Dass die Truppen der Armee Napoleons im Oktober 1806 die verbündeten Preußen und Sachsen bei Jena und Auerstedt besiegt haben, ist hinreichend bekannt und wird überdies bis in unsere Tage selbstverständlich im völkerverbindenden Sinne gebührend gewürdigt. In den Tilsiter Verträgen vom Juli 1807 erhielten die Preußen die vertragliche Quittung für ihre Keckheit, Napoleon den Krieg erklärt zu haben.
Aber diese Genugtuung reichte dem Imperator nicht. Es fehlte noch ein erhabenes und gut sichtbares Schmankerl von kaiserlicher Gediegenheit!
Da bot sich ein kleiner Berg an, der mit der Schlacht von 1806 in Verbindung stand. Am 7. Oktober 1808 wurde dieser Windknollen bei Jena zum Schauplatz eines kunstvoll inszenierten Spektakels. Natürlich stand Napoleon im Mittelpunkt. Während seines Erfurter Fürstentags mit dem russischen Kaiser Alexander I. – vom 27. September bis zum 14. Oktober 1808 – wünschte Napoleon dem Gast die Geschichte seines militärischen Triumphes an Ort und Stelle plastisch und detailliert vor Augen zu führen. Der Russe war ja der künftige große militärische Gegner, den er schon 1805 bei Austerlitz geschlagen hatte, dem man aber auch die neuesten militärischen Künste nicht oft genug vorführen konnte.
Herzog Carl August von Sachsen-Weimar wurde als Gastgeber instruiert, die „Fete“ im Geiste Napoleons zu arrangieren. Als die Gäste am 7. Oktober auf dem in „Napoleonsberg“ umbenannten Windknollen ankamen, fanden sie einen Festplatz vor. Einige Meter unterhalb des Gipfels, an der Stelle, an der Napoleon in der Nacht vom 13. zum 14. Oktober 1806 biwakiert hatte, waren Zelte aufgebaut, aus denen ihnen die Düfte eines erlesenen Gabelfrühstücks entgegenschlugen. In der Mitte brannte ein großes Biwakfeuer. Der für die Sicherheit verantwortliche Jenaer Stadtkommandant, Major Franz von Hendrich, hatte 600 Jenaer Bürger entlang der Absperrung postiert, damit sie die Ordnung aufrechterhielten und für standesgemäße Jubelstimmung sorgten. Außerdem wachten Soldaten der kaiserlichen Garde und Weimarer Scharfschützen über die kostbaren Monarchen, die den Gipfel teilweise schwer atmend erklommen hatten. Auf dem höchsten Punkt des Plateaus hatte man unter Leitung des Jenaer Professors Sturm einen Tempel errichtet, vor dem auf zwei Altären einschlägiges Kartenmaterial zur Draufsicht auslag. An dem Tempel prangte in goldenen Lettern eine Losung in lateinischer Sprache. Das exzellente Latein des Jenaer Professors der Poesie und Beredsamkeit, Carl Heinrich Abraham Eichstädt, adäquat ins Deutsche zu übersetzen, bereitete den Zeitgenossen allerdings einige Schwierigkeiten. Sinngemäß lautete das Motto: „Die Götter der Welt hat jetzt das alte Thüringen vereint, neue Liebe wird die erstaunten Völker einen.“
Es ist ja wohl klar, dass Goethe bei diesem schwierigen Weckruf mit im Spiele war. Goethe musste sich bei allem, was mit der kaiserlichen Schlachtfeldexkursion am 7. Oktober zusammenhing, auf seinen Ministerkollegen Christian Gottlob Voigt sowie auf Major Hendrich und Professor Eichstädt verlassen, die zu seinen zuverlässigsten Konfidenten in Jena gehörten. Das betraf insbesondere die Auswahl des Leitmotivs. Tatsächlich rief dessen Formulierung eine intensive Diskussion zwischen diesen drei Persönlichkeiten hervor. Man wollte Napoleon nicht verherrlichen, sondern eine ganz neue Idee formulieren. Das ist damals zweifelsohne gelungen, ohne Napoleon zu verprellen. Der soll sogar einen kurzen Blick auf die Inschrift geworfen haben.
