von Günter Hayn
Daraus werden Königsdramen gemacht: Zwei Herrscher vereinen ihre Reiche, um gemeinsam einem übermächtigen Dritten den Garaus zu machen. Sie haben aber nicht mit dem ausgeprägten Ego ihrer Heerführer gerechnet, die selbst nach der Krone gieren und deswegen die diversesten Zweckbündnisse anzetteln, um sich zeitgleich im Hintergrund wechselseitig die Elitetruppen abzuwerben. Natürlich leisten auch geltungssüchtige Königinnen und machtgeile Prinzessinnen ihren Beitrag – um schlussendlich mit zerrissenen Kleidern wirren Blickes über eine blutige Walstatt zu irren, auf der die Helden mit gebrochenen Augen ziemlich unheldisch herumliegen.
Shakespeare und Schiller hätten uns wunderbare Dramen beschert und Joseph L. Mankiewicz eine großartige Verfilmung.
Aber die Hauptdarsteller in dem Stück, von dem hier die Rede ist, heißen nicht Marlon Brando und James Mason. Sie heißen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Zum Königsdrama fehlen die Könige und der Story die Größe. Wer den „Lear“ kennt weiß, dass Größe, selbst wenn der Held im Schlamme liegt, möglich ist. Hier ist viel Schlamm, aber sind keine Helden.
Die Rede ist vom Parteitag der Linken, der am 2. und 3. Juni 2012 zu Göttingen an der Leine stattfand. Bitter ist, dass das, was dort als Untergangsinszenierung aufgezogen wurde, eigentlich nur die turnusmäßige Vorstandswahl einer Partei war, die bundespolitisch bislang die Rolle Beelzebubs spielte, in einzelnen Bundesländern hingegen einer abgewirtschafteten Sozialdemokratie mit Knochenmarkspenden wieder auf die Beine half – um anschließend wieder vor die Tür gestellt zu werden. So geschehen in Sachsen-Anhalt (hier durfte man zwei Wahlperioden lang „tolerieren“), in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. In den letzgenannten Bundesländern durfte man sogar mitregieren, nicht regieren. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Überall wo sich die scheinbare Möglichkeit auftat, dass der rote Beelzebub in die Rolle eines Bestimmers gelangen könnte, wurde er nicht eingelassen. Wegen der Vergangenheit.
Vergangenheit muss man allerdings mit denken, wenn man verstehen will, was momentan in der Linkspartei abläuft. Sonst geht man leicht dem zu schlichten Erklärungsbild vieler Medien auf den Leim. Es ist nicht der Streit zwischen Ost und West – Gregor Gysi beschwor diesen in seiner Parteitagsrede auf eine flammende, dennoch genial danebenliegende Weise.
Sicher, von den etwa 41.500 Mitgliedern Ost gehört ein erheblicher Teil zu den Restbeständen der Zweimillionenpartei SED. Nicht wenige sind in den letzten 20 Jahren allerdings auch hinzugekommen.
Sicher, viele von den knapp 26.700 Mitgliedern West sind enttäuschte Sozialdemokraten, frustrierte Gewerkschafter, verbalradikale Intellektuelle und alte Linksaktivisten unterschiedlichster Couleur. Aber so disparat deren Erscheinungsbild auch erscheinen mag – ähnliche Differenzierungen kann man bei einem genaueren Blick auf die Basis der Ostverbände auch feststellen. Mit einem Unterschied: Die Funktionärsriegen der Landesverbände Ost werden überwiegend beherrscht von Mitgliedern einer die Weltweisheit mit Löffeln gefressen habenden Strömung namens „Forum Demokratischer Sozialismus“ (fds). Deren Haupthirsch ist der gescheiterte Berliner Staatssekretär Benjamin Hoff, seit Jahren mit dem bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung untergekommenen Horst Kahrs leidenschaftlicher Strippenzieher in dieser Vereinigung. Nach außen wird fds von Politikern wie den Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich, Halina Wawczyniak und Matthias Höhn repräsentiert.
