Bruno Frei – mehr als sechs Jahrzehnte war sein kämpferfülltes Journalistenleben mit unserem Blatt eng verbunden. Nun hat er endgültig die Feder aus der Hand gelegt, die zeitlebens seine blitzende Waffe war im leidenschaftlichen Einsatz für die Rechte, die Freiheit und den Frieden der Unterdrückten, gegen die Profiteure an der Ausbeutung und dem oft grausamen Leid der Millionen. Wir gedenken dieses großen Freundes und Weggenossen dankbar in Respekt und Verehrung.
In diesen Tagen hatte ich mir ein paar Gedanken notiert für ein« Brief an Sie, lieber Bruno Frei, zu Ihrem 91. Geburtstag am 11. Juni … da traf die Nachricht ein: „Am Pfingstsonnabend, dem 21. Mai, ist der österreichische Schriftsteller und Journalist Bruno Frei in Klosterneuburg bei Wien gestorben.“ – Sollte ich meine Zettel beiseite legen und nun einen Nachruf schreiben? Aber Sie mochten ja diese glatten feierlichen Texte genausowenig ich.
Erinnern Sie sich noch, lieber Bruno Frei, als wir uns das erste Mal begegneten? Das Jahr ist mir entfallen, aber die Bilder des zerbombten Berlin sind mir gegenwärtig: der ausgebrannte Panzer auf dem Gendarmenmarkt, Ecke Mohrenstraße, wo damals die Weltbühne wohnte … Da habe ich mich immer gefürchtet, wenn ich abends zur Jägerstraße lief, um den „Klebe-Umbruch“ abzugeben: wir mußten nachts umbrechen, weil die Titelschriften am Tage für andere Zeitungen gebraucht wurden … In dieser Zeit fand ein internationaler Kongreß statt. Alexander Abusch nahm mich mit, vergaß auch nicht den freundlichen Hinweis des Erfahrenen: als Redakteur müsse man möglichst viele Leute kennenlernen … Sie standen auf dem Vorplatz des Tagungsortes, Abusch sprang aus dem Wagen, rief „Bruno“ und lief auf Sie zu. Großer Jubel, Umarmung. Sie trafen sich nach der Rückkehr aus Mexiko zum ersten Mal wieder. Ich stand etwas befangen und fremd daneben. Abusch nannte meinen Namen und – Weltbühne, da nahmen Sie mich auch schon in die Arme und gaben mir einen Kuß. Ich weiß, er galt nicht mir, sondern es war die Freude und die Erinnerung an jene Zeit, als Sie unter Jacobsohn und Ossietzky Mitarbeiter der Weltbühne waren. Es gehörte ja nicht zu Ihrer Art, den Menschen mit wienerischer Überschwenglichkeit zu begegnen, die so leicht einen faden Beigeschmack hat. Ihre Herzlichkeit verlor sich nicht in Wortkaskaden; ein Gruß auf einem Manuskript, oben rechts, ein knapper Satz am Telefon war in der jahrzehntelangen Zusammenarbeit immer wie der Händedruck eines guten Freundes, auf den man sich verlassen kann.
Erinnern Sie sich noch, als Sie an der Ossietzky-Biographie arbeiteten? Einen Teil der Korrespondenz habe ich aufgehoben. Wie schwierig war das doch in den Jahren 1962/63 … Sie mußten ja die schillerndsten Legenden, die andere Zeitgenossen über Ossietzky wichtigtuerisch in die Welt trompetet hatten, auseinandernehmen. Sie schickten mir lange Fragelisten, denn Ihre Zeit für Recherchen in Berlin und Potsdam hatte Grenzen. Ein Beispiel: Sie sahen in München die Jahrgänge des „März“ durch, um den Ossietzky-Artikel über die Vorfälle in Zabern zu finden, von dem behauptet wurde, er habe den ersten Prozeß gegen ihn ausgelöst – keine Spur. Sie suchten in Hamburg, weil es hieß, der inkriminierte Artikel sei im „Freien Volk“, Hamburg, erschienen – eine Zeitung dieses Namens war dort unbekannt. Ich schrieb Ihnen, der Prozeß habe 1913 in Berlin stattgefunden, also muß das Blatt hier erschienen sein. Fritz Klein, den Sie auch um Hilfe gebeten hatten, teilte mir am 24. Juni 1963 mit: „Zu Frage 10: Die Suchaktion über Humboldt-Universität ist negativ ausgegangen. Das ,Freie Volk‘ ist in allen zugänglichen Archivunterlagen und Mitteilungen anderer Archive nicht geführt.