Auf dem Holzweg
„Zur Dämonisierung Präsident Putins“, so die Tucholsky-Preisträgerin Daniela Dahn in „Der Schlaf der Vernunft“, ihrem jüngsten Buch, „hat unser SPD-Verteidigungsminister seit Beginn seiner Amtszeit erheblich beigetragen. Er versäumt kaum eine Gelegenheit, auf die Bedrohung durch Russland hinzuweisen. Bei einer Buchpremiere in der Berliner Urania hörte ich Boris Pistorius auf der Bühne warnen, Putin habe gesagt, er wolle nicht bei der Ukraine stehen bleiben. Deshalb müssten wir uns gegen ihn verteidigen. Nach der Veranstaltung nutzte ich die Gelegenheit, ihn nach der Quelle von Putins Drohung zu fragen. Er räumte (in Anwesenheit prominenter Journalisten) ein, die Quelle nicht zu kennen. Aber dafür habe er ja seine Geheimdienste. ‚Ach‘, fragte ich erstaunt, ‚und denen glauben Sie?’ ‚Wem soll ich denn sonst glauben’, scherzte er. Putin habe mehrfach gesagt, er wolle die alten Grenzen der Sowjetunion für Russland wiederherstellen – Georgien, Moldau. ‚Er führt Angriffskrieg für Grenzverschiebungen’, fährt Pistorius fort. ‚Wie die Nato in Jugoslawien’, erwidere ich. ‚Da mussten wir eingreifen, um Völkermord zu verhindern’, rechtfertigt er sich. ‚Das ist nun wirklich Unsinn’, entfährt mir. ‚Der IGH hat auf die Frage …’ ‚Wenn hier geleugnet wird, dass es sich um Völkermord handelte, dann bin ich aus dem Gespräch raus’, fertigte er mich ab.“
Also wenn der Minister schon auf dem Holzweg ist, dann doch bitteschön auch in Gutsherrenmanier!
Dass er auf dem Holzweg ist, hat mit einem seiner sozialdemokratischen Amtsvorgänger zu tun – Rudolf Scharping. Der hatte 1999 zusammen mit dem damaligen Außenminister Joschka Fischer den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Serbien (und Montenegro) mit einem sogenannten Hufeisenplan gerechtfertigt, den Belgrad verfolge: zur Vertreibung der gesamten albanischen Bevölkerung aus Kosovo. Eine grafische Darstellung des Planes wurde der Öffentlichkeit präsentiert.
Dazu Hannes Herbst im Blättchen 6/2019 [1]: „Die Sache hatte nur einen Haken, wie das ARD-Magazin Panorama am 18. Mai 2000 öffentlich machte: Die Grafik, so ein Insider, der ehemalige Bundeswehrgeneral Heinz Loquai, seinerzeit militärischer Berater bei der OSZE, sei „entstanden im deutschen Verteidigungsministerium“. Daher Loquais unmissverständliche Feststellung, „dass der Verteidigungsminister bei dem, was er über den Hufeisenplan sagt, nicht die Wahrheit sagt“. Panorama fügte seinerseits hinzu: „Der schlimme Verdacht: Der Hufeisenplan wurde gar nicht in Belgrad, sondern in Bonn geschrieben. Und für diesen Verdacht spricht ein weiteres Dokument, das Panorama vorliegt. Es stammt aus dem Verteidigungsministerium: das Ausgangspapier des angeblich genau bekannten Hufeisenplans.“
Daniela Dahn: Der Schlaf der Vernunft. Über Kriegsklima, Nazis und Fakes, Rowohlt Taschenbuch Verlag [2], Hamburg 2024, 192 Seiten, 16,00 Euro.
Wieder US-Kernwaffen in Großbritannien
18 Jahre nach Beendigung des ersten Kalten Krieges (Charta von Paris, 1990) hatten die USA ihre letzten taktischen Kernwaffen, Gravitationsbomben zum Abwurf von Flugzeugen, aus Großbritannien abgezogen. Jetzt gibt es nach Berichten britischer Medien, darunter The Times, The Telegraph und das Fachportal The War Zone – handfeste Indizien dafür, dass mittels eines US-Militärtransporters vom Typ C-17 eine Restationierung erfolgt ist. Bei den Waffen selbst handelt es sich mutmaßlich um Bomben neuester Produktion, Modell B61-12 (siehe Blättchen 4/2025 [3]). Die Rede ist von bis zu 20 Exemplaren.