Wenn in Göttingen vor entscheidenden Wahlrunden aufgerufen wurde, „Die Ostverbände versammeln sich!“ – dann konnte man sicher sein, in ein Funktionärstreffen eben dieses fds hineinzugeraten.
Die Parteibasis in den Landesverbänden selbst ist in sich zerrissener: Erfüllt von großem innerparteilichen Harmoniebedürfnis („nun vertragt Euch endlich, das nützt nur dem Gegner und die bürgerlichen Medien lauern doch nur…“) kommt sie oft nicht mit der Erkenntnis klar, dass es in den letzten Jahren vielfach die eigenen Genossen waren, die – natürlich immer unter dem Zwang der Umstände – Sozialabbau eben nicht verhinderten, die Privatisierung öffentlichen Eigentums eben nicht stoppten (beides eher noch im Gegenteil) und anstatt sich wegen der Militärflugzeuge weiter an den Toren der ILA in Schönefeld anzuketten, dieser „Rüstungsgütermesse“ einen neuen Messestandort finanzieren halfen. Das kostete erheblich Wählerstimmen und vergraulte Menschen, die ihre politische Haltung ernst nehmen und nicht einem vordergründigen Nützlichkeitsdenken unterwerfen.
Es war weniger das partielle Scheitern linker Mitregierungspolitik, die die Wähler den Regierungssozialisten vorwerfen – so dämlich sind die nun auch wieder nicht, dass sie nicht wüssten, was ein kleiner Koalitionspartner bewirken kann und was nicht. Vorgeworfen wurde und wird das Nichtseinlösen jahrelang geschürter, sehr ambitionierter Erwartungen. Bei anderen Parteien war man die Lüge als Instrument der Tagespolitik gewohnt. Von Linkspolitikern erwartete man grundsätzlich anderes. Wer einmal erlebt hat, mit welcher Verve sich linke Landesparlamentarier vor von der Opposition attackierte sozialdemokratische Minister warfen wird sich nicht wundern, dass die Linke bei den entsprechenden Wahlen nicht nur in Mithaftung genommen, sondern als Hauptschuldige abgestraft wurde. Und überdies verdeckten die Anpassung an vermeintliche Koalitionszwänge wie auch das Schönreden misslicher Entscheidungen in der Öffentlichkeit tatsächliche Erfolge. Wer all das nicht mitbekam, war die Funktionärsriege. Die gewünschte Realität entsprach immer weniger der vor den Türen der linken Planungsbüros.
Darin ähnelt das fds seinen Feinden vom ganz linken Flügel der Partei. Beider Verhältnis zueinander meinte Gregor Gysi, als er in seiner Göttinger Rede von „Hass“ in der Bundestagsfraktion sprach. Nur dass die Antikapitalistische Linke AKL (welch wunderbarer semantischer Schwachsinn liegt allein in dieser Namensfindung!) und die Sozialistische Linke SL Tagträumen von revolutionären Wolkenkuckucksheimen nachhängen und ideologisch korrekt jede imperialismusfreundliche Abweichung in der Partei erbarmungslos aufdecken und konsequent bekämpfen. Linke Kommunalpolitiker in den alten Bundesländern, die ihren Wählerauftrag ernst nehmen, treibt so etwas wieder zurück in eben die Parteien, die sie erst vor wenigen Jahren frustriert verlassen hatten. Macht nichts! Waren es eben die Falschen und revolutionäre Wachsamkeit muss sein!
Einer der Wortführer dieser Truppenteile ist ein Schlagerdichter namens Diether Dehm („Tausendmal berührt…“). Der fiel neulich auf – das Neue Deutschland zitierte einen Brief an Fraktionskollegen Jan Korte, denn die Genossen schreiben einander „offene Briefe“, – weil er sich beklagte, dass unter der Ägide von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch „Stellenbesetzungen und Abteilungsleiter“ im Bundesvorstand seiner, also Dehms Anhängerschaft „niemals geöffnet, sondern diese mit teilweise sehr rigiden Mitteln ausgegrenzt und unterdrückt“ worden sei. Damit ließ er die Katze aus dem Sack. Um Posten geht es, um Macht und Einfluss, irgendwo auch ums Geld.
