Der Philosoph Michael Andrick hat darauf bestanden, den „Regime“-Begriff nicht nur auf undemokratische Staatswesen, wie den Iran, anzuwenden, sondern als analytische Kategorie für die Betrachtung von politischen Systemen überhaupt zu benutzen. Das derzeitige Regime in Deutschland sei, so Andrick, „ein selbsterklärtes Parteienkartell, das sich als ‚die demokratischen Parteien‘, ‚die Parteien der demokratischen Mitte‘ oder […] als ‚unsere Demokratie‘ bezeichnet“. Dieses Regime fuße auf vier Machtsäulen: „politische[r] Willkür in der Justiz, Postenhoheit über Macht- und Einflusszentren, Kontrolle des politischen Leitdiskurses und eine[r] systematisch angstverbreitende[n] Ideologie mit unrealistischen Dogmen über angebliche innere, äußere und globale Existenzbedrohungen“. Deren Grundthesen würden als „Panorama eines permanenten Ausnahmezustands“ gebündelt: „Im Innern sei die Demokratie existenziell durch rechte Extremisten bedroht; im Äußern sei das Land existenziell durch russische Expansionspläne bedroht; im Ganzen sei die Welt des Menschen durch eine selbstgemachte Klimakatastrophe bedroht.“
Der Medienanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel hat darauf verwiesen, dass der Staat durch den mit „trivialen Floskeln wie ‚Hass und Hetze‘ kontaminierten Diskurs“ den Rahmen der Meinungsfreiheit immer weiter eingeengt habe. Er „lässt mit der Auslagerung und Millionenförderung von weltanschaulichen Erfüllungsgehilfen von Correctiv bis HateAid oder Trusted Flaggern [das sind private Meldestellen für „illegale Hassrede“ im Internet im Sinne der EU-Regelungen – E.C.] in verfassungsrechtlich problematischer Weise und mit dem Geld der Steuerzahler Dinge tun, die ihm selbst von der Verfassung verboten sind“.
Die Steuerung des Leitdiskurses erfolgt zudem durch die Auswahl von Politikern, die im Fernsehen, speziell in Talkshows auftreten dürfen. Die Statista GmbH hatte 2024 ausgezählt, wie es um die Parteizugehörigkeit der geladenen Politiker in den politischen Talkshows von ARD und ZDF im Verhältnis zum Sitzanteil der Parteien im damaligen Bundestag stand: Die CDU/CSU kam auf 31,3 Prozent Talkshow-Teilnahme bei 26,7 Prozent Bundestagssitzen; ebenfalls bevorzugt waren die Grünen (17,2 zu 16,0 Prozent) und die FDP (13,0 zu 12,3 Prozent). Die SPD als vierte Kartellpartei erschien leicht benachteiligt: 25,9 Prozent Talkshowteilnahme zu 28,2 Prozent Bundestagssitzen. Ob das politische Gründe hatte oder daran lag, dass Kanzler Olaf Scholz und die Parteivorsitzende Saskia Esken weniger telegen erschienen als Robert Habeck und Christian Lindner, lässt sich nicht ermitteln. Politisch klar ist jedoch: Die mittels Brandmauer ausgegrenzte AfD kam auf 2,6 Prozent Talkshowteilnahme bei damals bereits 10,4 Prozent an Bundestagsmandaten.
Die Strukturierung des Leitdiskurses erfolgt dabei nicht nur über die „Zwangsabgaben“ für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) in Höhe von zehn Milliarden Euro im Jahr, sondern auch über die direkte Bezahlung von Journalisten durch die Regierung; laut Bundestagsdrucksache 20/5822 vom 27. Februar 2023 waren das seinerzeit immerhin mehr als 150 Journalisten, nicht nur des ÖRR, sondern auch von Spiegel, Zeit oder Tagesspiegel. Spätestens mit der Corona-Kampagne fühlten sich auch ÖRR-Mitarbeiter gehindert, ihren Beruf als Kontrolle der Mächtigen im Interesse der Öffentlichkeit zu verstehen. Das „Ringen darum, was im Sender sagbar ist und was nicht,“ werde immer schwerer, so Andrick.