Der Transporter C-17 war lange Zeit nicht für Atomwaffentransporte zugelassen, weil das Flugzeug bestimmte Sicherheitsanforderungen nicht erfüllte. Das ist vor einiger Zeit geändert worden: „Im November 2022“, so die Federation of American Scientists, „aktualisierte die Luftwaffe ihre Sicherheitsvorschriften für den Lufttransport von Atomwaffen, um den Transport der neuen Atombombe B61-12 mit dem Flugzeug C-17A Globemaster III zu ermöglichen.“
Die jetzige Maschine war Mitte Juli vom Atomwaffenlager Kirtland in New Mexico gestartet und nach zehnstündigem Flug auf der britischen Luftwaffenbasis RAF Lakenheath gelandet.
Den Medien zufolge war die Rückkehr von US-Nuklearwaffen nach Lakenheath – die Basis war bis 2008 Kernwaffenstützpunkt – schon seit Jahren durch entsprechende Bau- und Modernisierungsmaßnahmen vorbereitet worden. Die britische Regierung hatte ihrerseits kürzlich in einem Verteidigungspapier bestätigt, dass sie US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35A (siehe dazu auch Blättchen 16/2022 [4]) für die Royal Air Force erwerben und für den Einsatz mit US-Kernwaffen bereitstellen will.
PS – zu den Tücken von KI: Die Eingabe von „wie viele atombomben kann eine C-17 transportieren?“ bei Google (11.05.2025, 11:07 Uhr) erbrachte übrigens – ausgewiesen als „Übersicht mit KI“ – folgende (ausführliche) Fehlinformation: „Eine C-17 Globemaster III kann keine Atombomben transportieren. […] Hier sind einige Gründe, warum die C-17 nicht für den Transport von Atomwaffen verwendet wird: […] Die C-17 ist nicht mit den notwendigen Vorrichtungen und Sicherungssystemen ausgestattet, um Atomwaffen sicher und zuverlässig zu transportieren.“
„Wir scheuern das“
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde bei der Vorstellung ihres Buchs „Freiheit“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden nicht ausgebuht. Offensichtlich waren die Zuhörer dankbar dafür, dass sie unter Frau Merkel jahrelang ihre Ruhe hatten, während die Infrastruktur des Landes in aller Stille verrottete.
Einen Satz kann man der ehemaligen Regierungschefin allerdings nicht nachsehen. Sie sagte: „Ich freue mich sehr, im Hygiene-Museum zu sein. Obwohl ich zuerst gedacht habe, hier geht es mehr um Scheuermittel – ich bin halt DDR-sozialisiert.“
Hätte ein Mann dies gesagt, müsste man ihm ein paar scheuern. Einer Dame gegenüber soll die Sanktion darin bestehen, die ohnehin vom Leben ad absurdum geführte Losung „Wir schaffen das“ in „Wir scheuern das“ umzuformulieren. Gerade eine DDR-sozialisierte Person muss gewusst haben, dass sich das „Deutsche Hygiene-Museum in der Deutschen Demokratischen Republik“ als Zentrum der Gesundheitserziehung und Gesundheitspropaganda verstand und absolut nichts mit Scheuermitteln zu tun hatte. Eher schon mit Steuermitteln, die großzügig verbraucht wurden. Wenigstens eine der Wanderausstellungen des Museums hat gewiss auch Berlin, die Uckermark und benachbarte Gebiete erreicht, was die unhöfliche und unnötigerweise ausgesprochene Ignoranz noch schlimmer macht.
„[…] lächeln aus dem Bild heraus“
Bisweilen übertreffen Schüler ihre Lehrer. Und sei es nur in der öffentlichen Wahrnehmung. So erging es Camille Pissarro, einem der Gründerväter des Impressionismus. Er gilt bis heute als ein eher Unscheinbarer. Namen wie Monet, Renoir, Manet und Degas sind nach wie vor geläufiger. Vielleicht geht in dieser Hinsicht von der großartigen derzeit im Museum Barberini in Potsdam zu sehenden Exposition ein neuer Impuls aus. Sie wird ab Oktober 2025 auch in den USA – in Colorado, Ohio – gezeigt werden.
Versammelt sind 100 Pissarro-Werke aus fünfzig internationalen Sammlungen. 93 davon mussten längere Reisen zurücklegen, sieben entstammen der Impressionisten-Sammlung des Barberini-Gründers Hasso Plattner.
