27. Jahrgang | Nummer 22 | 21. Oktober 2024

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Method“ – Volksbühne / „Die Gehaltserhöhung“ – Kammerspiele des Deutschen Theaters / Mit Barbara Schnitzler ins DT zu Thomas Mann: 100 Jahre „Der Zauberberg“

***

Volksbühne: Bunter Abend mit Schlachteplatte
Ganz Hollywood schwört auf Strasberg. Auf Lee Strasberg mit seiner in der Nachkriegszeit entwickelten Methode der Schauspielausbildung, inspiriert von Stanislawski, dem russischen Regisseur eines ausgefeilten Psychorealismus.

Strasbergs zur Weltmarke avanciertes „Method Actings“ insistiert auf totale Authentizität: Der Darsteller müsse alle seelischen Prozesse der Figur selbst durchleben können. Wer beispielsweise einen Mörder gibt, also dessen Innenleben, also perfekte Einfühlung – der Gegenpol zu Brechts Verfremdungs-Methode, die das distanzierte Zeigen einer Figur verlangt.

Einfühlung, Verfremdung, Authentizität – gerade in der Volksbühne seit langem ein gern bespieltes Problemfeld. Da ist es eine olle Kamelle, wenn jetzt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó das Thema aufwärmt. – „Natürlich kann Method Actings zu einem wahrhaftigen Ereignis führen“, sagt er. „Aber es kann auch der Horror sein.“

Aha, darum geht es in seiner blutrünstigen Backstage-Farce „Method“. Dazu der warnend wackelnde Zeigefinger: Method Actings kann manipulativ das Raubtier im Menschen wecken; kann zivilisatorische Grenzen apokalyptisch durchbrechen.

Im Zentrum der von der mit Hardcore-Humor gesegneten Autorin Kata Wéber dürftig konstruierten „Method“-Story tobt Marvin (Martin Wuttke), Star und Hauptdarsteller eines so genannten Mid-Budget-Body-Horror-Films. Der wiederum spielt seltsamerweise auf einer ISS-Station im Weltraum, wo Commander Marvin wegen einer Havarie in Hysterie verfällt. In die muss er sich nicht einfühlen, er tobt von Natur aus. Zugleich geht es um Marvins Transformation (die Strasberg-Manipulation!) zum Werwolf, zum Tier in ihm.

Für all das setzte Bühnenbildnerin Monika Pormale eine hübsche Raumfahrtkapsel als Filmkulisse auf die Drehscheibe und an den Bühnenrand eine Art Pausenraum fürs Filmvolk, das hin und her stürzt in permanent kriegerischem Modus (die üblichen Backstage-Sauereien). – Da sind denn Acting-Coach Bob (beständig hochtourig Benny Claessens), Produzent Michael (Sir Henry), Drehbuchautorin Holly (verlogen naiv Ann Göbel), Regisseur Stan (nervös erregt Maximilian Brauer), sein Assistent und Lover Assi (Soma Boronkay), ein It-Girl als Kleindarstellerin (zickig durchtrieben Zarah Kofler) sowie Marvins Partnerin und im Privaten Ex-Geliebte (ladylike Johanna Wokalek).

Es wird gezickt, gekracht, geknutscht und geblasen, gelogen und gemobbt was das Zeug hält zwischen Raumstation und Vorderbühne. Derweil Marvin mit furchterregend wucherndem Zottelpelz allmählich zum Werwolf mutiert. Strasbergisch stimuliert und mit reichlich Drogen gefüttert von Bob, dem Coach. Immer zähnefletschender traktiert Marvin die Crew. Schließlich murkst er, wölfisch korrekt eingefühlt, auf Splattermovie gängige Art die exaltierte Bagage ab. Und überschwemmt die Bühne mit imitierten Körperflüssigkeiten in Rot und Gelb. Denn das gehört zu einem bunten Abend. Und zur Ironie.

