28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 202

Sonnensucher

von Joachim Lange

Die bis Ende Oktober verlängerte Ausstellung „Sonnensucher! Kunst und Bergbau der Wismut“ in Zwickau ist ein Déjà-vu für alle, die bewusst in der DDR gelebt haben. Zu sehen sind Porträts von Arbeitern und Brigaden. Gemälde vom noch ungebrochenen Glauben an den Fortschritt und die Segnungen der Atomkraft sind Teil des Programms. Oft so, wie man es dem Klischee der Lesebücher und dem berühmten Band „Weltall Erde Mensch“ zur Jugendweihe entsprechend erwartet (oder erinnert). Oft aber auch überraschend anders.

Zum sogenannten sozialistischen Realismus gehören nun mal Illusionen und Zukunftsvisionen, die nur aus der Zeit heraus und nicht vom Ende des Experiments DDR her erklärbar sind. Diese Ausstellung mit Kunst, die im Auftrag der Wismut entstand und/oder vom Unternehmen gesammelt wurde, sind dafür ein Paradebeispiel.

Auch wenn es eigentlich gar nicht so geplant war, so passt die schon seit April laufende Ausstellung mit über 300 Gemälden, Grafiken und Fotografien unter ihrem keineswegs ironisch gemeinten Titel zum Umfeld der Kulturhauptstadt Chemnitz wie die Faust aufs Auge. Weil sie einen Blick zurück wirft, der im doppelten Wortsinn in den Untergrund der Landschaft und der Menschen sowie ihrer Geschichte führt. Beigesteuert von der Wismut, einem Unikum der DDR-Historie.

Diese SDAG (Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft) Wismut war nicht nur wie ein Staat im Staate organisiert und hat für die sowjetische Atomwirtschaft und -rüstung benötigtes Uran gefördert. Sie war auch auf eine Weise mit der bildenden Kunst verbunden, die zu den sonderbarsten Phänomen der untergegangenen Republik gehört. Die Kunstsammlung dieses solitären Großunternehmens umfasste – so der Kurator Paul Kaiser – bei ihrer Auflösung einen Bestand an Kunstwerken in der Größenordnung von 10.000 Postionen. Ein Teil davon war eine Art von Sammlung, mit der sich auch heute noch manche Unternehmen schmücken.

Der größte Teil der Werke aber ist im Auftrag der Wismut für und auch an deren Standorten entstanden. Eine Prämisse dieser für die Künstler lukrativen Aufträge war, dass die Werke etwas mit dem Bergbau und der Arbeitswelt zu tun haben mussten. Eine zweite, dass sich die Künstler ihre Inspiration dafür im Bergbau direkt, also auch im engen Kontakt etwa mit den Brigaden, die sie porträtierten, holen mussten. Das klingt nicht nur nach Bitterfeld Weg, das war ein Teil davon. In der Ausstellung kann man sich davon überzeugen, dass es wie immer ist, wenn Kunst und Wirklichkeit aufeinandertreffen, letztlich die Qualität des Künstler entscheidet, ob das Resultat als Kunstwerk überdauert oder im Scheitern immerhin noch ein Beleg für die Widersprüche der Gesellschaft ist.

Die Hälfte der im Wismutauftrag entstandenen Kunstwerke sind mit der Auflösung des Unternehmens verschwunden. Nur 4200 sind noch erhalten. Der Verlust bleibt eine Art Kulturschande, die man auf der Negativseite der Bilanz der treuhandgesteuerten Transformation verbuchen muss.

Mit tatkräftiger Unterstützung des Zwickauer Kunstvereins hat Paul Kaiser – der sich einen Namen als Vorkämpfer für einen Umgang mit in der DDR entstandener Kunst ohne ideologische Scheuklappen und Schaum vorm Mund gemacht hat – , auf 1500 Quadratmetern in der alten Baumwollspinnerei (die durch einen privaten Investor ansehnlich aufpoliert) den bislang umfangreichsten Einblick in die Wismut-Sammlung zusammengestellt.

Was dabei verblüfft, ist die Offenheit, mit der die Wismut Kunst ermöglicht hat, auch wenn diese nicht den verordneten Optimismus ausstrahlte – wie beispielsweise Werner Petzolds monströses 16 mal zwölf Meter großes Außenwandbild „Friedliche Nutzung der Atomenergie“ (1972-74). Oder das wiederentdeckte 13 Meter lange Wandbild „Sonne in Menschenhänden“ (1972-73) von Kurt Hanf, das für die Kultursäle des Wismutstandortes Seeligenstädt entstanden war. Auf letzterem hält ein Kind seinen Eltern die Sonne (als Synonym für die Segnungen der Atomenergie) entgegen und propagiert so den ungebrochenen Glauben an jene Energiequelle, deren Nutzungsmöglichkeiten sich heute langsam wieder in die Debatten einschleichen.

Für den Umgang der Wismut mit „ihren“ Künstlern spricht übrigens auch, dass die vielen Werke, die Werner Petzold im Auftrag geschaffen hat, auch nach dessen abenteuerlicher Flucht in den Westen 1983 nicht von ihren Plätzen in den Wismutbetrieben verbannt wurden. Oder, dass solche Werke wie etwa Alexandra Müller-Jontschewas „Tagebau bei Ronneburg“ (1983) und „Thüringer Bergbaulandschaft“ (1984) trotz ihrer an Werner Tübke und die Romantik erinnernden Melancholie jenseits aller Euphorie akzeptiert und angekauft wurden.

Erstaunlich ist bei aller Orientierung auf Arbeiter- und Brigadeporträts und den Bergbau der Wandel der künstlerischen Umsetzung der Themen im Laufe der Jahrzehnte. Die Spanne der künstlerischen Entwicklung beispielsweise vom stalinistischen Habitus in Heinrich Witz „Kunstausstellung der Wismut“ (1960) bis hin zu Frank Ruddigkeits fast schon apokalyptischem Triptychon „Arbeitstag eines Bergmanns“ ist enorm.

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“, heißt es bei Thomas Mann. „Tief sind die Schächte des Uranbergbaus“, heißt es in Zwickau. Manns Metapher hat philosophische Tiefe. Die Kunstsammlung der Wismut zeigt, dass die nüchterne Zwickauer Benennung einer bergbaulichen Gegebenheit durchaus auch zur Metapher taugt …

 

„Sonnensucher! Kunst und Bergbau der Wismut“, Historische Baumwollspinnerei 1896, Pölbitzer Straße 9, 08058 Zwickau; Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 10:00 bis 17:00 Uhr, Samstag/Sonntag 10:00 bis 18:00 Uhr; Eintritt: 8,00 Euro (ermäßigt 5,00 Euro) – noch bis 26. Oktober 2025.