Aber die geheime Hoffnung, einen deutlichen Kontrast zur Schlacht von 1806 zu schaffen und zugleich dem eigenen kleinen Staat eine überregionale Bedeutung zu verschaffen, erfüllten sich nicht. Napoleon und Alexander I. waren mit kontinentalen Ambitionen nach Weimar und Erfurt gekommen, in denen der Krieg und die Macht über allen schönen Losungen standen. Das klassische Weimar besaß darin keinen Platz. Daran änderten auch die historischen Begegnungen Goethes und Wielands mit Napoleon in Erfurt und in Weimar nichts. Goethes Idee, Weimar als Zentrum des geistigen Brückenschlags zwischen Ost- und Westeuropa auszugestalten, blieb ein Traum. Die angeheiratete Großfürstin Maria Pawlowna stand als große Hoffnungsträgerin Weimars im strahlenden Glanz am Rande des Geschehens. Napoleon und Alexander forschten einander über ihre gegenseitige Bündnistreue aus und trennten sich voller Misstrauen. Selbst die abschließende gemeinsame Hasenjagd auf dem ehemaligen Schlachtfeld rief lediglich das Befremden der örtlichen Bevölkerung hervor.
Der Fürstentag ging vorüber. Die von dem Verleger Friedrich Justin Bertuch produzierte offizielle Festdarstellung, ein prachtvoller Druck in Imperialfolio, erschien Anfang 1809. Die Auszahlung der für Jena bewilligten 300.000 Francs durch die französischen Behörden erfolgte erst gegen Ende 1810 und ihre Verteilung durch die Kommission gar erst im Sommer 1811.
Der Ehrentempel wurde in den wenigen Wochen seiner Existenz zur Attraktion der Schlachtfeldtouristen. Die meisten Besucher konnten mit der lateinischen Losung nichts anfangen. Am 19. Oktober 1808 berichtete Hendrich der Regierung in Weimar, „dass der Wind keine Freude an dem zu Ehren Napoleons errichteten Tempel zu haben scheint und mancherley Schaden zufüget. Es wurden heute wi(eder) verschiedene Schäden angezeigt u. ich glaube daher auf seine Niederlegung antragen zu müßen, um auch noch eine gute Summa aus den Materialien zu lösen. Zu dem kostet die Wache alle Woche 4 gr. die erspart werden könnten … 38 Fenster Scheiben sind nebst den Creutzen eingedrückt worden u. eine Säule hat ihre Verzierung verloren. Der Zug ist auf dieser Höhe zu mächtig u. ich sehe daß nichts anders zu tun ist, als das Haus niederzulegen. Die Leute die zur Wache da sind können es auch nicht mehr aushalten u. dann werden, wenn diese abgehen, die Materialien gestohlen.“
Am 6. November konnte Hendrich berichten, dass die Materialien verauktioniert worden seien. Das meiste davon erwarb der Jenaer Mauermeister Timler, der den Tempel errichtet hatte, und erbaute sich davon ein Weinberghäuschen. Sein Werk bekam also am Ende einen ganz praktischen Sinn.
Die Monarchen übten sich inzwischen weiter in ihren blutigen Kriegsspielen. Russland kämpfte ab 1809 gegen das Osmanische Reich um den Besitz Bessarabiens. Napoleon schlug die Aufstände in Spanien nieder und besiegte erneut Österreich. 1812 kam es dann zur Aggression Napoleons gegen Russland. Als der Korse im September im brennenden Moskauer Kreml saß, bot er den Russen huldvoll einen Frieden an. Doch der Zar blieb bockig und meinte, selbst wenn er sich bis hinter den Ural zurückziehen müsste, würde er als letzter den Säbel in die Scheide stecken. So kam es ja auch. Ein halbes Jahr später führte er die europäischen Siegesparaden in Paris und London an, Alexander I. von Russland, der „rettende Engel“. Der göttliche Ruf aus Thüringen hatte ihn nicht so sehr inspiriert. Es war vielmehr der imperiale Zwang zur eigenen Machterhaltung, der allen russischen Herrschern innewohnte und eigen ist.
Merkwürdig: Dieser Tage riefen zwei moderne imperiale Götter der Welt aus dem fernen Alaska nach dem Frieden in Europa. Niemand kann sagen wie das Geschäft wirklich endet. Doch keine Bange! Zwischen den schönen Tagen bei Jena von 1808 und dem Abschluss der Friedensakte auf dem Wiener Kongress 1815 haben noch viele Köche mit den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen und Tischsitten an dem Friedensbrei gekocht, der unter dem schönen Namen „Heilige Allianz“ in die Geschichte eingegangen ist.
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