Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode trägt den schlichten Titel: „Verantwortung für Deutschland“. Der Ampel-Vertrag von 2021 war großmäulig „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben und hatte den Untertitel: „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Abgesehen davon, dass das Motto von 2021 eine freche Anlehnung an die Überschrift der Regierungserklärung Willy Brandts vom 28. Oktober 1969 war: „Mehr Demokratie wagen“, brachte die Ampel-Politik das Angekündigte gerade nicht.
Insofern bedeutet Verantwortung zunächst, Deutschland wieder zu einem ernsthaften Wirtschafts- und Industriestandort machen zu wollen, die Einkommenssituation der Menschen zu stabilisieren, Arbeit gegenüber Nichtstun zu präferieren und die illegale Migration unter Kontrolle zu bringen.
Die Positionen, mit denen vor allem die Grünen auf Kundenfang gegangen waren, wurden alle abgeräumt. So heißt es bereits in der Präambel: „Wir ordnen Migration und fördern Integration. Dafür schützen wir unsere Staatsgrenzen und entscheiden selbst, wer in unser Land kommt, wer bleiben darf und wer unser Land wieder verlassen muss.“ Die „Turboeinbürgerung“ nach drei Jahren soll abgeschafft, das Bürgergeldsystem „zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgestaltet werden; jede arbeitslose Person, die arbeitsfähig ist, habe sich „aktiv um Beschäftigung zu bemühen“. Zugleich heißt es: „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen.“ Für die Modernisierung der Wärmeversorgung im Gebäudesektor sollen nicht Ideologie, sondern „Bezahlbarkeit, Technologieoffenheit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz“ Ziele sein. Das neue Gebäudeenergiegesetz soll „technologieoffener, flexibler und einfacher“ sein. Die Erhöhung der Luftverkehrssteuer (ein Grund, weshalb internationale Fluggesellschaften zunehmend einen Bogen um Deutschland fliegen) wird zurückgenommen. Auch die „Agrardiesel-Rückvergütung“ für die Bauern soll vollständig wieder eingeführt werden.
Eine „ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis“ soll bereits im Herbst 2025 erfolgen, was wohl auf eine Abschaffung hinauslaufen wird. Einen ähnlichen Prüfauftrag gibt es in Bezug auf das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“. Es soll bis spätestens 31. Juli 2026 evaluiert werden. Die Rechte von trans- und intersexuellen Personen sollen gewahrt werden, der besondere Fokus soll jedoch auf die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags und die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche sowie „den wirksamen Schutz von Frauen“ gelegt werden.
Während sich zu den Themen modischer Symbolpolitik ein Zurück zu Vernunft und Realismus abzeichnet, ist in der Außen- und Militärpolitik Kontinuität sichtbar. Allerdings zunächst mit einer bescheideneren Überschrift. Im Ampel-Vertrag wurde hochtrabend getitelt: „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“. Das sollte meinen: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Allerdings mit eklatanter personeller Fehlbesetzung: War Außenminister der BRD zu Zeiten des Kalten Krieges und der Herbeiführung der Entspannung Willy Brandt, bei der Übernahme der DDR Hans-Dietrich Genscher, nach dem Kalten Krieg immerhin noch ein Frank-Walter Steinmeier, so war bereits Heiko Maas (SPD) ein Mann zum Abgewöhnen. Die Ampel-Regierung überbot dies mit Annalena Baerbock noch. Jetzt lautet der Titel des Abschnitts schlicht: „Verantwortungsvolle Außenpolitik, geeintes Europa, sicheres Deutschland“. Nach fast 60 Jahren soll die CDU das Ressort wieder übernehmen. Auch die Einrichtung eines „Nationalen Sicherheitsrates“ wurde vereinbart, angesiedelt im Bundeskanzleramt. Das war Olaf Scholz mit seiner „Nationalen Sicherheitsstrategie“ 2023 nicht gelungen, weil Baerbock ihre Kompetenzen beeinträchtigt wähnte.
Die Systematik des Koalitionsvertrags von 2025 folgt im Grunde der von 2021: Außenpolitik und Militärwesen sowie Entwicklungs- und Europapolitik am Ende, nach Wirtschaft, Industrie und Tourismus, Verkehr, Bürokratierückbau, Migration, Familie, Senioren und Gesundheit. Es bestätigt sich die Faustregel: Je größer der Staat, desto geringer das öffentliche Interesse an der Außenpolitik. Zugleich deutet die Ähnlichkeit der Systematik darauf hin, dass es in Grundfragen der Außenpolitik nach wie vor Übereinstimmung innerhalb der politischen Klasse gibt, zumindest unter den Parteien, die seit 1949 die BRD beziehungsweise Deutschland regieren.
