28. Jahrgang | Nummer 11 | 16. Juni 2025

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Brasch. Das Alte geht nicht und das Neue auch nicht“ – Gorki Theater Studio / „Döner unter Palmen – Gutes Wedding, Schlechtes Wedding, Folge 137“ – Primetime Theater / „Schicklgruber“ – Deutsches Theater

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Gorki Studio: „Ich bin das Lied“

Zwei schräge Vögel landen irgendwo am Rande der Stadt – und der Gesellschaft. Sie nennen sich Sakko und Oi. Sakko (Edgar Eckert) ist ohne Arbeit; Oi (Klara Deutschmann) gaunert sich zusammen, was sie braucht. Ihre Philosophie: „Für Leute mit Verstand gibt’s nur zwei Möglichkeiten: Künstler oder Krimineller.“ Zusammen träumen sie vom großen Geld und tollen Abenteuern in dicken schnellen Schlitten. Zwei Eigensinnige, Ratlose, Verlorene, die da irritiert ins Leben stolpern und ziellos umherirren, nichts finden, bis sie unter die Räder kommen. Thomas Brasch erzählt anno 1983 davon in seinem existenzialistisch getönten Theaterstück „Mercedes“.

Lena Brasch, Jahrgang 1993, die Nichte von Thomas, nahm es als Klammer für ihre berührend eigenwillige Hommage auf den berühmten Onkel im Gedenken an dessen 80. Geburtstag.

In diese Klammer packte sie eine dritte Person (Jasna Fritzi Bauer), die sich mit signifikanten Bruchstücken aus Thomas Braschs Prosa und Lyrik kontrapunktisch unter die „Mercedes“-Szenen mischt. Die Bauer agiert da im ganz selbstverständlichen Wechsel als lakonische Kommentatorin oder eindringliche Interpretin, sozusagen als T.B. selbst. Oder auch als Lisa, der Figur der Schauspielerin aus dem Brasch-Film „Domino“, mit einem Ruf gellender Ausweglosigkeit „Das Neue geht nicht und das Alte auch nicht“.

Der gibt das Motto dieses Abends, der die Brasch-Zitate nicht einfach sammelt, sondern sie auf ganz persönliche Art neu komponiert. Ganz im Sinne Braschs: „Bin das Lied, bin nicht der Sänger.“ So entfernt die Regisseurin den Sänger behutsam von seinen Bindungen an das „graue Land“ DDR, überhaupt an diese deutsche Erde, in die er „hineingestapft“ wurde. Das wiederum lässt die poetische Wucht seiner „Lieder“ über wundgeschlagene Schädel, über Wut, Ängste, Verlassen- und Vergeblichkeit und über das „Loch, in dem wir, einer nach dem andern verschwinden“, umso freier strahlen – ins Universelle.

Und der bekannt heldische Widerständler gegen Herrschaft und Macht der Väter, der raue Popstar, der rockige Rebell und kriegerische Schmerzensmann tritt unversehens zurück. In den Nebel der Vergangenheiten, der beständig und bedeutungsvoll durch den Raum bläst.

In der Nachbarschaft, im Deutschen Theater, gibt es gleichfalls ein Thomas-Brasch-Programm: „Halts Maul, Kassandra!“ (Theaterberlin vom 16. Dezember 2024). Opulent, wirkmächtig, politisch-gesellschaftliche Kontexte prononciert ausstellend. Breitformat. Große Oper. Im Gorki ist Kammerspiel, 70 Minuten; bescheiden, eher innig, sanft, wie herüber geweht.

Doch einmal wird es direkt politisch und persönlich. Da übernimmt Jasna Fritzi Bauer O-Ton Lena Brasch. Und erzählt die Anekdote, als sie neulich im Scheunenviertel hämisch beschmierte Stolpersteine wieder blank putzt, aber nicht mit der Bürste auf Knien wie einst die Juden die Wiener Ringstraße scheuerten, sondern aufrichtig mit Besenstiel.

