28. Jahrgang | Nummer 9 | 5. Mai 2025

Die Gedanken sind Brei

von Jürgen Hauschke

Wolfgang Kemp bezeichnet sich tiefstapelnd als „Laienlinguist“. Er hat neben Kunstgeschichte und Philosophie auch Germanistik studiert, aber vornehmlich als Kunsthistoriker geforscht, gelehrt und publiziert.

Im Rahmen der Essayreihe des zu Klampen Verlages erschien gerade sein jüngstes Buch. Der Haupttitel „Irgendwie so total spannend“ setzt sofort einen Marker. Dazu später mehr. Der ironisierende Untertitel „Unser schöner neuer Sprachgebrauch“ weist zurück auf Aldous Huxleys Dystopie „Schöne neue Welt“.

Kemp beginnt seine Recherche mit einem Blick auf den aktuellen Gebrauch von Partikeln. „Das hat so wie so eine Einführung funktioniert.“ Diesen Satz vernahm er nicht im Irgendwo, sondern im Deutschlandfunk Kultur zu einer Ausstellungseröffnung. Eine ins Unbestimmte erweichte Aussage mit dem Wörtchen „so“. „So so!“ ist seine resolute kritische Reaktion. An diesen wie an anderen, vor allem im mündlichen Sprachgebrauch inflationär gebrauchten Partikeln (halt, genau, sozusagen, total, eben), diagnostiziert er ein „Umgehungsdeutsch“, das durchdrungen ist mit Füllwörtern, die für stringente Aussagen nicht zwingend sind. Es sind verbale Weichmacher, halt sprachliche Luschen. Es geht nicht um ein generelles Vermeiden von Partikeln, es geht um die inflationäre Menge im Gebrauch.

Seine detailreichen Befunde bezieht der Autor aus mündlichen Medien, aus dem Radio und aus Podcasts. Beispielhaft aus dem Kulturpodcast „Lakonisch Elegant“ vom Deutschlandfunk. Die „soziolinguistische Tour“ bringt beachtenswerte Befunde zu Tage: Partikulitis verbunden mit einer Zwangsgemeinschaft von Umgehungsdeutsch mit Ultra-Deutsch (absolut, total). Nach einem (für mich verzichtbaren) Exkurs zum like aus dem Englischen seziert Kemp die Endlosschleife sozusagen. „Wenn es nicht das noch häufigere ‚genau‘ gäbe, wäre ‚sozusagen‘ mein Kandidat für die Position des deutschen like“. Die Alltagssprache erobert den Raum der gespeicherten Sprache, ohne selbst Niveau zu haben.

Auch Germanisten bekommen ihr Fett weg: „Gerne nahm ich den Hinweis auf ein Interview an, in dem ein Germanist auf die erste Frage antwortet: ‚Also man kann das quasi irgendwie so vergleichen mit ….‘ In der Linguistik nennt man solches Gestammel ‚Äußerungseröffnung‘; außerhalb der Linguistik heißt es weiterhin Gestammel.“ Solcherart Partikeln infizieren die Wortwahl mit sich selbst und ihresgleichen, Sie sind für Kemp „die Feinde des Satzbaus und damit des wohlgeformten Gedankens.“

Der zweite Teil des Buches untersucht „Unsere neue Sprachräson“ als Ergebnis feministischer Sprachkritik und tausender Gleichstellungsbüros. Erhobene Zeigefinger pfuschen ins Sprach-Handwerk, konstatiert er. Es werde versucht, eine „geschlechtergerechte Amtssprache“ zu rechtfertigen. Ein Beispiel als Pars pro Toto sind für ihn die „Wählenden“ anstelle der „Wähler“: „Das Gerundium wirkt nicht nur demonstrativ unbeholfen, sondern ist auch falsch, nicht alt-korrekt – das konnte man freilich schon hunderte Male nachlesen, blieb jedoch ohne Folgen. Wähler haben das Wahlrecht ihr Leben lang und werden zu ‚Wählenden‘ nur in wenigen kurzen Momenten ihres Lebens – wenn sie die Wahl  ‚ausführen‘, siehe Lateinisch ‚gerere‘. Der Wähler ist keine Person, sondern eine politische Größe, deren Rechte im Vordergrund stehen und nicht ihr Geschlecht.“

