Diesmal: „Der tollste Tag“ – Seebühne, Hans Otto Theater Potsdam / „Der Liebling“ – Deutsches Theater Kammerspiele / „Ex“ – Schaubühne
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Seebühne: Aufm Fahrrad ins Eheglück
Was für ein Finale! Big Boss klatscht ins Wasser, säuft ab, und die Belegschaft feiert. Ein zünftiger Tyrannenmord. Denn Graf Almaviva war ein brutaler Machtmensch, zynischer Menschenverachter, Ausbeuter, Frauenverbraucher, Ehebrecher und, wenn es denn nicht anders ging, Vergewaltiger.
Da hat Kammerdiener Figaro (Hannes Schumacher) ganze Arbeit geleistet in Peter Turrinis bissiger Überschreibung des Komödienklassikers von Beaumarchais „Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit“ (1784). Dass da das Wasser ordentlich (vorrevolutionär) aufspritzt hat zu tun mit Brandenburgs wohl schönster Freilichtbühne direkt am Ufer des Tiefen Sees. Und mit der gewitzten Regisseurin Adriana Altaras. Die nämlich glättet sommertheatertauglich mit besagtem Rauswurf ins tiefe Nass durchs Schlossfenster Turrinis Schock-Finale. Da erdrosselt Figaro seinen hohen Herrn. Grauenvoll.
Obendrein beendet Altaras diesen tollsten Tag voller Liebeshändel, Intrigen, Demütigungen und schlimmen Rechtsverdrehungen („Wer zahlt, gewinnt den Prozess!“) mit einer verrückten, oder sagen wir menschenfreundlichen Fantasie: Almaviva (Arne Lenk) taucht plötzlich wie ein Wunder durchnässt wieder auf. Nunmehr verwandelt als Domestikin (kleine Genderei). Im sexy Miniröckchen der Zofe Susanna, Figaros Braut, die er noch fix vor der Hochzeit unbedingt missbrauchen wollte. Schlussbild mit Mozart-Musik: Alles tanzt, Gläser klingen, Figaro schnappt sich Susanna (Mascha Schneider). Und beide radeln umkränzt von Blumen auf ihrem Fahrrad hinaus ins Märkische Glück. Das Publikum ist gerührt. Und begeistert.
Apropos Mozart. Der komponierte bekanntlich aufs Libretto des genialen Lorenzo da Ponte seine unübertreffliche Oper „Figaros Hochzeit“ (Uraufführung 1786). Auch da dreht sich alles ganz unverblümt um Klassenherrschaft. Ums Gegeneinander von Oben und Unten – aber zugleich auch ums Miteinander. Komplexer Sachverhalt. Und dazu, als Steigerung der Ambivalenzen, um die alle Klassengrenzen überwuchernde Himmelsmacht Liebe. Großes Menschen-, ja Menschheitstheater.
Turrini schiebt das beiseite: Er glaubt nicht an Himmlisches. Bleibt allerdings weitgehend dem klassischen Handlungsgerüst treu. Konzentriert sich jedoch pointiert und in witzigen Dialogen auf die sozialen Antagonismen. Dabei verblasst das Menschlich-Allzu-Menschliche, Klassenkampf hingegen lodert. Und eine deftige Typenkomödie rast – mit kecken Ausfallschritten ins Klamottige – durchs entzückende Bühnenbild von Matthias Müller. Der setzte als Hingucker und deutlichen Fingerzeig einen Brunnen mit protzigem Neptun in die Mitte. – Kommentar von Frau Gräfin (Franziska Melzer): „Männer sind Vollpfosten!“
Über und um den Muskelmann mit dem Dreizack herum tobt ein von Jessica Karge elegant kostümiertes Ensemble (René Schwittay, Katja Zinsmeister, Amina Merai, Jon-Kaare Koppe). Da knallt Erotik, da kracht Spiellust. Zusätzlich trällert man, zart oder schrill, immer mal wieder ein bisschen Mozart – und sogar Rio Reiser. Begleitet von Rita Herzog am Klavier unterm ausladenden Lindenbaum neben der Bühne. – Feiner Sommerspaß. Applaus, Applaus!
(bis 19. Juli)
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DT-Kammer: Toxische Frauenmacht
Großer Krieg unter Tampon-Herstellern. Die Konzerne „Never“ und „Immer“ ringen ums Marktmonopol, CEO Franka König (Fritzi Haberlandt) und CEO Bettina Fürstenberg (Abak Safaei-Rad) wollen einander kaufen, ihre Kinder ringen ums Erbe, nachgeordnetes Personal schlägt sich skrupellos um Vorteile.
Die Groteske „Der Liebling“ – gemeint ist ein innovativ konstruierter Tampon – von Svenja Viola Bungarten handelt hardcore-feministisch von Chefinnen, Konkurrentinnen, Schwestern, Müttern, Verliebten, Verbündeten, Feindinnen, Opportunistinnen. Also alles „Innen“. Aufwerfend die Frage: Was macht die Macht mit den Frauen, die an der Macht sind? Die weise Antwort: Nicht (nur) Gutes. Was keine Neuigkeit wäre, aber immerhin der umspielte Kern des uraufgeführten Werks.
Der Programmzettel verweist auf seine Quellen, u.a. das Buch „Toxische Weiblichkeit“ von Sophia Fritz, das weibliche Prototypen wie „die Mutti“, „die Bitch“, „das gute Mädchen“ oder „die Powerfrau“ dekonstruiert einschließlich „klischeehafter Verhaltensmuster“.