Dass die drei Spieler starken Eindruck machen, versteht sich. Auch sängerisch. Einmal Tanita Tikaram mit „Twist in My Sobriety“. – In meiner Nüchternheit. Passt zum Ganzen. Seltsam cool und gegenwärtig. Dann Deutschmann und Eckert im Duett „Wicked Game“ von Chris Isaak, die bittersüße Ballade mit dem traurig tändelnden Sound der Gitarre. Und immer, immer wieder fährt die Bauer wie außer sich vor Verzweiflung schreiend dazwischen: Mit der Liedzeile „No, I don’t wanna fall in love again“. Nein, nein, nein – letzte Worte. Oder Kampfansage.

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Primetime: Toxisches, Blödes, Kakao und Kluges

Hurra! Er ist wieder da: Unser Superliebling im Allstar-Ensemble von „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“ Daniel Zimmermann, weltberühmt einst als Üwele Gammerdinger von der Männerstillgruppe in Prenzelberg. Jetzt, nach längerer Pause, spielt er seine schwäbelnde Mama Jutta am Tresen von Frauenarzt Dr. Alexander. Kleine Sache.

Ganz groß aber macht er mit verführerischem Hüftschwung einen bezaubernd schillernden, grell glitzernden Lifestyle-Reporter Roy (Kostüme: Rudi Scharff). Und obendrein – Kontrast! – den biederen Hauptkommissar a.D. Schneider (30 Jahre Mordkommission Ostberlin). Ein tölpelhaft herumschnauzendes Schlitzohr, das später, am Schluss der Show, einiges aufzuklären hat. Nämlich den Mordversuch des dämlich verklemmten Günter von Staubitz an seiner dominanten Schwester Steffi, der Chefin von Wedding Air. Klappt aber nicht. Zwar kommt der Flieger zum Absturz in den Ozean, doch die Insassen können sich retten. Auf ein Insel-Idyll.

Steffi, Roy, ein elastischer Flugbegleiter, die militante Überlebensstrategin Mascha sowie Döner-Mann Erkan, nunmehr umgesattelt auf Fischdöner unter Palmen – sie alle wurden nach freiem Fall aus den Wolken unfreiwillig zu Insulanern (Zimmermann, Sascha Vajnstajn, Susanna Karina Bauer, Josefine Heidt, Kilian Löttker). Und durchleiden mit Lust, Lügen, Krächen eine groteske Robinsonade.

Dann Pause, garniert mit Musik. Ein Video aus dem Album des auch im Wedding erfolgreichen Damen-Duos „Die Friedrichshainis“: Ihr Hit „Kebab der Liebe“ lässt den Saal erbeben. „Ich bin der Käse in deinem Herzen…“

Die 137. Folge der kultigen Sitcom „Gutes Wedding, Schlechtes Weddingliefert nicht nur Irrsinn im exotisch maritimen Dschungelcamp, sondern – im zweiten Teil – noch reichlich Beziehungsstress im Berliner Kiez-Milieu (der Rückflug dorthin bleibt dramaturgisch ungeklärt). Dort ringt ein verknallter Depp mit Macho-Ratgeberbuch unterm Arm („Was Frauen wirklich brauchen“) um die Hashtaggerin und küchenpsychologisch versierte Life-Coacherin Lissi mit Teilzeitbüro in der Frauenarztpraxis Dr. A. („Viva la Vulva“).

Daneben das Weddinger Problem-Paar Nr. 2 im Niederringen zwischenmenschlicher Schwierigkeiten. Die resultieren vor allem aus der Verlegung eines Labors für Käseproduktion in häuslicher WG-Badewanne nach draußen an die Frischluft der Uckermark. – Und dann natürlich die Ermittlung wegen Mordes von Rentner-Cop Schneider. Mit Happy End: Denn Steffi hat ihre Führungsfunktion satt, tritt Wedding-Air ab an Bruder Günter, verzeiht alles und stürzt sich ins süße freie Leben.