In diesem Kontext sind kritische Berichte ehemaliger ÖRR-Mitarbeiter von besonderem Interesse. Zwei sollen hier betrachtet werden.
Danhong Zhang wurde in Peking geboren, kam 1988 nach Deutschland, war 1990 bis 2004 feste Mitarbeiterin der China-Redaktion der Deutschen Welle (DW), ab 2004 stellvertretende Leiterin der China-Redaktion. Im Gefolge einer Medienkampagne wurde sie 2008 von ihrer leitenden Position freigestellt, wechselte 2009 in die Wirtschaftsredaktion der DW und wurde 2015 erste „nicht muttersprachliche Kolumnistin“ der DW. 2019 ging sie nach China zurück und kündigte bei der DW.
Die Medienkampagne gegen Zhang begann im Herbst 2008 mit der Unterstellung, sie habe in einer deutschen Rundfunksendung „die chinesische KP gelobt“.
Tatsächlich hatte sie lediglich festgestellt, dass es China gelungen war, 400 Millionen Menschen aus absoluter Armut zu befreien (bis heute sind es über 800 Millionen). Daraufhin wurden Briefe an die Leitung der DW geschrieben, Zhang zu entlassen und den gesamten Sender zu zensurieren. Autoren waren in Deutschland lebende chinesische Dissidenten, die mit der in China verbotenen Sekte Falun-Gong verbunden waren, und ein antikommunistischer Verein, der sich sonst um Stasi-Themen kümmerte. Umgekehrt wurde Zhang in einem Gegenbrief unterstützt, der von über hundert China-Wissenschaftlern, Publizisten und Politikern unterzeichnet war. Sie betonten, dass es sich bei Zhangs Aussagen um Tatsachenfeststellungen gehandelt habe. Das vertraten sie auch in einer eigens anberaumten Anhörung im Fachausschuss Medien und Kultur des Bundestages. Am Ende wurde entschieden, dass Frau Zhang ihre Anstellung beim Sender mit vollen Bezügen behält, aber nicht mehr stellvertretende Leiterin der China-Redaktion bleiben durfte. Sie arbeitete dann in der Wirtschaftsredaktion, durfte jedoch nicht mehr öffentlich auftreten. Zugleich wurden vier Mitarbeiter der China-Redaktion, die sie unterstützt hatten, unter fadenscheinigen Vorwänden entlassen. (Herrschaftssoziologisch ergibt sich hier systemübergreifend ein interessanter Aspekt: Die SED-Führung hatte exakt so die „Ruben-Affäre“ bearbeitet; siehe Das Blättchen, 23/2024. Ruben durfte seine Anstellung und sein Gehalt im Philosophischen Institut behalten, aber nicht öffentlich auftreten, während mehrere seiner Unterstützer im Institut entlassen wurden.)
Danhong Zhang beschreibt sehr kenntnisreich die Mechanismen, wie die Meinung gelenkt wird. Dazu gehöre vor allem der „Haltungsjournalismus“, bei dem die Grenze zwischen Bericht und Kommentar bewusst verwischt werde. Das beginne bereits bei der Themenfestlegung und der Auswahl von Interviewpartnern. Kombiniert werde dies mit „Herdenjournalismus“: Wenn im Mainstream ein Thema etabliert wurde, nähmen weitere Journalisten dieses auf, berichteten und kommentierten im gleichen Sinne – dies oft ohne eigene Recherche, mittels „copy and paste“ – und trauten sich nicht, aus der Reihe zu tanzen. Nur Festangestellte mit Gehalt und Planstelle könnten sich überhaupt eine eigene Meinung leisten; die immer größere Zahl von „festen freien Mitarbeitern“ sei schon sozial zur Konformität gezwungen und folge der „verängstigten Meinung“. Im „Kampagnenjournalismus“ schlüpfe der Journalist in die Rolle eines Volkserziehers. Es würden Hetzjagden gegen Personen und Institutionen angezettelt, um das vermeintlich „Gute“ zu befördern.