Bungarten sagt, sie wolle mit ihrem Schreiben Politisierung befördern und sensibel machen für „den Zusammenhang Antifeminismus, Transphobie, Rassismus, Kapitalismus und rechtem Gedankengut“. – Sehr schön; aber too much. Denn auch die Regie vermochte das verkopft kapitalismus-feminismus-kritische Tampon-Ding nicht zu retten. Und so rackerte sich die sehr versierte Anita Vulesica redlich ab, das Hickhack um die Produktion von Damenhygieneartikeln als rasende Groteske auf die Bühne zu knallen. – Doch: Mission impossible! Bei dauerhaft Tempo, Tempo, Slapstick, Slapstick, Brüllen, Brüllen dröhnt uns nur noch der Kopf. An dieser Stelle verkneifen wir uns nicht den Verweis auf Vulesicas gelungene Groteske „Die Gehaltserhöhung“ am DT (Theaterberlin im Blättchen, Heft 21/2024).
So war denn mit „Liebling“ alles gut gemeint, aber trotzdem falsch. Freilich, Freaks, Aktivisten und Aktivistinnen im Publikum johlen wie Bolle auf dem Milchwagen. Und feiern ein dressiert tobendes Ensemble (Frieder Langenberg, Mareike Beykirch Henni Jörissen, Katrija Lehmann).
Übrigens, toxische alte weiße Kerle würden bei solch einem Hauen und Stechen grinsen: Durchgeknallte Stutenbissigkeit. – Na und? Das Vorführen des Toxischen jenseits Gebärmutterloser Menschen bleibt ein Verdienst der begabten jungen Künstlerin. Schreiben kann sie; doch noch fehlt griffiges Formen für die Bühne.
(wieder 9., 12. Juli)
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Schaubühne: Dreier-Schlacht auf der Couch
Wieder ein Tag rum. Acht Stunden in der Klinik, Sibylle ist Ärztin, die zwei Kinder im Bett, jetzt endlich auf dem Sofa, tief Durchatmen, das iBook schnappen und in Ruhe Dokus gucken.
Doch da kommt, ach Gottchen, der Ehemann. Daniel, Architekt, baut Parkhäuser. Flüchtiges Küsschen, stört nicht weiter. Essen is nich, doch im Kühlschrank dämmert noch eine Lasagne. Übriggeblieben. Aufwärmen. Gibt’s Bechamelsoße? Nee! Er mampft mürrisch, sie hängt am Display. Zwischendurch Motzereien, Gereiztheit, Alltagskram. Alles nervt. Man stört sich gegenseitig, geht sich auf den Keks. Feierabend zu Hause bei Akademikers.
Soweit die angespannte Eröffnung in Marius von Mayenburgs Konversationsstück „Ex“. Ziemlich vielsagend; eigentlich schon alles sagend. Denn schnell wird klar: das passiv Aggressive steigert sich im Handumdrehen bis ins Handgreifliche. Befeuert vom Crescendo verbalen Lärms auf dem Sofa-Schlachtfeld eines verrosteten mittelständischen Familienbetriebs. Pointengewitter, das Gift gegenseitiger Erniedrigungen, der Frust über ätzende Lebensroutine, ungelebte Lebensvorstellungen, unbewältigte Lebenskrisen. Alles irgendwie spießig, alles bekannt und nachvollziehbar. Ehehölle. Autopsie einer Paarbeziehung.
Aber so, als hätte der satt sarkastisch schreibende Autor gleich alles ins verbale Hauen und Stechen hineingepackt, was gerade auf dem Markt ist an entsprechend soziologischen Studien und (auch politischen) Diskursen. Die Figuren wie volltourig rasende Redemaschinen. Mal Luft holen und Runterkommen, wäre zu raten. Doch das gönnt Mayenburg als Autor und Regisseur den beiden nicht. Und so schlagen sich, auch im Wortsinn, Marie Burchard und Sebastian Schwarz tapfer und mit all ihrem großen schauspielerischen Können über die Runden. Beeindruckend, die agile Furie, der bärige Taps. Aber letztlich nicht recht abendfüllend.
Da hilft auch nicht sonderlich das Hereinplatzen von Franziska (Eva Meckbach), der Ex von Daniel, der sie einst verließ, um standesgemäß die Ärztin zu ehelichen. Franzi ist nämlich „bloß“ Verkäuferin im Tierhandel; jetzt ausgebüxt von ihrem Liebhaber, der sie anekelt wegen unzumutbarer Sexpraktiken.
Aus der Zweier-Schlacht wird, mit der Zoo-Frau als Brandbeschleuniger, ein bitterböser Dreier mit Eifersuchtsfuror und allseitig ordentlicher Erniedrigung, bei dem obendrein gestrige Frauenbilder blitzen und klassistische Ansagen krachen (bürgerlicher Wohlstandsdünkel kontra Prekariat). Korrekt gesellschaftskritisch, aber angestrengt konstruiert.
Kein Vergleich mit Mayenburgs so raffiniert wie subtil gebautem, einem Thriller gleichenden, brandaktuellen Redestück über Macht und Missbrauch „Ellen Babic“ am Berliner Ensemble (s. Theaterberlin im Blättchen, Heft 6/2024). – Also eins zu null für das BE.
(„Ex“ wieder in der neuen Spielzeit; „Ellen Babic“ BE, Wiederaufnahme 20. September.)
Schlagwörter: Hans-Otto-Theater, Kammerspiele, Marius von Mayenburg, Peter Turrini, Reinhard Wengierek, Schaubühne, Svenja Viola Bungarten