Da tobt also allerhand Hickhack (Buch/Regie: Philipp Hardy): Gags und Pointen am laufenden Band, Witz und Sarkasmus satt sowie perfekt gestylte Einspieler auf Kinobreitwand (Raphael Howein). Da funkeln Groteske und Kabarett; werden Moden und Zeitgeistwahn, Toxisches und Blödes durch den Kakao gezogen, zartes Glück gefeiert und Lebensklugheiten pointiert verstreut. Hoch lebe die Premium-Bude an der Müllerstraße! Das sympathische Brettl-Theater! Bravo!

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Deutsches Theater: Endspielzirkus im Führerbunker

Er ist ein Meister seines Fachs – als Puppenspieler und als Schauspieler: der einzigartige, sensationelle Nikolaus Habjan aus Österreich. Seine politisch scharf konturierten, Menschliches grell, zuweilen erschreckend tief ausleuchtenden Stücke erregen und bestürzen das Publikum.

Im DT sahen wir zwei Arbeiten, die ins Historische greifen und zugleich Gegenwärtiges packen: Da sind die bittere Schmerzensgeschichte eines Insassen der berüchtigten Nervenklinik Steinhof im Wien der Nazi- und Nachkriegszeit sowie der traurige Blick auf den Lebenslauf des stramm opportunistischen, genialen Dirigenten Karl Böhm, der in Dresden für den NS-Vertriebenen Fritz Busch einsprang, grandios erfolgreich war und nach 1945 mit Persilschein in der Tasche eine Weltkarriere startete. – Zwei große Abende. Unvergesslich.

Und jetzt neu im DT Habjans Koproduktion mit dem Wiener Theater in der Josefstadt: „Schicklgruber“. Das ist der Name des Stiefvaters von Adolf Hitler, also dessen Alias-Name. Denn „Heil Schicklgruber!“ – mit solch einem Schlachtruf kann man keine Weltkriege gewinnen.

Und „Schicklgruber“ heißt das Erfolgsstück (2003) von Neville Tranter, dem australischen Meister der kunstvoll expressiv gebauten Klappmaulpuppen. In dessen Horrorfantasie geht es um die letzten Tage von Hitler, Goebbels samt seinen Kindern, von Göring und Eva Braun, daneben der Diener Hitlers sowie die Kinderfrau der Goebbels.

Also eine Führerbunker-Groteske; zumindest hierzulande eine heikle Angelegenheit. Lachen über die Hitlerei? Freilich, Tranter steht in der Tradition treffsicherer anglophoner Hitler-Farcen (Charlie Chaplin, George Tabori). Doch schon die spektakuläre Verfilmung des Führer-Finales mit Bruno Ganz anno 2004 beispielsweise wirkte teils nur noch unfreiwillig komisch, ja lächerlich.

Rein technisch ist die Übernahme Tranters durch Habjan und seine Mitspielerin Manuela Linshalm bewundernswert. Ein gekonntes Stück Schauspiel mit Puppen. Doch das politisch-menschliche Endspiel des Grauens als Grusel-Zauber-Zirkus mit einem umhergeisternden, kunterbunten Harlekin des Todes zu verfremden, bleibt fragwürdig. Und führt bloß zu unpassendem Kichern. Dabei sollte uns das Lachen im Hals ersticken.

Okay, wir wissen: Das Böse ist banal. Wie die unentwegt bis ins Alberne getriebenen Zickereien, Schleimereien, Wutanfälle und Wehklagen, die Ängste, brutalen Grobheiten, Zynismen und Lügen der Untergangsclique im Betonbunker (draußen ballern die Russen). Da fügt sich, zumindest für mich, nichts zu wirklich wuchtigen Bildern des Entsetzens und der Abscheu über die – doch davon kein Wort! – millionenfach Tod bringenden Nazi-Fratzen.

Trotzdem: Das Premierenpublikum reagierte begeistert mit standing ovations und gellendem Jubel.