Mehr als tausend Mitglieder aller Stile hat der „Deutsche Komponist:innenverband“ derzeit. Dazu kommen ungezählte erfolgreiche GEMA-Mitglieder außerhalb des Verbandes. Nicht eine Handvoll einzelner „großer Namen“ macht Deutschland zum international angesehenen Musikland, sondern erst diese Vielzahl unterschiedlichster Akteure aller Musiksparten. Doch was geschieht nach dem Ende musikalischer Karrieren, was wird bewahrt und findet Eingang in das kulturelle Gedächtnis, in die künftige Forschung und Musikgeschichtsschreibung?
Die Situation scheint wenig rosig: Die deutsche Archivlandschaft ist kleinteilig, regional sehr ungleichmäßig aufgestellt, oft stilistisch einseitig und höchst selektiv, dabei äußerst platzbegrenzt – viele Komponisten fielen und fallen durchs grobmaschige Raster, die Überlieferung wird verzerrt. „Wohin mit dem Nachlass?“ ist daher die drängende Frage, die beim Podiumsgespräch der Festveranstaltung 20 Jahre Deutsches Komponistenarchiv (DKA) am 11. April 2025 gestellt wurde.
Eben dieses Deutsche Komponistenarchiv selbst sollte die Lösung sein, als es 2005 von Harald Banter, Michael Karbaum und Udo Zimmermann gegründet wurde – und ist doch Paradebeispiel für die prekäre aktuelle Situation. Als Heimat für Vor- und Nachlässe aus dem sogenannten „Mittelbau der GEMA“ konzipiert, also jener Komponisten, die von anderen Institutionen oft wegen ihrer angeblich zu geringen Strahlkraft oder Stilhöhe (Filmmusik, „U-Musik“ et cetera) aussortiert werden, und frei von regionalen Sammelschwerpunkten, wäre es ideal, diese Lücke in der Archivlandschaft zu schließen. Theoretisch. Praktisch kämpft das Archiv seit Jahren ums bloße Überleben: Vom Gründungsort Hellerau ausgelagert und im Dresdner Stadtarchiv als Fremdbestand (aber dankenswerterweise!) geduldet, harren die bisher (nur) knapp vierzig Nachlässe mit ihrer großen Vielfalt an Medien und Materialien teils seit langem ihrer Erschließung, Sicherung und Digitalisierung, weil das nötige Personal nicht bezahlt werden kann. Immerhin rettete die Gründung des DKA-Fördervereins 2020 das Archiv dank Spenden vor dem drohenden Aus. Mittlerweile konnte eine moderne Archivsoftware eingeführt und durch ehrenamtliche Arbeit ein Minimalbetrieb gesichert werden. Trotzdem ist der Bestand dieser deutschlandweit einmaligen und dringend notwendigen Institution geschlossen: Es können keine weiteren Nachlässe aufgenommen werden. Ein hochgradig absurder Zustand.
Die Festveranstaltung versuchte sich dennoch in vorsichtigem Optimismus. Man gedachte der wechselvollen Geschichte und stellte die ungebrochene Bedeutung des Archivkonzepts vor. Trotz der sehr eingeschränkten Möglichkeiten wird das Archiv genutzt und Projekte – etwa zu Kurt Sandig (mit dem MDR) oder zu Gerd Natschinski – können umgesetzt werden. Dass eine langfristige Finanzierung und Unterbringung dringend geboten ist, machten auch die Ausführungen von Barbara Wiermann (Sächsische Landesbibliothek) und Johannes Hildebrandt (DKV) deutlich: Viele Archivalien wie Tonbänder und Handschriften besitzen materialbedingte Verfallsdaten und werden in absehbarer Zeit unwiederbringlich zerfallen. Eine Digitalisierung der Bestände muss zeitnah erfolgen oder man hat den Verlust historischer Quellen zu verantworten.
Im Dresdner Stadtarchiv sind die bisherigen Bestände in ihrem fragilen Zustand immerhin gut gelagert. Aber man denke an die Vielzahl der gegenwärtig nicht aufnehmbaren Nachlässe, die in privaten Haushalten unsachgemäß verlottern oder von den zuweilen überforderten Erben zerstreut oder gar vernichtet werden. Hier gehen seit Jahren Archivschätze verloren, die hätten gerettet werden können.
Ein weiteres Problem sind die Vor- und Nachlässe der jüngeren Generationen, die zunehmend und teils ausschließlich digital arbeiten und nur partiell oder gar nicht durch Verlage repräsentiert werden. Auch diese Datensätze müssen gesammelt und in dauerhaft lesbarer Form archiviert werden, will man nicht eines Tages vor einer riesigen historischen Leerstelle stehen. Als prägnantes Beispiel dafür, wie leicht und von Fragen der Qualität und Relevanz völlig entkoppelt auch neuere Musik beinahe komplett aus der Geschichtsschreibung verschwinden kann, sei an die Wiederentdeckung von Julius Eastman und Johanna M. Beyer erinnert sowie allgemein an die Überlieferungsproblematik weiblichen Komponierens.
Aus solchen Fehlern müsste doch zu lernen sein – gerade auch im Kontext unseres international ausstrahlenden Selbstverständnisses als Musiknation.
Der zweite Teil der Festveranstaltung sei nicht übergangen: Das umtriebige Ensemble „El Perro Andaluz“ gab musikalisch hervorragende Einblicke in die stilistische Vielfalt der Bestände des Archivs. Lukas Natschinski spielte mit Energie und Esprit ein Medley aus Musical-Melodien seines Vaters.
Schlagwörter: Deutscher Komponist:innenverband, Deutsches Komponistenarchiv, Dresdner Stadtarchiv, Thomas Heyn