Ingeborg Ruthe, die geschätzte Kunstkritikerin der Berliner Zeitung, fasste zusammen: „Dank der exzellenten Kuratorenarbeit von Nerina Santorius gehen wir durch einen Malkosmos voller Neugier auf die Welt, Experimentierlust und Beobachtungsgabe auch für Details. Pissarro war ein stiller Meister fein abgestimmter Harmonien, aus jedem Bild spricht sein Humanismus, erklingen in den Farben sehnsuchtsvoll die sozialutopischen Ideen seiner Kunst, in der die Welt schön und die Menschen gut sind. Etliches scheint Corot verwandt: Auch bei Pissarro weichen Wege oder Flüsse perspektivisch zurück, während Gestalten − meist von hinten betrachtet − einen Eindruck der Größenverhältnisse vermitteln. Nur, anders als beim verehrten Freund, ist das Kolorit nicht so geheimnisvoll silbrig, sondern eher lichtgelb, „blond“, grün, lehm-gelbrot. In Pissarros Szenen ist das Dramatische abwesend, fast könnte man sagen: Die Dinge und Figuren lächeln aus dem Bild heraus.“
„Mit offenem Blick. Der Impressionist Pissarro“, Museum Barberini, Potsdam, Alter Markt 3; noch bis 28.09.2025, Mittwoch bis Montag 10:00-19:00 Uhr; Eintritt: 16,00 Euro. Zu weiteren Informationen über den Maler siehe Blättchen 1/2015 [5].
Die Ballade von der ewigen Unzufriedenheit
Wenn eine schöne Frau euch mal den Kopf verdreht;
laßt ihr den Spaß, wie schnell ist das verweht,
was vorne schmeichelt und hinten kratzt.
Man muß die Dinge nehmen, wie sie eben sind,
denn wer sich wehrt, der ist erst recht verratzt
und bleibt sein Leben lang ein Blatt im Wind,
wie mit den hundert Frauen König Salomo,
bei keiner war er seines Herzens froh.
Auch Orpheus war gewiß kein Hasenfuß,
als er von seiner Freundin ohne Gruß
in schwarzer Nacht in eine Felsenhöhle fuhr.
Jedoch Narziß, der schöne Spiegelheld,
der hat sich selber wohl ein Bein gestellt,
von wegen der mißratenen Natur.
Liebst du dein Fleisch im Leben ebenso
wie Onan, wirst du deines Lebens nimmer froh.
Sardanapal, der trank nur Honigwein
und wollte gar zu gern ein Weibsbild sein;
mit seinen Mägden hat er Nacht für Nacht
den Flachs gedreht und wurde fett dabei.
Auch David hat wer weiß wieviel Geschrei
um eine Dame Bathseba gemacht,
nur weil er einmal ihren Pipapo
am hell-lichten Tage nackt gesehen hat,
nachher noch mehr und wurde doch nicht froh.
Von Ammon sagt man, daß in seiner Gier
nach einer Jungfernhaut, er auf die eigne Schwester
geriet, anstatt in die entlegenen Nester
vom Stamme Israel. Und jenes andre Tier
(ich meine den Herodes jetzt)
hat dem Johann den Kopf vom Rumpf gewetzt
für einen Tanz der Salome. Auch sie ließ er ermorden
und ist der Lustbarkeit nicht froh geworden.
Zuletzt hat auch Villon schon mancherlei erfahren,
was wohl mit der Liebe sei.
Er war zum Beispiel in Margot verknallt,
die liebte ihn mit Lüge und Betrug
und lockte ihn in einen Hinterhalt,
wo man ihm alle Knochen blutig schlug.
Da lag er wie ein Frosch im faulen Stroh
und wurde nie mehr seiner Liebe froh.
Lehrreicher Nachsatz:
Es ist schon besser, wenn man unbeweibt
auf dieser Welt als Mann sein Wesen treibt.
Die Weiber haben alle nur den einen Dreh:
daß es allein der Mann sei, der zu schenken hat,
was er an Fleisch et cetera pepe
verdecken muß mit einem Feigenblatt.
In diesem Leben ist’s nun einmal so,
deshalb wird man der Lust auch nur Minuten froh.
Wahrsprüche*
Ich bin mit Wahrsprüchen groß geworden. Nach dem Krieg hing bei uns zu Hause ein Überhandtuch. Meine Mutter hatte es selbst bestickt. In feinen Kreuzstichbuchstaben war da zu lesen: „Wenn des Lebens Stürme toben, richte deinen Blick nach oben.“.