“ Jetzt hatte mich das Jagdfieber gepackt: ich hörte, im Institut für Zeitgeschichte lägen sehr viele Zeitungen; dort lag gar nichts, das Institut war umgezogen, die Kollegen drohten im Chaos unterzugehen. Staatsbibliothek: Im Katalog nichts, aber ein freundlicher Archivar zur Hand, der sich erinnerte; und da war sie dann, die Vielgesuchte! Der Artikel „Das Erfurter Urteil“ war der Anlaß. In späteren Nummern des „Freien Volkes“ standen ausführliche Berichte über den Prozeß. Sie werden das ja auch oft empfunden haben: diese Entdeckerfreude, etwas aufgespürt zu haben. Und was haben Sie alles ausgegraben! Damals hielt Maud von Ossietzky den Nachlaß noch unter Verschluß. In Hamburg wurde Ihnen die Einsicht in die Personalakte aus Ossietzkys Hilfsschreibertätigkeit beim Amtsgericht verwehrt, angeblich war sie nach München ausgeliehen … Zufällig erzählte mir Maud von Ludwig Tügel, dem Jugendfreund Ossietzkys, den sie in einem westdeutschen Schriftstellerlexikon wiedergefunden habe. Das war eine gute Nachricht, die ich Ihnen schreiben konnte. Dessen Tagebuchnotizen und Erinnerungen waren nützlicher als irgendeine Urkunde oder ein Privatbrief.
Es sind seither eine ganze Reihe Publikationen über Ossietzky erschienen, von jungen Leuten, denen der gesamte Nachlaß und alle Hamburger Akten zur Verfügung standen, die Zugang hatten zu den weitverstreuten Zeitungen und Zeitschriften, für die Ossietzky schrieb. Soweit ich das übersehe, bleibt Ihre Ossietzky-Biographie zweifellos das Standard-Werk.
Ohne jedes Detail zu kennen, haben Sie ein Ossietzky-Bild gezeichnet, das die Persönlichkeit in ihrer Zeit, in ihrer Veränderung gültig widerspiegelt. Und in keinem der später veröffentlichten Bücher fehlt als Quellenvermerk der Hinweis auf Ihre Arbeit.
Sie waren ein Zeitzeuge, Ossietzkys Weggefährte, ich wage das Wort Freund. Als Chefredakteur von „Berlin am Morgen“ druckten Sie am 23. Dezember 1932 einen Brief ab, den Ossietzky Ihnen nach seiner Haftentlassung aus Tegel geschrieben – es war übrigens der einzige, den er aus diesem Anlaß verfaßt hat. Darin heißt es: „Es ist mir ein Herzensbedürfnis, in diesem Augenblick, wo ich die Freiheit wieder erlangt habe, allen denen zu danken, die sich tatkräftig für mich eingesetzt haben, vor allem den Kollegen von der Arbeiterpresse … Auch diese Amnestie hat nicht allen Opfern der politischen Justiz die Freiheit gebracht. Für sie wollen wir nun weiterkämpfen und jetzt alle Kräfte daran setzen, daß der nächste Fall nicht Ludwig Renn heißt.“
Dieser Zeitungsausschnitt lag in der Gefängnisakte Ossietzkys in Tegel, sozusagen als Schlußstrich eines Kapitels. Diese Akte wurde erst im vorigen Jahr von einem jungen engagierten Journalisten in Westberlin gefunden. Und in der Redaktion der Weltbühne werden ernsthafte Pläne verfolgt: ein richtiges Ossietzky-Archiv!
Das wollte ich Ihnen zum 11. Juni schreiben, lieber Bruno Frei, weil ich dachte, es würde Sie freuen, daß junge Leute die Stafette weitertragen.
Blätternd in meinem Briefordner, bleibe ich hier und da hängen und lese wieder, was Sie mir in den letzten Jahren schrieben … Wie viele gute Ratschläge für mein Weltbühnenbuch: Hinweise, Personalien von verschollen geglaubten alten Mitarbeitern, und Mut haben Sie mir gemacht, nicht aufzugeben. Mit dem Schlußsatz Ihres letzten Briefes möchte ich mich von Ihnen verabschieden; denn das war es, was auch ich Ihnen schreiben wollte: „Ich danke Ihnen für alles, vor allem für Ihre Treue. Seien Sie umarmt …“
Schlagwörter: Bruno Frei, Ossietzky, Ursula Madrasch-Groschopp, Weltbühne


