28. Jahrgang | Nummer 18 | 20. Oktober 2025

Die Ästhetik der Amöbe

von Jutta Grieser

Im Becken vorm Haus versinkt die Freiheit, das Wasser reicht ihr bis zur Nasenspitze. Der Kompressor pumpt Luft in den gereckten Arm, der die Fackel hält. An der Balustrade dahinter schwingt sich ein Transparent, und Affengekreisch dringt aus den Lautsprechern. “You finally really dit it! You maniacs! You blew it up!“ Was soll das denn? Gottlob habe ich meinen klugen Sohn (Baujahr 1987) dabei, der mich aufklärt, dass es sich um ein häufig kolportiertes Zitat aus dem noch häufiger verfilmten „Planet der Affen“ handelt.

In der Schlussszene des Science-Fiction-Streifens aus Hollywood von 1968 sinkt der Astronaut Taylor am Ozeanstrand nieder, als er der Reste der Freiheitsstatue gewahr und ihm bewusst wird, dass die Erde von den Menschen in die Luft gejagt, also zerstört worden ist. Und er verflucht die Menschheit mit eben jenem Satz … – O, als Ossi hat man das alles nicht mitbekommen, wo’s doch augenscheinlich zur Weltkultur gehört. Film wie Zitat.

Bei der untergehenden Freiheit handelt es sich um eine Installation von Jan Böhmermann & Gruppe Royale, wie auf einem kleinen Schildchen am Rande des Beckens zu lesen: „Die Möglichkeit der Unvernunft“. Und diese Installation gehört zur Ausstellung, welche im Haus der Kulturen der Welt vier Wochen läuft und bundesweite Aufmerksamkeit erfuhr wegen des Streits um den ZDF-Clown und die wichtige Frage, ob seine Performance hier mit Steuermitteln finanziert oder nicht finanziert werde, und falls ja, ob dies zulässig sei. Sturm im medialen Wasserglas, was angesichts der existenziellen Probleme der Menschheit alles ziemlich Banane ist. Doch Wirkung erzielt. An diesem Samstag kommt keiner mehr rein, die Ausstellung ist ausverkauft.

Wir wollen allerdings zu „Global Fascisms“, einer anderen Ausstellung, die im hinteren Teil des Hauses gezeigt wird. Schwer auffindbar und nicht weniger verschlüsselt. „We hope this message finds you well“, lautet die Sichtagitation, die uns auf der Suche nach dem Eingang ins Auge fällt. Im Kellergeschoss entdecken wir endlich den Ausstellungssaal. Am Eingang trotzen wir der wachenden Kunststudentin ein „Handbuch zur Ausstellung“ ab, dessen Benutzung sie uns meint erklären zu müssen. Die meisten kämen damit nicht klar, sagt sie wie zur Entschuldigung.

Das sagt eigentlich schon alles.

Im Saal irren wir zwischen Installationen, Bildern, Monitoren, Fotos und Skulpturen umher. Nirgendwo ein einführendes Wort, keine Erläuterungen, nichts zu den Kunstwerken. Ist das Kunst oder kann das weg? Zwei Einkaufswagen in der Mitte des Raums, gefüllt mit leeren Plastikflaschen: Josh Kline 2016, Desperation Dilation – laut Katalog eine Auseinandersetzung mit den politischen, wirtschaftlichen und technologischen Krisen dieser Welt. Aha.

Auf einem Podest ein polierter Polizeihelm, Robin Rhodes Impis I-XIII (2008), ein in Berlin lebender Südafrikaner. Katalogtext: Das Werk drücke „ein Gefühl der Überwachung und gewaltsamen Kontrolle in einem bestimmten soziohistorischen Kontext aus“. Doch in Zeiten zunehmender politischen Repression könne das „auch als globale Warnung verstanden werden“. Soso.