Später dann, bei einem Ernteeinsatz in der LPG unserer Gemeinde, entdeckte ich auf einer Wandzeitung und in großen Lettern geschrieben den Spruch: „Ohne Gott und Sonnenschein, bringen wir die Ernte ein!“. Das war in den Sechzigern. Da wusste ich noch nicht, dass Wahrsprüche nicht begründet werden müssen.
1989, bei einer der legendär gewordenen „Montagsdemos“ in der DDR hatte sich ein älteres Ehepaar eingereiht. Gemeinsam hielten sie ein kleines Schild in die Höhe. Darauf stand: „Die Einheit ist ein festes Band, hält zusammen Leut‘ und Land.“ Das hätte auch in meinem Poesiealbum stehen können.
Nur ein einziges Mal ist es mir gelungen, den Schöpfer eines Wahrspruchs ausfindig zu machen. Ludwig Bechstein (1801 – 1860) hat Bitterfeld mit seinem Zweizeiler „Seh‘n wir uns nicht in dieser Welt, so seh‘n wir uns in Bitterfeld.“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Reisender, kommst du mit dem Zug in diese Stadt, dann begrüßt dich jenes geflügelte Wort in der Bahnhofsunterführung.
Einmal wollte auch ich der Autor eines Wahrspruchs sein. Bitte schön, hier ist er: „Wird‘s im Lande duster, hilft nur noch ein Booster.“
Heinz Freiberg,
Blättchen-Leser
* – Google definiert: „Das Geschworenenurteil über die Schuld bzw. Unschuld der angeklagten Person wird als ‚Wahrspruch‘ bezeichnet und muss nicht begründet werden.“
Ein kurzer Text über die Schöpfung
Nein. Gott ist kein alter weiser Mann. Gott ist vor aller Weisheit, vor allem Alter, ist vor allem Geschlecht. Gott gendert nicht. Gott hat auch keinen rechten Zeigefinger. Den hat sich später ein Maler ausgedacht. Gott ist auch nicht tot. Er hatte nur Wichtigeres zu tun, als sich um Herrn Friedrich Nietzsche aus Röcken zu kümmern.
Gott ist kein Geschöpf, das man beschreiben könnte. Gott ist der Schöpfer. Und ein Schöpfer hat’s auch nicht leicht. Er eilt durch die Äonen. Von Schöpfung zu Schöpfung. Eigentlich eilt er nicht, das kommt nur uns so vor. Aber Gott hat keine Eile. Sagen wir: Er ist unterwegs. Von Singularität zu Singularität. Von Universum zu Universum. Unseres schuf er vor 13,8 Milliarden Jahren. Seit einigen Dutzend Jahren denken Physiker ernsthaft über den Urknall nach. Sollen sie. Sie glauben, weil so viel Zeit seit dem Schöpfungsmoment vergangen ist, hätten sie noch sehr viel Zeit zum Nachdenken. Physiker irren sich manchmal.
Schöpfung ist ein anstrengendes Geschäft. Alles muss passen. Und alles muss zur gleichen Zeit dazu bereit sein, geschöpft zu werden. Alle Energie in einem Punkt, alle Kräfte in einer Kraft. Und alles, was mal Elementarteilchen werden will – typisch Singularität eben – wartet darauf, angetippt zu werden. Gar nicht so einfach ohne Zeigefinger. Und wenn dann eine Schlafmütze dabei ist, ein Energiepartikel, das im entscheidenden Moment des Schöpfungsaktes keine Lust hat, als Elementarteilchen, Wasserstoffatom oder Schwermetall Karriere zu machen, und sich noch mal auf die andere Seite dreht, dann war’s das mit Raum und Zeit und der Schöpfung und der Urknall hört sich an wie ein müder Furz. Keine Lust.
Keine Schöpfung ist vollkommen. Aber das merkt keiner. Denn die unvollkommene Schöpfung wurde nicht erschaffen, sie existiert einfach nicht. Keiner ist da, der sich über ihre Unvollkommenheit beschweren könnte. Solche Beschwerden werden nur in gelungenen, wirklich vollkommenen Schöpfungen laut.
Manchmal ist Gott ein wenig erschöpft und ruht sich aus, bevor er zur nächsten Singularität weiterzieht und eine neue Schöpfung in Gang setzt. Denn er ist von unendlicher Geduld.
