28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 2025

Sicherheitsgarantien

von Johannes Varwick

Trotz aller diplomatischer Initiativen geht der Krieg gegen die Ukraine einstweilen weiter. Neben der Frage, ob, inwieweit und in welcher Form territoriale Veränderungen in der Ukraine notwendig oder zumindest faktisch akzeptabel werden können, ist vor allem die Frage der Sicherheitsgarantien in das Zentrum der Diskussion gerückt. Doch diese werden deutlich überbewertet.

Einigkeit herrscht inzwischen darüber, dass Sicherheitsgarantien nicht im Rahmen der Nato gegeben werden können. Die Ukraine wird absehbar kein Nato-Mitglied werden. Das wäre für Russland inakzeptabel und hat auch Donald Trump klar abgelehnt. Die berühmte Beistandsklausel des Artikels 5 des Nato-Vertrags lebt von der Bereitschaft, am Ende verlässlich „all in“ zu gehen und einem angegriffenen Mitglied militärisch beizustehen, die dafür notwendigen Verfahren und Ressourcen bereitzuhalten und solche militärischen Szenarien auch regelmäßig zu üben. Ebendies macht die Stärke der Nato aus, und schon aus diesem Grund war es immer höchst unwahrscheinlich, dass Russland einen Angriff auf die Nato riskieren würde. Das galt und gilt aber eben nicht für den Fall Ukraine.

Sicherheitsgarantien jenseits davon sind grundsätzlich in drei Varianten vorstellbar:

Erstens Stachelschweinmodell: Die Ukraine wird dauerhaft mit westlichen Waffen versorgt, erhält Unterstützung bei der Ausbildung von Soldaten und unter Umständen bei Übungen und militärischer Aufklärung. Westliche Staaten könnten sich vertraglich zu einem bestimmten Umfang der Hilfe verpflichten und auch beim Ausbau der ukrainischen Rüstungsindustrie mit weiteren Joint Ventures einsteigen. Die Nato hatte in Den Haag beschlossen, dass Militärhilfen für die Ukraine auf die nationalen Fünf-Prozent-Ziele angerechnet werden können, und insofern gibt es hier gewissen finanziellen Spielraum. Es dürfte mehr als ein Fingerzeig sein, wenn Selenskyj jüngst in Washington angekündigt hat, US-Waffen im Wert von 90 Milliarden US-Dollar zu kaufen – wobei „kaufen“ bei einer klammen Ukraine ja nur heißen kann, dass die Europäer dafür zahlen. Das dürfte auch die maximale Form der Beteiligung der USA an von ihr auf diese Weise verstandenen Sicherheitsgarantien sein.

Zweitens Stationierung einer Truppe der „Koalition der Willigen“ in der Ukraine: Ein solches, bereits vor Monaten vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premier Keir Starmer ins Spiel gebrachtes Modell wäre in unterschiedlichen Varianten denkbar, die allesamt eine ganze Reihe an Fragen aufwerfen. Als Modell für eine wirksame Friedenstruppe wird oft die von der Nato geführte militärische Operation zur Implementierung eines Friedensabkommens im Kosovo ab 1999 (KFOR) genannt, in deren Rahmen zeitweise bis zu 40.000 Soldaten aus über 40 Nationen – darunter auch aus Russland – stationiert waren. Im Kosovo lebten weniger als zwei Millionen Menschen, rechnete man das auf die Ukraine hoch, käme man auf einen Bedarf von mehreren Hunderttausend Soldatinnen und Soldaten. Die Truppensteller, die Größe, das Mandat, die Art der Bewaffnung, die Kommandostruktur: alles vollkommen unklar. Das gilt auch für die Frage der völkerrechtlichen Grundlage. Wenn es ein Mandat des UN-Sicherheitsrates geben sollte, dann müsste dem auch das permanente Mitglied Russland zustimmen, was nahezu ausgeschlossen ist. Weniger ambitioniert wäre eine Stolperdrahttruppe, die Russland – ähnlich wie die deutsche Brigade Litauen – mit überschaubarer Präsenz signalisieren würde, dass bei einer militärischen Eskalation westliche Truppen involviert wären, die dann einen Krieg mit westlichen Staaten bedeuten würden oder könnten. Dabei gilt das Prinzip Hoffnung: Aus Sorge vor einer unberechenbaren Eskalation würde niemand eine solche Aggression riskieren. Die bescheidenste Variante wäre eine Beobachtermission, etwa unter Führung der OSZE, die Verstöße gegen ein Abkommen dokumentieren würde, aber nicht selbst handeln könnte. Eine Sicherheitsgarantie wäre das freilich nicht. Stationierungen westlichen Militärs auf ukrainischem Territorium als glaubhaftes Element einer Sicherheitsgarantie scheiden mithin faktisch aus.