Ein gefesselter Mann auf gelbem Grund mit chinesischen Schriftzeichen, Revolt of the Slave 2017. Die über drei Meter hohe Zeichnung von Hou Chun-Ming aus Taiwan „erzählt von einem Mann, der als Kind unter der Demütigung und Ablehnung seines Vaters zu leiden hatte“. Ach nee.

In einem hölzernen Kasten läuft in Endlosschleife ein Video, wie ein Nackter mit einem grünen Riesenschwanz alles um sich herum zerkloppt. Der Penis hängt auch draußen am Gehäuse und erweist sich bei näherer Betrachtung als die aneinandergefügten japanischen Hauptinseln. Fuyuhiko Takata, 1987 in Hiroshima geboren, karikiere auf diese Weise männliche Vormachtstellungen, Japan Erection 2010. „Die Slapstick-Comedy und der Spott in diesem Video gehören zu den stärksten Werkzeugen, die gegen den weltweiten Aufstieg des Faschismus derzeit zur Verfügung stehen“, heißt es dazu im Katalog.

Na, da habe ich so meine Zweifel.

Doch der speist sich aus dem antiquierten Wissen, dass es sich beim Faschismus um eine brutale Herrschaftsform des Kapitals handelt, um eine Diktatur der Ökonomie, die alles und jeden ihrer Profitgier unterwirft. Dabei wird zerstört und vernichtet, am Ende selbst der Mensch, der dieses System geschaffen hat und noch immer am Leben hält. Ich merke, dass ich in der falschen Ausstellung bin, denn davon sehe ich nichts. Oder doch? Vielleicht muss man nur anders denken, als es unsereiner zu denken gewohnt ist?

Im unübersichtlichen Katalog dieser unübersichtlichen Ausstellung finde ich den Schlüssel für meine Verstörung. Ein Zitat des französischen Philosophen Michel Foucault offenbart den roten Faden, es geht um den „Faschismus in uns allen, in unseren Köpfen und in unserem alltäglichen Verhalten“. Darauf muss man erst einmal kommen. Mir wird der Historiker Hans-Ulrich Wehler immer sympathischer, der Foucault für einen schlechten Philosophen hielt, welcher sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften des Westens völlig zu Unrecht großer Resonanz erfreue. Hier also auch.

Faschismus wird gänzlich seines gesellschaftlichen Charakters entledigt, oder wie die Ausstellungsverantwortlichen bedeutungsschwer formulieren: „Global Fascisms stellt eine kritische Untersuchung der ästhetischen, sozialen und politischen Dynamik des Faschismus dar und nimmt seine Wirkung und ideologische Funktionsweisen in den Blick.“ Man unternehme „nicht den Versuch, die historischen Wurzeln von Faschismen zu untersuchen“, die Ausstellung „beschäftigt sich vielmehr mit den Funktionsweisen der Amöbe Faschismus, mit ihren Ästhetiken, Affekten und Konsequenzen für unser Leben“.

Ästhetik also statt Analyse. Selbst das Sprachrohr der Bourgeoisie zeigte sich sprachlos angesichts dieser Wirrnis. Verständnisvoll räumt die FAZ ein, dass Gegenwartskunst zwar nicht klar und verständlich sein müsse. „Aber gilt das auch, wenn es um das Thema Faschismus geht?“

Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist, wenngleich ein wenig verschwiemelt, durchaus überraschend. „Die Ausstellung präsentiert sich als unübersichtlich mäandernder Dschungel. 42 globale Positionen und eine Frage, die hinter der Vielzahl an Perspektiven zu verschwinden droht: Was genau heißt hier eigentlich Faschismus?“

So mäandere ich denn mit meinem Sohn durch diese Ausstellung und frage mich, was die mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds und „in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung“ versammelte Exposition bezweckt. Jetzt. Wo doch weltweit der Faschismus sich anschickt, erneut in staatliche Gewänder zu schlüpfen.

Die Ausstellung „Global Fascisms“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) läuft bis zum 7. Dezember, geöffnet täglich, außer dienstags, von 12 bis 19 Uhr, Eintritt frei.