Film ab
Um mit der Tür ins Haus zu fallen: Besprechungen zu Streifen, die durch ihre Trailer, in den Medien und im Internet als Komödien beworben werden, wird es an dieser Stelle wohl sobald nicht mehr geben. Nach „Der Pinguin meines Lebens“ (Blättchen 10/2025 [6]) und „Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne“ (Blättchen 12/2025 [7]) ist „4 Mütter für Edward“ in kurzer Zeit bereits die dritte „Komödie“, während deren gesamter Vorführung im gesamten Kino (immerhin besetzt mit 16 Zuschauern) nicht ein einziger Lacher zu hören war. Man fragt sich, was das für Kollegen sein müssen, die da schon wieder eine „feine, leichte Wohlfühlkomödie [8]“ (programmkino.de), respektive eine „herzerwärmende und liebevolle Komödie [9]“ (pandorafilm.de) gesehen haben wollen.
Und um noch eins draufzusetzen: Wer die 70 kurz vor oder schon hinter sich und deswegen dauerhaft oder auch nur bisweilen den Blues hat, dem ist ein Kinogang schon allein aus therapeutischen Gründen nicht zu empfehlen. Und wer als im Sternbild Waage Geborener sowieso schon lebenslang mit Entscheidungsschwäche, wenn nicht -unfähigkeit konfrontiert ist, dem wird im Kino allenfalls bestätigt, was er bei halbwegs wachem Verstand sowieso schon befürchtete: Geteiltes Leid ist nicht halbes Leid, sondern doppeltes!
Der Rest der cineastisch begeisterungsfähigen Menschheit kann sich diesen sehr anrührenden, sehr sanft erzählten Film aber sicher ohne bleibende seelische Schäden zu Gemüte führen.
„4 Mütter für Edward“, Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Darren Thornton. Derzeit in den Kinos.
Der Dichter*, was spricht er?
Die Liebe bringt auf Ideen und in Gefahren.
Heinrich Mann
Das Zahnweh, subjektiv genommen,
Ist ohne Zweifel unwillkommen.
Wilhelm Busch
Und der Dichter sprach: „Um dieses Werk habe ich gerungen!“ –
Schade, möchte der Leser sagen, daß nicht der andere gewonnen hat.
Günter Kunert
Das Gefährlichste, Zerstörerischste und Dümmste ist bleicher Ehrgeiz.
Thomas Mann
„Ehrlich währt am längsten« – eine Lüge, die die Gauner ausgestreut haben,
um die Überfüllung des Berufes zu verhindern.
Roda Roda
Was dem Menschen leicht wird,
pflegt er gern zu tun.
Hermann von Helmholtz
Zur Anregung meiner Galle lese ich Nietzsche.
Es lohnt, ihn zu lesen, um sich darüber zu entsetzen,
woran sich die Leute begeistern.
Lew Tolstoi
Wenn man einen Mund hat zu fragen, findet man alles.
Michail Sadoveanu
Einer Dame zu sagen: „Ich liebe Sie nicht“, ist dasselbe,
wie einem Schriftsteller zu sagen: „Sie verstehen nicht zu schreiben.“
Anton Tschechow
Sturm läutert die Luft.
Caspar David Friedrich
Eine Ehe ohne Würze kleiner Mißhelligkeiten
wäre fast etwas wie ein Gedicht ohne r.
Georg Christoph Lichtenberg
Viel Rettungsmittel bietest du! Was heißt’s?
Die beste Rettung, Gegenwart des Geis’s!
Johann Wolf gang Goethe
Wer vom Schweigen nichts versteht,
soll den Mund halten.
Gerhard Branstner
Mitunter tritt der Glücksfall ein,
daß ein Buch ähnlich nützlich sein kann wie Brot.
Irmtraud Morgner
Kein Mensch hat Geist genug,
um niemals langweilig zu sein.
Vauvenargues
* – „Der Dichter“ in dieser Rubrik ist durchaus wörtlich, doch zugleich nicht minder als Metapher zu verstehen, denn es können auch Maler, Komponisten und andere originell denkende Künstler zu Wort kommen …
„Respekt!“
Bereits zum 48. Mal findet am ersten Augustwochenende an verschiedenen Spielstätten in der fränkischen Metropole Nürnberg das traditionsreiche Bardentreffen statt – an drei Tagen im Herzen der Altstadt. Das diesjährige Motto „Respekt!“ trifft in global wie innergesellschaftlich sehr aufgewühlten Zeiten auf hoffentlich viel positive Resonanz. Im Fokus in diesem Jahr: insbesondere Künstler, die für Emanzipation und Gleichberechtigung einstehen.