Drittens Stationierung einer Truppe der „Koalition der Willigen“ außerhalb der Ukraine: Denkbar wären westliche Truppen etwa in Polen, die dann rasch in der Lage wären, eingesetzt zu werden. Das bedeutete aber, dass es klare Truppenkontingente, eingespielte Verfahren und auch Übungen geben müsste – und das aus den genannten Gründen ohne Nato-Beteiligung. Ob dafür die Europäische Union, die im militärischen Bereich bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt, einen Mehrwert hätte, kann bezweifelt werden. Der deutsche Außenminister hat darauf hingewiesen, dass Deutschland bereits mit der Brigade Litauen (mit etwa 5000 Soldaten ein Bruchteil der nun in Rede stehenden Größenordnung) engagiert sei und zusätzliche Stationierungen „überfordern“ würden. Bundeskanzler Merz deutete allerdings an, dass Deutschland „möglicherweise mandatspflichtige Beschlüsse“ zu fassen habe, über die nur der Deutsche Bundestag entscheiden könne. Das lässt sich nicht anders als das Nachdenken über die Entsendung von deutschen Truppen ins Ausland – bei der gemäß Parlamentsbeteilungsgesetz eine vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages notwendig ist – interpretieren.

Es bleibt richtig, dass der Ukraine ein Friedensabkommen mit für sie schmerzhaften Kompromissen nur dann schmackhaft gemacht werden kann, wenn es Sicherheitsgarantien gegen künftige russische Aggressionen gibt. Zu tief sitzen die Erfahrungen mit dem Budapester Memorandum von 1994, mit den wirkungslosen Minsk-Vereinbarungen und den aktuellen russischen Aggressionen gegen ukrainische Selbstbestimmung und territoriale Integrität.

Die innenpolitische Debatte, was die Bundeswehr dabei leisten kann und soll, wird die nächsten Wochen bestimmen. Aus der Führungsrolle, die Merz beim Schmieden der Koalition der Willigen fraglos und nicht ohne Geschick übernommen hat, wird hier auch Verantwortung resultieren. Zumal von den USA nicht viel zu erwarten ist, denn Trump hat trotz angeblicher Bewegung in dieser Frage unmissverständlich klargemacht, dass er dies als europäisches Problem sieht.

Im Ergebnis bleiben politische Lösungen, mit denen beide Konfliktparteien einverstanden sind, der Schlüssel zur Lösung der Ukrainefrage. Die realistische Frontbegradigung, die die USA unter Trump vorgenommen haben, ist in diesem Sinne die beste Sicherheitsgarantie, die die Ukraine bekommen kann. Die Strategielosigkeit des Westens, die sich in einer Fehleinschätzung der politischen Gewichte, in unrealistischen Kriegszielen und Durchhalteparolen gezeigt hat, sollte bei diesem Thema keine Fortsetzung finden.

Das Stachelschweinmodell ist wohl die maximal mögliche Form der Sicherheitsgarantie für die Ukraine, die – verbunden mit einer politischen Lösung des Konfliktes, die die Kerninteressen beider Seiten berücksichtigt – durchaus eine wirksame Abschreckung vor weiterer russischer Aggression sein kann. Alles andere würde bedeuten, dass jemand im Westen bereit sein müsste, im Fall des Falles für die Ukraine in den Krieg zu ziehen. Das war in den vergangenen vier Jahren nicht der Fall, und das wird aus guten Gründen auch so bleiben.

In westlicher Wahrnehmung beziehen sich Sicherheitsgarantien verständlicherweise fast ausschließlich auf ihren Verbündeten Ukraine. Wer aber eine Lösung will, muss genauso Sicherheitsgarantien für Russland in den Blick nehmen. Diese ergäben sich in erster Linie durch einen klar ausgesprochenen Verzicht auf die weitere Erweiterung der Nato, aber auch durch ernsthafte Gespräche über eine Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur.

Darin müssen etwa Organisationen wie die OSZE – in denen Russland gleichberechtigt mitwirken kann – eine größere Rolle spielen. Auch beim Thema Rüstungskontrolle, bei den Mittelstreckenraketen (Neufassung des INF oder KSE-Vertrags) oder Nuklearwaffen (New Start-Vertrag), böten sich Anknüpfungspunkte. Auch bei der sicher unvermeidbaren Hochrüstung der ukrainischen Streitkräfte könnte über gegenseitige Rüstungskontrollbeschränkungen, insbesondere bei offensiven Waffensystemen, nachgedacht werden.

Die Zutaten für ein diplomatisches Endspiel liegen nunmehr deutlich auf dem Tisch: Denjenigen, die Kompromisse als Diktatfrieden framen und Durchhalteparolen verbreiten, stehen nüchterne Strategen gegenüber, die eine realpolitische Frontbegradigung als die bessere Alternative zu einem dauerhaften Abnutzungskrieg verstehen.