Im Gerundium als Sprachmaßnahme erkennt Kemp eine Wortlusche. Seine Kritik umfasst den Genderstern wie den Glottisschlag als Platzhalter und reicht bis zu künstlichen Pronomen für Regenbogen-Identitäten. Im Zwang der Sprachökonomie und in der Belletristik erkennt er einen positiven Ausblick. „2050 könnte eine entsprechend aktualisierte Warnung: ‚in gegenderter Sprache verfasst’, den Werken der deutschen Gegenwartsliteratur blühen, die sich doch für die neue Schreibweise entschlossen haben.“

Der dritte Teil wendet sich schließlich den Adjektiven zu: „So flachgelegt und redundant die neue Sprache auch ‚unterwegs ist‘, sie steht unter fortgesetztem Zwang, den Wettbewerb um das Ultra-Deutsch nicht zu verpassen. […] Das Regime des ‚total‘ oder ‚absolut‘ oder ‚ganz‘ verlangt ‚auf jeden Fall‘ nach einem echten Superlativ, einem, der stärker ist als das ubiquitäre ‚spannend‘. Wir glauben ihn in ‚toxisch‘ gefunden zu haben. […] Furchtbar klingt ‚toxisch‘, weil es klanglich eine dunkle Einfärbung mitbringt. Allerdings – Gleichstellungsbeauftragte aufgepasst! – kommt ‚toxisch‘ überwiegend in der Kombination ‚toxische Männlichkeit‘ vor. Dabei waren die bekanntesten und auch die unbekanntesten Giftmischerinnen [Giftmischer wäre hier genauer, J.H.] Frauen – verwiesen sei auf die Bonner Dissertation von Erika Eikermann: ‚Heilkundige Frauen und Giftmischerinnen – eine pharmaziehistorische Studie aus forensisch-toxikologischer Sicht‘.“ Auf der Liste der erfolgreichsten Adjektive sieht der Autor auch schwierig und spannend. Das häufiger gebrauchte genau hat für ihn den Aufstieg zur Partikel geschafft. Auch auf den Einfluss der maschinengemachten und -verwalteten Bildsprache, der Emojis und Kaomoji, die das Schriftliche der digitalen Botschaften in der Zukunft vielleicht verdrängen werden, geht Kemp in seiner Abhandlung ein.

Zur Invasion der Marker führt er aus: „Und damit ist eine Klasse von Bezeichnungen angesprochen, der wir in den drei Teilen unserer Untersuchung immer wieder begegnet sind: Diskursmarker (sozusagen), soziolinguistische Marker (*), Emotionsmarker (☺︎). Der Genderstern darf als Marker aller Marker gelten, als vorläufiger Endpunkt einer langen Kette von Bedeutungszuschreibungen: Der Stern, einst ein Zeichen am Himmel, dann ein Schmuck, auch ein ‚Typoschmuck‘, wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch besetzt und stieg auf zum Parteiabzeichen und ab zum Judenstern, und als das nicht mehr galt, adaptierten den Stern erst die Informatiker als Zeichen für beliebig viele Zeichen und dann die Gendersensiblen als Zeichen für beliebig viele Geschlechtsidentitäten. Damit eröffnen sich auch dem lieben G*tt neue Möglichkeiten des Selbstausdrucks. Das vielsinnig besetzbare Zeichen hat nun vielsinnige Besetzbarkeit zum Inhalt.“

Am Ende erwartet der Autor von der Sprachkunst das fast Unerreichbare: „Dass ein geschriebener Satz auch gesprochen werden kann und umgekehrt dasselbe möglich ist. Das würde beiden helfen, der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit.“

Der Verlag schreibt in einem Begleittext, „Wolfgang Kemp bewegt sich leichtfüßig und humorvoll durch die wundersame Welt des öffentlichen Sprechens“, dem mag ich nicht total und absolut zu folgen. Humorvoll ist der Autor unbenommen – wie auch die von ihm geliehene Formulierung in der Überschrift dieser Besprechung zeigt. Doch zuvorderst geschrieben hat er für intellektuelle Leser. Es ist weniger der essayistische Text als der wissenschaftliche Blick mit einer hohen Fremdwortfrequenz, der vom Leser uneingeschränkte Aufmerksamkeit verlangt. Wem dies gelingt, wird sich an der Kemp’schen Erkundungsbohrung in die Strukturen und Untiefen des gegenwärtigen Sprachgebrauchs mit Gewinn erfreuen können.

Wolfgang Kemp: Irgendwie so total spannend. Unser schöner neuer Sprachgebrauch. Zu Klampen Verlag, Springe 2025, 138 Seiten, 16,00 Euro.