Neben dem offiziellen Programm treten auch Hunderte von Straßenkünstlern auf – Musiker, Jongleure, Pantomimen.
Einen Querschnitt aus dem reichhaltigen Festivalprogramm findet sich bereits jetzt auf dem 17 Titel umfassenden CD-Sampler „Bardentreffen 2025“: klassische Liedermacher, osteuropäische Musik, wild pulsierende Beatrhythmen …und das in unterschiedlichsten Sprachen.
Der Rezensent greift von den Musikstücken drei Songs exemplarisch heraus:
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Frieder Graef war viele Jahre Gitarrist und Sänger bei Bands, die ihren musikalischen Kurs als „Americana“ oder „Alternativ Country“ bezeichnen. Mit „Golden Receiver“ ist ihm ein beeindruckendes Solo-Debüt gelungen. Der Song „No Using Trying“ findet sich auch auf dem Sampler – eine starke Stimme und ein markantes Gitarrenspiel.
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Die Pariser Band Jagas präsentiert energiegeladene Musik, die zwischen Chanson, Folkrock und französischer Popmusik changiert. Der Song „Viens chez moi“ („Komm zu mir nach Hause“) ist eine mit viel Power vorgetragene Hymne an die Freundschaft und die kostbaren Momente des Zusammenseins.
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Die 25-jährige Österreicherin Anna Buchegger widmet sich aktuell alpenländischen Volksmusik. Ihr Song „Maria“ ist eine musikalische Hommage an Maria von Trapp, eine 1905 in Wien geborene Sängerin und Schriftstellerin, die nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland in die USA emigrierte.
Etwas spartanisch sind leider die Band- und Musikinfos im CD-Booklet. Wer hier mehr Einblicke gewinnen möchte, der sollte sich zusätzlich die aktuelle Ausgabe der Folk Galore gönnen.
„Bardentreffen 2025“, CD, Label: Folk Galore, ab 10,99 Euro.
Es ist so hyggelig
Der Autor lebt seit den 1980er Jahren in Dänemark zusammen mit seiner dänischen Frau und drei Kindern. Er kennt also nicht nur Land und Leute sehr gut, sondern auch die Bürokratie und diverse Fettnäpfchen.
Zunächst beschreibt er die Varianten der möglichen Anreisen ins Land und nimmt uns dann mit zu verschiedenen Orten (ab 200 Bewohnern zählen sie als Stadt) und ihren berühmten Landeskindern (so zum Beispiel zu Søren Kierkegaard, dem Urvater des Existentialismus, oder Hans Martin Andersen, dem Märchenerzähler). Natürlich wird auch das Königshaus beschrieben und das Verhältnis der Dänen zu ihm.
Unvergessen und in dänischen Köpfen fest verankert – das den zehn Geboten nachgebildete Gesetz von Jante [10]:
„Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist.“
„Du sollst nicht glauben, dass uns ebenbürtig bist.“
„Du sollst nicht glauben, dass du klüger bist als wir.
[…]
„Du sollst nicht glauben, dass du uns etwas beibringen kannst.
Der Kodex wird nach wie vor als skandinavische Besonderheit betrachtet – erinnert den Autor jedoch an seine eigene Kindheit in einem norddeutschen Dorf.
Eine weitere Besonderheit des Hygge*-Landes ist die Auffassung, dass Singen froh mache und dass zu jeder Gelegenheit selbstverfasste Lieder vorgetragen und gemeinsam gesungen werden. Dies mache das Debattieren leichter und Streiten schwerer.
Vorbildlich das Krankenkassensystem – es herrscht Gleichheit zwischen allen, also keine Teilung in Kassen- und Privatpatienten. Und auch sonst gibt es flache Hierarchien und kurze Arbeitszeiten, so dass es viele Ärzte aus Deutschland nach Dänemark zieht. Die soziale Absicherung sei ebenfalls besser, obwohl sie inzwischen durchaus schrumpfe.
Ein Buch über Dänemark kommt natürlich nicht ohne ein eigenes Kapitel zu Lego(land) aus – ach wie schön war das unbeschwerte Basteln ohne Massentourismus mit meiner Tochter dort vor 25 Jahren. Heute sehe es leider anders aus, so der Autor.
