Die von Andrej Babiš geführte Partei nennt sich ANO, es ist die Abkürzung für „Aktion unzufriedener Bürger“, was im Tschechischen zugleich „Ja“ bedeutet. Für die Wahlen zur Abgeordnetenkammer am 3./4. Oktober wurde das Parteilogo mit einem großen Versprechen versehen: „Ja, es wird besser werden“. Nun muss sich der Unternehmer, Milliardär und kommende Ministerpräsident daran messen lassen, ihm bleibt keine Wahl.
Im neugewählten zweihundertköpfigen Abgeordnetenhaus verfügt ANO über 80 Sitze, soviel sind die knapp 35 Prozent der abgegebenen Stimmen wert. Zuletzt hatte eine Partei bei den Wahlen im Herbst 2006 einen Wert von über 30 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht, auch das spricht für den Erfolg. Das bisherige liberal-konservative Regierungslager – geführt von Petr Fiala – kommt auf die gleiche Stimmenzahl wie ANO, hat aber wegen des Zuschnitts der Wahlkreise nur 74 Sitze. Babiš kann zudem auf eine Mehrheit verweisen, denn zusammen mit zwei kleineren Rechtsparteien hätte er 102 Sitze auf seiner Seite. Der Wahlsieger überrascht am Wahlabend die versammelten Medien dennoch mit der Botschaft: ANO wolle mit einer Minderheitsregierung alleine regieren und sich von den beiden Rechtsgruppierungen tolerieren lassen.
Nach der ersten Sondierungsrunde bei Staatspräsident Petr Pavel, der auf eine mehrheitsfähige Regierung pocht, korrigiert sich Babiš schnell, der Gedanke einer Minderheitsregierung ist vom Tisch. Zügig wird nun mit der Partei SPD (Freiheit und direkte Demokratie) und der Motoristen-Partei gesprochen. Um den politischen Bogen der künftigen Babiš-Regierung kurz zu umreißen, genügt ein Blick ins Europäische Parlament. ANO und Motoristen-Partei sitzen in der Fraktion „Patrioten für Europa“, dort also, wo Viktor Orbáns und Marie Le Pens Leute die Richtung prägen. Die SPD-Leute aber sitzen ganz rechts in der Fraktion „Europa der souveränen Nationen“, in der aus Deutschland die AfD den Anker geworfen hat.
Babiš selbst hatte ANO nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen im Herbst 2021 deutlich nach rechts gezogen, um die Fiala-Regierung von dorther zu stellen. In seinen ersten Regierungsjahren 2018 bis 2021 hatte er sich noch liberal gegeben, hatte eine Regierungskoalition mit der ČSSD (Sozialdemokraten) geschlossen und sich von den Kommunisten tolerieren lassen. Trotz der jetzt eingenommenen nationalkonservativen Position sind ihm die beiden künftigen Koalitionspartner mit dem Rechtsdrall viel zu unberechenbar, daher am Wahlabend der Gedanke, sich lediglich tolerieren zu lassen.
Eine verlockende Lösung kommt schnell in Sicht. Man einigt sich zunächst über die Verteilung der Ressorts und versucht die Klippe zu umschiffen, denn Staatspräsident Pavel hat frühzeitig angekündigt, keinen Minister zu ernennen, der sich gegen die Mitgliedschaft des Landes in der Nato und der EU ausspreche. Daraufhin bekommt SPD-Chef Tomio Okamura den Posten des Präsidenten der Abgeordnetenkammer angeboten, die beiden künftigen SPD-Ministerien, darunter das Innenministerium, sollen nun Fachleute übernehmen, keine Parteisoldaten. Nach diesem Muster will Babiš auch die Motoristen-Partei mit ihren drei Ministerien – darunter das Außenministerium – einbinden. Doch die Motoristen sind widerspenstiger, wollen ausgerechnet ihren Parteigründer Filip Turek zum Außenminister machen. Turek war bis zu den Wahlen EU-Abgeordneter, ein überzeugter Rechtsausleger. Schnell fischen findige Journalisten jede Menge bereits gelöschter Einträge im Netz heraus, die Turek im Laufe der Jahre als Gernegroß hier und dort über Gott und die Welt schriftlich von sich gegeben hatte. Alles unausgegorenes, wüstes Zeug eines rechtsgetrimmten Spinners, nur: Ausgerechnet der soll jetzt die Prager Diplomatie leiten! Ex-Präsident Václav Klaus, selbst konservativ bis ins Knochenmark und bekennender Brüssel-Gegner, hält das für ein starkes Stück. Er fordert die vernünftige Lösung, also statt Turek einen von der Partei bestimmten Fachmann in Sachen Diplomatie.
Staatspräsident Pavel wird Anfang November die neue Abgeordnetenkammer ins Leben rufen, dann soll nach den Vorstellungen von Babiš auch die Regierung schnell ins Amt treten. Manchmal scheint es jetzt, als wäre ihm eine Regierung mit einer der vier gemäßigten bürgerlichen Parteien aus dem bisherigen Regierungslager viel lieber gewesen, doch die winken schnell ab, nein, für ein solches Abenteuer stünden sie nicht zur Verfügung. Jetzt rächt sich die von Babiš im Wahlkampf gesuchte Polarisierung – hier diejenigen, die mutig und unerschrocken Tschechiens Interessen an die erste Stelle rücken, dort die Regierung, die tschechische Interessen leichtfertig verrate. Genau besehen, sucht Babiš jetzt ein Modell, das zwischen dem traditionellen Koalitionsmodell und einer bloßen Tolerierung einzuordnen wäre. Viele Beobachter gehen davon aus, dass ihm diese Konstruktion, sollte sie gelingen, allzu schnell auf die Füße fallen könnte.
Einen Vorgeschmack bietet der Blick auf die Ukrainepolitik. Tschechien gehört bislang zu den entschiedenen Ukraineunterstützern. Im Rahmen seiner Kampagne „Tschechien zuerst!“ hatte Babiš die künftige Kehrtwende in der Ukrainepolitik angekündigt. Gleich nach dem Wahlsieg wendet er sich an die tschechische Waffenindustrie: Wenn ihr Waffen an die Ukraine liefern wollt, bitte, ihr könnt es auch weiterhin tun, aber es wird von nun an keine Unterstützung mit Haushaltsmitteln mehr geben, keine einzige Krone mehr! Er verweist zugleich darauf, dass Tschechien der Ukraine ohnehin helfe, nämlich über den EU-Weg. Nach einem Telefongespräch mit Wolodymyr Selenskyj kurz nach der Wahl erklärt Babiš, die Ukraine weiterhin unterstützen und im nächsten Jahr schnell Kyjiw besuchen zu wollen. Die beiden kleinen Koalitionspartner in spe verstehen den Bruch mit der bisherigen Ukrainepolitik indes völlig anders. Womöglich bleibt in Prag doch noch so etwas wie ein Fünkchen Hoffnung: Es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird.
Schlagwörter: Andrej Babiš. Tschechien, ANO, Europa, Jan Opal, Petr Fiala, Tschechien