Als Rausschmeißer dann noch ein Schmankerl für Feinschmecker: Der böse Wolf in bester Stimmung kannibalisiert zu flotter Musik das süße Rotkäppchen, als das Bob, der kleine Maso, sich verkleidete. Da flutschen die ausgeweideten Innereien nur so über die Bühne. Was cool ist – o Gott, Strasberg! – für eine prima Grusel-Show. Auch blubbert Bobs Herz am Ende unverdrossen weiter. Unkaputtbar. In Werwolf Marvins Aldi-Tüte. That’s Volksbühne!

***

DT-Kammer: Neuer Untertan in alter Tretmühle
Der Kampf ums liebe Geld, er treibt uns alle um. Da werden Schlachten geschlagen; kollektiv (einst die schlesischen Weber, heute die Gewerkschaftsverbände) oder einzeln. Solch einen Einzelkampf hat sich der französische Autor Georges Perec (1936-1982) in seiner 1970 in Paris uraufgeführten Tragikomödie „Die Gehaltserhöhung“ vorgeknöpft. Und das auf ganz eigene Art: Da wird nicht das dramatische Ringen eines Angestellten mit dem Vorgesetzten um die nächst höhere Lohngruppe aufgeblättert, sondern die immergleiche, sich bis ins Absurde steigernde (allerdings nicht ganz neue) Grundsituation durchgespielt: Nämlich das verzweifelte Anrennen gegen die so unheimlich freundlich gepolsterte Mauer einer menschenverachtenden Vergeblichkeit.

Gefangen wie in einer Tretmühle rackert sich der abhängig Beschäftigte ab mit seinen immer unterwürfiger, irrsinniger, trauriger werdenden Bittgesuchen um besseres Gehalt. Die so entsetzliche wie komische Folge: Er wird zunehmend deformiert.

Anita Vulesica, meine DT-Lieblingsregisseurin (man sähe sie gern auch wieder als Schauspielerin), ist ausgewiesene Expertin fürs Groteske, Abgründige, Monströse. Sie lässt den armen Gehaltsempfänger, „das mikroskopische Rädchen einer riesengroßen Organisation“ mit seinen ins Leere stürzenden Wutanfällen, von gleich sechs Personen spielen (Abak Safaei-Rad, Evamaria Salcher, Frieder Langenberger, Moritz Grove, Katrija Lehmann, Jonas Hien).

Und jagt sie in einer minutiös durchgetakteten, virtuos körperartistischen Choreographie über hundert Minuten durch die orangefarben durchglühte Lobby einer Konzernzentrale (Bühne: Henrike Engel). – „Der Text muss in die Körper“, so die Ansage der Regie.

Den Rhythmus der freilich all zulange atemlos rasenden Show eines neuen, von den modernen Zeiten schwer gebeutelten Untertans, den dirigiert am Electronic-Desk der Live-Musiker Ingo Günther. Im gerüschten Business-Kostümchen verkleidet als Empfangsdame Fräulein Jolande.

Und für gelegentliche Pausen zum Luftholen sorgen die Auftritte des Abteilungsleiters (Beatrice Frey). Im mausgrauen Geschäftsanzug (Kostüme: Janina Brinkmann) verkündet er mit aasiger Nettigkeit seine sturen Absagen und Vertröstungen eventueller Gehaltserhöhungen auf den berüchtigten Sankt Nimmerleinstag.

***

DT: Schnitzler mit Peperkorn und Thomas Mann im Theater
„[…] einem Säufer, einem Giftmischer, einem Selbstmörder, einer intellektuellen Ruine, von einem Luderleben zerstört, behaftet mit Goldsäcken und Quartanfieber zieht Thomas Mann meine Kleider an“, wetterte Gerhart Hauptmann. Tatsächlich gesteht Thomas Mann, er habe beim Schreiben seines Romans „Der Zauberberg“ bei der schillernden Figur des Mynheer Peperkorn, einem steinreichen holländischen „Kaffeekönig im Ruhestand“, an seinen ihm in Hassliebe zugetanen Kollegen Hauptmann gedacht. Das weltberühmte Buch erschien am 20. November 1924. Und just an diesem Tag, ein Jahrhundert später, liest Barbara Schnitzler aus dem siebenten, dem Peperkorn-Kapitel.

Deutsches Theater, Rangfoyer, 20. November, 19.30 Uhr.