Die Zeit des Nationalsozialismus wird ebenfalls besprochen – die heute noch teilweise bestehenden Ressentiments gegenüber Deutschen haben allerdings Wurzeln bereits in der früheren Geschichte: die folgenreichste Kriegsniederlage in der dänischen Geschichte fand 1864 statt – 3000 Soldaten starben bei der Stürmung der Düppeler Schanzen im ersten der von Bismarck angezettelten drei Kriege zur deutschen Reichseinigung. Die damalige Selbstüberschätzung Dänemarks kostete das Land ein Drittel seines Territoriums, es musste die Herzogtümer Holstein, Schleswig und Lauenburg abtreten, Altona: Kiel und Flensburg waren nicht länger dänisch …
Thomas Borchert: Gebrauchsanweisung für Dänemark, Piper Verlag, München 2025, 212 Seiten, 15,00 Euro.
* – Hygge (= Wohlbefinden) ist ein Kernbestandteil der dänischen Tradition und Lebensweise.
Der Zahnarzt
Fred ölt die Bohrmaschine als Dentist.
Der Freund, im weißen Kittel, fesselt schon
An seinen Stuhl den dicken Herrn Baron
Und Bankier Epstein (fünfzig Jahre, Christ).
Dann fängt Fred an, ihn ernstlich zu bedrohn.
Da er zu keinem Opfer willig ist
– Indes der Bohrer immer tiefer frißt –
Greift er zum Hebel für die Extraktion.
Fred fordert nun ein Wöchnerinnenhaus.
Der Bankherr zögert lang mit dem Akzept.
Da werden neue Zangen hergeschleppt.
Herr Epstein füllt sofort den Wechsel aus.
Und in der Angst um seine letzten Zähne
Stützt er Freds Kunstzeitschrift: „Die Innenträne“.
Aus: F. Eisenlohr, L. Hahnon und L. Rubiner – Kriminal-Sonette.
Erstmals erschienen 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig.
Zu weiteren Informationen siehe Blättchen 10/2025 [6].
Aus anderen Quellen
Das Blättchen hatte in Ausgabe 12/2025 [11] über das Manifest der Friedenskreise der SPD „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ berichtet. Jetzt hat sich Dieter Segert, er gehört zu den Erstunterzeichnern des Manifestes und ist auch Autor dieses Magazins, mit kritischen Einwänden gegen das Papier auseinandergesetzt. Unter anderem merkt er an: „Die Frage ist doch: Gibt es denn so etwas wie objektive Sicherheitsinteressen Russlands oder sind das nur Hirngespinste? Ich verlasse mich da auf die Position des früheren EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, der in der Berliner Zeitung vom 11. Juli angemahnt hat, die EU sollte die Sicherheitsinteressen Russlands, von deren Existenz er offenbar ausgeht, berücksichtigen. Er erinnerte auch daran, dass Putin viele Jahre ernsthaft versucht hat, eine dauerhafte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen zu erreichen.“
Dieter Segert: Verlorenes Vertrauen und Wege zum Frieden, Berliner Zeitung, 23.07.2025. Zum Volltext hier klicken. [12]
*
„Wie ganzheitlich der mediale Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen geführt wird,“ so Jonas Tögel zu der allgegenwärtigen Propaganda, mit der die Bevölkerung vom Sinn der Kriegstüchtigkeit überzeugt werden soll, „lässt sich gut daran erkennen, dass auch das Bildungswesen und damit junge Schülerinnen und Schüler in den Kampf gegen ‚Desinformation‘ mit einbezogen werden. In diesem Zusammenhang erklärte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter, der […] 2024 gefordert hatte, man müsse den ‚Krieg nach Russland tragen‘, wie wichtig es für die Akzeptanz der Aufrüstung sei, die Angst vor Russland fest in den Köpfen und Herzen der Bevölkerung zu verankern.“
Jonas Tögel: Kampf um Köpfe und Herzen, Berliner Zeitung, 02.07.2025. Zum Volltext hier klicken. [13]
*
