bockig stellen: „Wenn die Leistungen erbracht werden, kann deren Bezahlung nicht verweigert werden … Wenn die Treberhilfe in der Lage ist, die Leistungen zu erbringen, hat das Land keine Grundlage, sich einer Verlängerung [der Verträge mit ihr – Br.] zu verweigern.“ So jedenfalls Thomas Dane, seines Zeichens Vorstand des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Der fürchtet aus mehreren Gründen den Präzedenzfall.
Die SPD-nahe Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Paritätische Wohlfahrtsverband fordern den Senat jetzt auf, „endlich zu ermitteln“, wie die Treberhilfe derart üppige Überschüsse erzielen konnte. „Die Parität hält es für notwendig, dass auch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit erfolgt“, so Oswald Menninger (Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin). Hans-Wilhelm Pollmann (Geschäftsführer der Berliner AWO) legt nach und beklagt, daß der gesamte Sozialsektor „in Mitleidenschaft gezogen“ werde. Pollmann vergißt dabei, daß auch die AWO aktuell von einem Sozialskandal geschüttelt wird. Der betrifft allerdings den Landesverband Schleswig-Holstein in Form von Altenpflegeleistungen in Neumünster.
„Nicht wenige in den Sozialverbänden würden es begrüßen, wenn der Senat der Treberhilfe den Geldhahn zudrehen und die GmbH in die Insolvenz schicken würde. Dann wäre man Ehlert und seine Gefolgsleute los …“, schrieb die „Berliner Morgenpost“ am 21. April in bemerkenswerter Offenheit. Der Hintergrund der Forderungen dieser Herren ist banal. Der Vertrag des Landes Berlin mit der Liga der Wohlfahrtsverbände, der sogenannte Liga-Vertrag, läuft Ende des Jahres 2010 aus. Kern dieses Vertrages ist eine Regelung, dass jährlich 13 Millionen Euro im Rahmen der Geschäftsbesorgung durch die Liga treuhänderisch verwaltet und von ihr an die einzelnen Sozialprojekte verteilt werden. Da will man das Problemkind Treberhilfe rasch loswerden.
Maserati-Harrys 350 000 Euro Jahreseinkommen sind nun wirklich happig, 105 000 Euro Jahreseinkommen, die Paritäter Menninger nach eigenen Angaben bezieht, aber auch nicht zu verachten. Was die anderen Herrschaften im Sozialmanagement an Bezügen kassieren weiß niemand so genau. Diese Daten möchte Senatorin Bluhm gerne öffentlich machen. Es wird ihr nicht gelingen. Zuviel Transparenz würde das Geschäft versauen. Wie sagte Pollmann? Der gesamte Sozialsektor werde „in Mitleidenschaft gezogen“.
Neu sind die Vorwürfe an Ehlert übrigens nicht. „Hol schon mal den Maserati“ übertitelte am 22.12.2008 der Berliner „Tagesspiegel“ einen Artikel Thomas Loys. Daß man sich an diese ausgerechnet nach einer von Ehlert am 12. Februar 2010 im Rathaus Schöneberg veranstalteten Treberhilfe-Konferenz unter dem Titel „Social Profit“ erinnerte, war für Kenner der Szene kein Zufall. Der Veranstalter schwadronierte dort vor prominentem Publikum – mit Ausnahme der Linken war die neoliberale Politschickeria aller Berliner Parlamentsparteien vertreten – über „künftige Einnahmen staatlicher Institutionen aus sozialen Dienstleistungen“ und potentielle „Einspareffekte für öffentliche Haushalte aus diesen“. Das ging gegen die anderen Sozialunternehmer, denen er ziemlich unverblümt einen Platz am Katzentisch betriebswirtschaftlicher Eleven zuwies. Tatsächlich geht es im Geschäft mit der Armut um einen Batzen Geld. Allein in Berlin werden jährlich 2,3 Milliarden Euro aus verschiedensten Töpfen und auf verschiedensten Wegen für Sozialausgaben verwendet. Nach Angaben der Sozialverwaltung sind in diesem Bereich nur in Berlin bei den so genannten „freien Trägern“ mehr als 100000 Menschen beschäftigt. Sie lesen richtig: Die Zahl hat fünf Nullen. Es gebe „keinen Bereich öffentlicher Leistungen, wo so viel Geld ohne öffentliche Kontrolle ausgegeben wird“, meinte dieser Tage der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky. Der weiß, wovon er spricht. 70 Prozent des Neuköllner Bezirkshaushaltes, das sind 480 Millionen Euro (!) gehen für Sozialausgaben drauf. Die „Berliner Zeitung“ schrieb jüngst von einer „Undurchsichtigkeit des Systems“, und Heidi Knake-Werner äußerte, wenn man die soziale Arbeit Wirtschaftsunternehmen übertrage, müsse man sich nicht wundern, wenn diese „wie Privatunternehmen handeln und stattliche Gewinne machen.“ Bei der Treberhilfe habe sie ansonsten schon „länger ein Unbehagen“ gehabt. Aber wie gesagt, „niemand hat bezweifelt, dass die Treberhilfe mit dem öffentlichen Geld gute Arbeit leistet.“ Unbehagen allein hilft halt nicht.
