28. Jahrgang | Nummer 7 | 7. April 2025

Wagenknechts strategischer Irrtum

von Waldemar Landsberger

Beim Vergleich der Wahlergebnisse zu den Landtagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September 2024 einerseits und zum Deutschen Bundestag am 23. Februar 2025 andererseits gehört zu den Auffälligkeiten das hohe Abschneiden des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) im September und dessen Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl. Beobachter haben unterschiedliche Gründe angeführt. Dazu gehören, dass der Schlüssel zum Frieden in der Ukraine seit Januar bei Donald Trump liegt und eine kleine Partei in Deutschland hier weltpolitisch irrelevant ist, schon deshalb, weil Deutschland ohnehin irrelevant ist. Welche dicken Backen Saskia Esken oder Friedrich Merz auch immer aufblasen, es bleibt weltpolitisch folgenlos. Nach Annalena Baerbock könnte das Auswärtige Amt eigentlich auch den Hausmeister zu internationalen Tagungen schicken. Insofern ist die Nachrangigkeit des BSW in gewissem Sinne auch nur die Konsequenz der Nachrangigkeit Deutschlands.

Hinzu kommt, dass die verbliebene Linkspartei kurz vor dem Wahltermin noch zur unverhofften Nutznießerin der von SPD und Grünen seit Anfang 2024 angezettelten Großkampagne „gegen rechts“ wurde. Nach den Wahlergebnissen des BSW und der Rest-Linken zur Europawahl und den Landtagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg 2024 war für jeden vernünftigen Menschen davon auszugehen, dass bei der Bundestagswahl das Funeral der Linken zu begehen sein würde, trotz aller Verdienste seit 1990. Doch es kam anders: Merz‘ Abstimmungsoperation mit der AfD und der Auftritt von Heidi Reichinnek im Bundestag – als Jeanne d‘Arc des Kampfes „gegen rechts“ –, der millionenfach im Internet angesehen wurde, haben der Rest-Linken einen unverhofften Einzug ins Hohe Haus und damit der Partei mittelfristig die Fortexistenz gesichert.

Die Selbstgerechten des BSW hatten damit offenbar nicht gerechnet. Still ruht der See, seit das Wahlergebnis bekannt ist. Per Gerichtsbeschluss die fehlenden 14.000 Stimmen einzusammeln, ist bisher nicht gelungen. Politisch ist nichts zu hören. Wenn die Namensgeberin jetzt jedoch still ins Saarland zurückschleicht, verhöhnte sie ihre Wähler. Auch die Fraktionen, die im EP, in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im Vertrauen auf eine lichte Zukunft tätig sind, würden im Stich gelassen.

Wagenknecht hatte ihr Bündnis vor allem entlang der Bruchlinie Krieg-Frieden entwickelt, die innerhalb der Linkspartei entstanden war, weil die alte Parteiführung sich auf den Boden der „Kriegskredite“ begeben hatte und faktisch die Positionen der SPD und der Grünen in Sachen Positionierung gegen Russland und zugunsten der Stärkung der Bundeswehr übernommen hatte. (Dass die van Aken-Führung dies fortzusetzen gedachte, war am 23. Februar für die Wähler nicht sichtbar; dazu Blättchen 5/2025.) Es ist richtig, dass angesichts der opportunistischen Realpolitik der Linken in verschiedenen Landesregierungen (Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und so weiter) etliche Wähler diese Partei schon seit Jahren nur wegen der Friedenspolitik gewählt hatten. Das hatte sich aber realpolitisch mit der nachholenden Kooptierung von Philipp Scheidemann in die Linkspartei erledigt.

In diesem Sinne erfolgte die Gründung des BSW unter zwei Voraussetzungen: der programmatisch-politischen Auseinandersetzung um die Friedensfrage als zentrales Anliegen und der Zunahme der „Selbstgerechten“ unter den neuen, jüngeren Mitgliedern der Linken aus den urbanen, akademisch (halb-)gebildeten, woke-sprachigen Milieus, die eigentlich eher zu den grünen Klimaklebern passen, als dass sie in einem ernsthaften Sinne links wären. Die wollte man im BSW nicht haben und hatte daher hohe Hürden für einen Parteieintritt errichtet. Es entstand eine in gewissem Sinne trotzkistische (organisatorisch, nicht programmatische) Kaderpartei. Damit hat das BSW aber jetzt auch keine Basis, die die Partei von unten erneuern könnte, wie das bei anderen Parteien in vergleichbarer Situation in der Regel erfolgt.

Dabei verschwanden aber zugleich die partei-praktischen Umstände aus dem Blickfeld. Außerhalb Berlins und anderer großer Städte, zumal im Osten, in der früheren DDR, gibt es noch immer die Basisgruppen, die aus der SED kamen, 1990 in der PDS blieben, dann zur Linken mitgingen. Die treffen sich einmal im Monat zur Parteiversammlung, organisieren Demonstrationen am Wohnort, unterhalten ehrenamtlich ein Begegnungszentrum der „Volkssolidarität“, für das sie auch Geld sammeln. Dort sind sie zugleich Ansprechpartner für andere Bürger, die Rat in lebenspraktischen Fragen suchen.

Die programmatischen Debatten, die auf Parteitagen wichtig waren oder sind, haben sie ohnehin stets nicht wirklich ernst genommen, so wie sie schon zu SED-Zeiten die Reden der Spitzengenossen nicht wörtlich genommen und oft nicht gelesen hatten. Der Sinn der Basisversammlung ist das Treffen an sich, der Austausch mit den Gleichgesinnten und das Verabreden, wer wo welche Flugblätter verteilt und Kuchen für den Kaffee-Nachmittag im nächsten Begegnungszentrum bäckt. Nicht die hohe Politik.

Diese Genossen, sofern sie noch da sind und aktionsfähig, kommen keinesfalls auf die Idee, aus der Partei auszutreten. Dann würden sie auch den Austausch in der Basisgruppe verlieren, zumal wenn man ohnehin in demselben Wohngebiet beheimatet ist und sich regelmäßig in der Kaufhalle trifft. Und einen Aufnahmeantrag in einer neuen Partei würden sie auch nicht stellen. Erst recht nicht, wenn der 1975 oder 1985 gestellt wurde, und die Parteimitgliedschaft über alle Windungen und Wendungen der Partei nach 1989/90 ungebrochen fortbesteht.

Es ist diese Mitgliedschaft, auf die Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch zielten, als sie im Vorfeld der Bundestagswahl ihre „Aktion Silberlocke“ verkündeten. Zu einem Zeitpunkt, als sich die anderen begünstigenden Faktoren für das Bundestags-Wahlergebnis nicht absehen ließen. In diesem Sinne ist der Unterschied im Wahlergebnis für die Linke einerseits und das BSW andererseits, zumindest auf dem Lande im Osten, einer zwischen Lebenswelt und Programmwelt.

Über die Situation in den Innenbezirken der großen Städte, wie Berlin oder Hamburg, wo eine woke Jugend von den Grünen zur Linken weitergezogen ist, wurde an anderen Stellen schon genug gesagt und geschrieben. Die alten Genossen in der brandenburgischen Provinz haben mit denen nichts zu tun, sind aber noch immer in derselben Partei, ohne mit den neuen über Feinheiten des Programms zu streiten. Aus Sicht dieser alten Genossen haben die BSW-Leute „die Partei“ verlassen und sind somit „in der falschen Partei“.