Ohne die Ukraine namentlich zu benennen vermerkt Dmitrij Trenin, Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Strategie der Nationalen Forschungsuniversität „Hochschule für Wirtschaft“ in Moskau, es wäre „seltsam zu erwarten, dass ein Staat, der über Atomwaffen verfügt, auf deren Einsatz verzichtet, wenn der Feind mit konventionellen Waffen die Existenz dieses Staates in Frage stellt. Der Versuch, eine Atommacht mit Hilfe eines Drittlandes strategisch zu besiegen, ist daher eine äußerst gefährliche Strategie, die dazu führen kann, dass sich der ‚nukleare Bumerang‘ gegen seine Urheber richtet.“
Dmitrij Trenins: Welche Rolle spielen Kernwaffen in den heutigen internationalen Beziehungen?, Profil, 07.07.2025. Zum russischen Original hier klicken. [14] Zur deutschen Übersetzung hier. [15]
*
„Israel“, daran erinnert Akram Belkaïd, „verweigert bekanntlich jede Auskunft über sein eigenes nukleares Arsenal. Das Land ist dem Atomwaffensperrvertrag niemals beigetreten und dürfte heute über mindestens 90 Atomsprengköpfe verfügen. Einige prominente Stimmen in Israel haben sogar gefordert, diese Waffe gegen Iran einzusetzen. Die Konsequenzen eines solchen Einsatzes – den auch Netanjahu nie ausgeschlossen hat – kann man sich leicht ausmalen. Dem israelischen Regierungschef geht es ganz sicher nicht nur darum, Iran an der Entwicklung einer Bombe zu hindern. Jede neue Krise verschafft ihm innenpolitisch eine willkommene Atempause. In Kriegszeiten tritt die Forderung nach seinem Rücktritt in den Hintergrund, was auch für die Korruptionsprozesse gegen ihn gilt.“
Akram Belkaïd: Israel und die Logik der Eskalation, monde-diplomatique.de, 10.07.2025. Zum Volltext hier klicken. [16]
*
Ewalt Reder rezensiert Franz Werfels 1929 erschienenen Roman „Barbara oder die Frömmigkeit“ und kommt zu dem Fazit: „Mein Eindruck ist, dass wir mit dem Abstand eines Jahrhunderts, einer für die meisten ununterbrochenen Abwesenheit von Kriegserfahrungen, noch viel mehr solche Literatur bräuchten. Kaum hatte die millionenfache Mordserie damals begonnen, war für die Teilnehmer nichts mehr so, wie es noch kurz vorher gewesen war. Alle Erwartungen an das Leben und die Mitmenschen, inklusive die Kultur als Grundlage, auf der Erwartungen gehegt werden, lösten sich auf und ließen nichts übrig, woran der Einzelne festhalten konnte. Zuallererst aufgelöst […] hatten sich die Parolen, mit denen man in den Krieg geschickt worden war, von Vaterland, Kaisertum, Tradition, Soldatenehre und dem sonstigen Ideologieplunder […]. Übrig blieb das Grauen.“ (Das in der gegenwärtigen Berichterstattung der Medien über laufende Kriege und Kriegsvorbereitungen weitestgehend ausgeklammert bleibt; es konterkarierte die Propaganda, mit der sich Jonas Tögel befasst hat – siehe oben. Siehe auch den Beitrag von Sarcasticus in dieser Ausgabe [17].
Ewart Reder: Ein Halt im Stahlgewitter, Ossietzky, 13/2025. Zum Volltext hier klicken. [18]
Richtigstellung
Durch ein Versehen war der Beitrag „20 Jahre Deutsches Komponistenarchiv“ im Blättchen 12/2025 [19] mit einem falschen Autorennamen versehen. Nicht Thomas Heyn war, wie ursprünglich ausgewiesen, der Autor; diese Meriten gebühren vielmehr Felix Dietze und Aiko Herrmann.
Nach Kenntniserlangung haben wir den Fehler auf unserer Homepage sofort korrigiert und bitten um Pardon.
Letzte Meldung
Die Bundesregierung prüft einem Bericht der Welt vom 08.07.2025 zufolge einen Mega-Rüstungsauftrag für bis zu 2500 Transportpanzer GTK-Boxer und bis zu 1000 Kampfpanzer Leopard 2. Sieben zusätzliche Kampfbrigaden sollen aufgebaut werden. Das gesamte Auftragsvolumen könnte sich auf 25 Milliarden Euro belaufen. Eine Entscheidung soll bis Jahresende getroffen werden.
Bereits Anfang des Jahres war die erste Genehmigung zum Kauf von mehr als 1000 gepanzerten Fahrzeugen des finnischen Rüstungsunternehmens Patria erteilt worden.