Lange hat der linke Lack die Karosserieschäden darunter abgedeckt. Vor Göttingen schlug er Blasen. Auf dem Parteitag platzten diese. Die neue Vorsitzende Katja Kipping gab ihre im Vorfeld verkündete Idee eines „Dritten Weges“ auf. Sie wollte mittels einer Frauen-Doppelspitze mit der NRW-Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen im Parteivorsitz den Hahnenkämpfen ein Ende bereiten. Ihre Partnerin warf aber das Handtuch, um Platz für den Lafontaine-Vertrauten Bernd Riexinger aus Baden-Württemberg schaffen. Riexinger wurde gewählt, Bartsch hinausgekegelt. Lafontaines Lebensgefährtin Sarah Wagenknecht blieb züchtig in der zweiten Reihe. Nach der Wahl Riexingers sangen dessen Anhänger im Saal die „Internationale“ und einige vor dem Saal: „Ihr habt den Krieg verloren!“. Gemeint waren die „Bartschisten“, die auch noch ziemlich lächerliche Trikots trugen. Für die äußerte sich am selben Abend die Schweriner Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow auf phoenix „skeptisch über die Wahl Riexingers“. Und stellte gleich einmal die „Wahlkampffähigkeit“ der neuen Parteiführung in Frage. Ring frei also. Katja Kipping galt schon am ersten Tag ihrer Amtszeit als „Verräterin“ und ihr Partner im Amte als Rixi-Nixi.
Der gewählte Vorstand bildet nach wie vor die Frontlinien der Wochen „vor Göttingen“ ab. Da sind einige dabei, die einander tatsächlich herzlich hassen. Die Bundestagsfraktion kann ihre internen Kriege im Karl-Liebknecht-Haus fortsetzen. „Die Kluft ist tief“, kommentierte Dietmar Bartsch in der taz. „Die Reformer sehen sich nicht demontiert“, meinte das ND. Alle werden jetzt die Wunden lecken und weitermachen wie gehabt, „denn der Kampf geht weiter / weiter Tag für Tag / und manchmal eben auch des Nachts“. Nein, nicht für „den Sieg des Proletariats“, wie Franz Josef Degenhardt sang. Für den Sieg der eigenen Strömung über den wahren Feind. Das Proletariat ist indessen der Partei abhanden gekommen und baut im Zweifelsfall lieber Rüstungsgüter, anstatt „richtig rot“ zu wählen.
Göttingen war noch nicht das Ende der Linken. 60 Prozent der Deutschen meinen, so die taz aufgrund einer Emnid-Umfrage, dass die Partei sich wieder erholen werde. Die Berliner Zeitung kommentierte, dass die Hoffnung der organisierten Linken, „dass sie den riskanten, aber notwendigen Weg zu einer neuen, auch für neue Wähler attraktiven Linken finden könnte“, so gut wie zerstört worden sei.
Wir meinen, ein Funke Hoffnung bleibt: Wenn die Rudi Schultes (das Degenhardt-Lied) ihre Funktionäre wieder auf den Boden zurückholen und die „Strömungen“ dahin zurückschicken, wo sie herkamen: in die Mottenkiste der ideologischen Grabenkämpfe des 20. Jahrhunderts. Viel Zeit bleibt nicht. Demnächst wird man die Kandidaten für die anstehenden Bundestagswahlen nominieren müssen. „Wir haben kein Recht, diese linke Partei zu verspielen“, sagte Oskar Lafontaine. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Schlagwörter: Göttingen, Günter Hayn, Linke, Parteitag, Strömungen