Anfang des Jahres wechselte Matthias Krauß die politischen Seiten – er hält jetzt zur AfD. Die Verwunderung bei denjenigen, die ihn anderswo kannten und schätzten, kann nicht größer sein. Nun hat der Journalist ein autobiografisches Buch vorgelegt, es trägt den schönen Titel „Die falschen Fragen gestellt“. Nach der Lektüre wirkt der Schritt nach rechts noch vertrackter, denn was soll der Schulterschluss mit der strammen Rechtspartei, wenn in dem Buch ein einziges Hohelied auf die DDR angestimmt wird! Wenn Krauß für irgendwas die Lanze bricht, dann doch für das gelebte Leben in und vor allem für die DDR.
Krauß, Jahrgang 1960, hat in Hennigsdorf die Schule besucht, ist in Leipzig an der Karl-Marx-Universität zum Journalisten ausgebildet worden, war anschließend bis zum Ende der DDR in Potsdam Jugendredakteur der SED-Bezirkszeitung Märkische Volksstimme. Ausführlich erzählt er über seinen Lebensweg bis 1989/90, selbst die NVA-Zeit wird als Teil des Aufblühens und Reifens beschrieben, die unterschiedlichen Facetten eines jungen und behüteten DDR-Lebens scheinen in einem bunten Bilderbogen auf.
Der Stil sucht Schelmisches, so wenn der Rundfunkmechaniker fassungslos feststellt: „Aber Sie haben ja DDR-Fernsehen eingestellt!“ Vielleicht ist es die starke Seite im Buch, dieses ziemlich gute Einfangen von Stimmung und Haltung in den Endjahren der DDR bei denjenigen, die von dem Land überzeugt waren und nie eine Hand dagegen erhoben hätten. Manchmal wirkt es an der einen oder anderen Stelle auch übertrieben, da hat der Leser den Eindruck, in Hermann Kants „Abspann“ zu blättern. Wie konnte dieses pfiffige Land überhaupt untergehen, fragt er sich im Stillen, eine Antwort bekommt er nicht.
Krauß setzt ganz an den Anfang als Motto ein Zitat aus Heiner Müllers „Krieg ohne Schlacht“: „Natürlich ist eine Diktatur immer farbiger als eine Demokratie.“ So hält er es denn auch: Ausgesprochen farbig ist das eigene Leben in der DDR!
Der Autor schwört auf das gründlich geführte Privatarchiv, das in ein „Welt-Zeitungs-Museum“ passe. Vom einstigen Jugendredakteur der SED-Bezirksorgans ist fast alles versammelt, so reizt der Versuch, es für den Leser einzuordnen: „Meine Jugendseite war demnach kein Bravo-Abklatsch […] Es war vielseitiger, anspruchsvoller und in jeder Hinsicht höherwertiger als die Bravo-Post, mit dem endlos einfältigen Star-Rummel, den auf Kauf und Konsum orientierten Modetipps, dem Klatsch und Abklatsch, und den klischeehaften Rollenbildern – Ausdruck des insgesamt unpolitischen Grundanspruchs.“
Gewiss ein Vorzug des Buches sind die vielen Details aus dem entschwundenen DDR-Leben, reizvoller wohl für diejenigen, die es selbst durchlebt haben. Indes stimmt in der Sache nicht immer alles, zwei kleine Beispiel seien genannt: Der normale DDR-Tourist ist auch nach Ungarn, Rumänien und Bulgarien mit dem Personalausweis gereist, es bedurfte zwar einer sogenannten Reiseanlage, aber es blieb beim Reisen ohne Pass. Und der 1972 eingeführte pass- und visafreie Reiseverkehr zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen wurde von Berlin einseitig im Oktober 1980 ausgesetzt, also lange vor der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981. Warschau wurde schlichtweg mit der Entscheidung aus Berlin konfrontiert, hatte aber mit der Aussetzung nichts zu tun. Wenn er es gewollt hätte – die Kernzeit des Kriegsrechts ausgeklammert –, wäre der neugierige Krauß beim Versuch, über die ČSSR nach Polen einzureisen, von keinem polnischen Grenzpolizisten aufgehalten worden.
Dem Buch fehlt womöglich der zweite Teil, denn im Untertitel heißt es: „Journalist in zwei deutschen Staaten“. Über die vielen Jahre der Zusammenarbeit beispielsweise mit der Redaktion der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland (als Wilfried Neiße) kein Wort! Ab und zu blitzt wenigstens etwas vom hartnäckigen Wirken gegen die „Aufarbeitungsindustrie“ auf, also gegen die öffentliche Verdammung der DDR im politischen Auftrag, wie Krauß es versteht. Getreu dem gewählten Motto erscheint dann Demokratie – im Unterschied zur farbigen Diktatur – als ziemlich kaltherziges Herrschaftsinstrument. Dass die DDR am Ende ihres fröhlichen Daseins lauter überzeugte Demokraten entlassen hat, hebt den Autor hingegen kaum an. Vielmehr fragt er provozierend: „Wann kümmern wir uns um die Millionen Opfer der Demokratisierung?“
Krauß scheut nicht den riskanten Vergleich. Ernst Bloch oder Hans Mayer gehörten zu denjenigen, die aus politischen Gründen aus dem DDR-Universitätsbetrieb hinausgedrängt wurden, das Land schließlich verlassen haben. Ein schwerer politischer Fehler der DDR-Führung, bereits Ende der 80er Jahre setzte in der Republik eine teilweise Rehabilitierung ein, die Wendezeit brachte die Dinge in das Licht einer breiten Öffentlichkeit. Nun der herausfordernde Vergleich: „Die Tatsache, dass Universitätsangehörige in Einzelfällen – sei es aus politischen Gründen, sei es aus anderen Gründen – ihre Positionen räumen mussten, begründete nach dem Ende der DDR endlose Vorwürfe. Wenn zehntausende DDR-Wissenschaftler nach 1990 aus politischen Gründen ihre Karrieren beenden und den vielfach geringer qualifizierten, eingewanderten Strebern aus dem Westen Platz machen mussten, soll das gar nichts bedeuten und in Ordnung gehen. Das soll ich glauben? Ich glaube es nicht.“
Versteckt im Buch ein verschmitzter Hinweis, seine Einordnung betreffend: „Zeitzeugen sind Historikern nicht selten ein Graus. Sie verwechseln ihre persönlichen Eindrücke mit den geschichtlichen Wahrheiten.“ Die Überprüfung darauf, ob nicht auch Autobiograf Krauß diesem Fluch unterliegt, soll dem Leser vorbehalten bleiben. Er wird, wenn er die DDR selbst erlebt hat, nicht bereuen, zu dem Buch gegriffen zu haben.
Matthias Krauß: Die falschen Fragen gestellt. Journalist in zwei deutschen Staaten. Das Neue Berlin, Berlin 2025, 192 Seiten, 18 Euro.
Schlagwörter: AfD, Autobiografie, DDR, Holger Politt, Matthias Krauß, Wilfried Neiße