Harald Ehlert selbst bezeichnete sich im Dezember 2008 Loy gegenüber als „Sozialkapitalist“. Das hätte wohl auch Jeremias Peachum, der Londoner Bettlerkönig aus Brecht-Weills „Dreigroschenoper“ mit gutem Gewissen unterschreiben können. Und Ehlerts Vorwurf der Bigotterie an seine Konkurrenten ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Natürlich erhalten die Träger ihre Gelder bei den entgeltfinazierten Leistungen für ein Produkt. Natürlich geht der Staat bei der Berechnung von dessen Kosten von Tariflöhnen aus. Der schon zitierte Bürgermeister Buschkowsky rechnet vor: 30 Euro zahlt der Bezirk pro Stunde für Familienhelfer. Das wäre der geltende Tarif. „Wird ein Student der Sozialpädagogik für 10 Euro eingesetzt, macht der Träger einen Schnitt. Das können wir nicht kontrollieren. […] Die Träger schauen schon, dass sie ihr Auskommen haben“, räumt der ob seiner ansonsten sehr flotten Sprüche berüchtigte Kommunalpolitiker kleinlaut ein.
Bisher war nur von Berlin die Rede. Im System der Sozialausgabenverteilung rotierten 2008 in Deutschland 186 Milliarden Euro, Tendenz immer noch steigend. Das lohnt sich schon und da ist im Umgang mit „Wettbewerbern“ Zimperlichkeit fehl am Platze. Auch mit Nestbeschmutzern – bei Trebers werden Störenfriede jetzt rausgekantet. Und die anderen Sozialindustriellen wollen „Ausreißer“ wie Harald Ehlert irgendwie ausschalten. Notfalls wird die Treberhilfe, wenn Finanzamt und Staatsanwaltschaft schon nichts Bestrafenswertes finden, per Auftragsentzug in die Insolvenz getrieben. Der schon zitierte Diakonie-Vorstand Dane appellierte auf einer Fachtagung der Berliner Sozialverwaltung und der Diakonie am 22. April – die fand im sinnigerweise im selben Saale statt wie Ehlerts „Social Profit“-Schaffe – an die Sozialverbände, man müsse doch „in der Transparenz-Diskussion zu einem Schulterschluß kommen und möglichst nur noch mit einer Stimme“ sprechen. Missstände wie bei der Treberhilfe seien doch absolute Ausnahmefälle …
Der Fehler liegt tatsächlich im System. Aber umfassender als die „Berliner Zeitung“ meint. Der von Senatorin Bluhm und Diakonie-Direktorin Kahl-Passoth geforderte „Verhaltenskodex“ in Sachen finanzieller Transparenz wird da nichts helfen. Der ist noch nicht aufgeschrieben und wird jetzt schon aufgeweicht. Ausgerechnet aus Kreisen der Diakonie wird zum Beispiel die anonymisierte Erfassung der Managerbezüge vorgeschlagen, die dann „für Vergleiche“ zur Verfügung stehen sollten. Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Das System gehört abgeschaltet. Wenn schon nicht das, das Sozialhilfebedarf produziert (das wäre ja Revolution), so doch das System der Sozialversorgung durch kapitalgestützte Unternehmen. Staatliche Aufgaben gehören wieder in staatliche Hand.
Schlagwörter: Carola Bluhm, Harald Ehlert, Heidi Knake-Werner, Treberhilfe, Wolfgang Brauer