Konkret behandelt werden von Zhang der „Chor der Willkommenskultur“ in der Flüchtlingskrise, der „Gleichschritt“ der Medien mit der Regierung zu Corona-Zeiten, der Ukraine-Krieg, das Gendern und die „Vielfalt der Geschlechter“ sowie die lange Zeit quasi verbotene Kritik am Islam. Dazu gehört auch die Darstellung Chinas „als Systemrivale und Diktatur“.
Dies sind zugleich die Themen, bei denen immer mehr Zuschauer der Tagesschau eine einseitige Berichterstattung beklagen. Sie gilt als wichtigste Nachrichtenmarke des Landes. Alexander Teske, der seit über 30 Jahren als Journalist arbeitet, darunter 15 Jahre beim MDR, hatte sechs Jahre bei der Tagesschau die Themen der Sendungen geplant, stieg dann dort aus, und hat ein Buch darüber geschrieben.
Die Redaktion hat einen jährlichen Etat von über 55 Millionen Euro. Sie gilt als ein „Leitmedium“, Politiker reagieren auf sie, Wähler bilden sich ihre politische Meinung, andere Redaktionen orientieren sich an ihr. Deshalb ist es relevant, so Teske, welche Themen ausgewählt würden und welche nicht. „Doch die Berichterstattung ist politisch einseitig. Würde eine geheime Wahl bei ARD-aktuell und den Zuliefer-Redaktionen stattfinden, wären SPD und Grüne deutlich überrepräsentiert.“ Einseitig meint aber auch: „Es wird viel über Bundespolitik oder Urteile höchster Gerichte berichtet. Dem Fußball wird breiter Raum gegeben und auch für Royals haben die Macher ein Herz. Eine kritische Begleitung der Politik der EU oder eine vorurteilsfreie Berichterstattung über den Osten der Republik ist dagegen selten.“
Zu den Vorzügen des Teske-Buches gehört, dass viele Entscheidungssituationen und Beratungen sehr lebendig beschrieben sind, Akteure werden plastisch charakterisiert. Die inhaltlichen Felder, auf denen die Einschränkung des Meinungskorridors erfolgt, entsprechen den oben beschriebenen, so Gendern, die „blinden Flecken“ der Migration und der Umgang mit der AfD, hinzu kommt die Ignoranz gegenüber dem Osten.
Eine besondere Bereicherung sind Teskes Innensichten, etwa wie es zur Einbeziehung der immer gleichen „Experten“ in die Berichterstattung kommt. Oft seien es nicht die fachlich Besten, aber eben diejenigen, die erreichbar seien und den Willen hätten, „im Medienzirkus auftreten zu wollen“, die eine gewisse Bekanntheit mitbrächten und die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich zu erklären. Zugleich gäbe es wirkliche Experten, die plötzlich verschwunden würden: Ex-General Harald Kujat hatte im März 2022 der NATO und dem Westen schwere Versäumnisse in der Ukraine-Politik vorgeworfen – und damit den geforderten Meinungskorridor verlassen, dass der Westen keine Fehler gemacht habe und Russland „irrational böse“ handele.
Ähnlich erging es dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt; er hatte der CDU eine Mitschuld am Aufstieg der AfD gegeben.
Teske zog gegenüber CiceroOnline das Fazit: „Wir brauchen keine Tagesschau, die erziehen will.“
Danhong Zhang: Nur die richtige Meinung ist frei. Erfahrungsbericht einer Journalistin, Fiftyfifty Verlag, Köln 2024, 224 Seiten, 24,00 Euro.
Alexander Teske: inside tagesschau. Zwischen Nachrichten und Meinungsmache, LMV Verlag, München 2025, 296 Seiten, 22,00 Euro.
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