Bei näherem Hinsehen erweist sich das jedoch auch als Übereinstimmung in den Fehlperzeptionen. Vor allem aber haben sich die Regierenden wieder nicht auf die Herausforderungen eingestellt, die die Trump-Regierung darstellt. Fast lyrisch heißt es: „Die Beziehungen zu den USA bleiben von überragender Bedeutung. Die transatlantische Partnerschaft ist eine große Erfolgsgeschichte für beide Seiten, die es auch unter den neuen Bedingungen fortzusetzen gilt.“ Ob das nostalgische Erinnerung an die klaren Linien der Globalisten ist oder man Trump Honig ums Maul schmieren will, bleibt unklar.
Der Schwerpunkt des Handelns wird aufs Militärische gelegt, eigene Konzepte zu verstärkter Diplomatie, zumal im Sinne einer Entspannungspolitik und friedlicher Koexistenz werden nicht sichtbar. Die Ukraine soll weiter „umfassend“ unterstützt werden: „Wir werden deshalb unsere militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen.“ Die Ukraine solle in die Lage versetzt werden, „aus einer Position der Stärke“ zu agieren. Das hat schon seit 2022 nicht funktioniert. Die kommende Bundesregierung setzt also weiter auf einen Siegfrieden gegen Russland und erklärt zugleich – im Gegensatz zu den transatlantischen Lippenbekenntnissen – dass sie Donald Trumps Ukraine-Politik möglichst zu konterkarieren bestrebt ist.
„Sicherheit“ wird nahezu ausschließlich militärisch definiert. Deutschland und Europa sollen in die Lage versetzt werden, „ihre Sicherheit deutlich umfassender selbst zu gewährleisten. Wir werden sämtliche Voraussetzungen schaffen, damit die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt erfüllen kann.“ Die Bundeswehr solle nicht nur „einen zentralen Beitrag zur Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der NATO“ leisten, sondern zugleich „zu einem Vorbild im Kreis unserer Verbündeten“ werden. Das hatten wir doch schon, in mindestens zwei Weltkriegen. Ziel sei „Abschreckung“. Wie man mit einer rein konventionellen deutschen Truppe eine Atommacht Russland „abschrecken“ will, bleibt unklar. Verkündet wird aber schon mal die „Erhöhung unserer Verteidigungsausgaben“. Damit sich die einheimische Bevölkerung nicht beunruhigt, wird rasch eine offensichtliche Unwahrheit nachgeschoben: „Unser langfristiges Ziel bleibt das Bekenntnis zu Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Abrüstung.“ Inwiefern ein Bekenntnis ein langfristiges Ziel sein soll, bleibt nicht nur sprachlich Geheimnis der Autoren.
Ansonsten gibt es wieder das obligate „Bekenntnis zur NATO und zur EU“. Deutschland verlangt es zudem mal wieder nach einem nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Im EU-Kontext sollen verstärkt Mehrheitsentscheidungen herbeigeführt werden, um widerspenstige Stimmen zu einer EU-Imperialpolitik zum Schweigen zu bringen. Zugleich soll die „EU-NATO-Zusammenarbeit“ gestärkt werden. Es folgen Lippenbekenntnisse zur Stärkung der Zusammenarbeit mit den Staaten des Globalen Südens.
Mit China will man Zusammenarbeit „suchen“ – „wo dies im deutschen und europäischen Interesse liegt“. Zu den Fehlperzeptionen auch hier gehört: „Wir müssen feststellen, dass die Elemente systemischer Rivalität durch Chinas Handlungen mittlerweile in den Vordergrund gerückt sind. Vor diesem Hintergrund werden wir einseitige Abhängigkeiten abbauen und eine Politik des De-Riskings verfolgen, um unsere Resilienz zu stärken.“ Man wolle China „mit Selbstbewusstsein und eigener Stärke gegenübertreten, weshalb eine kohärente und eng innerhalb der EU und mit anderen Partnern abgestimmte Chinapolitik“ essenziell sei. Allerdings gibt es – realistischerweise – auch ein Bekenntnis zur „Ein-China-Politik“, eine Veränderung des Status quo Taiwans – also auch seitens der dortigen Regierung – dürfe es „nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen geben“.
Die deutsche „Entwicklungspolitik“ soll „zugleich werte- und interessengeleitet“ betrieben werden. „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte gehen einher mit unseren außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen.“ Wie das praktisch realisiert werden soll, bleibt abzuwarten. Angesichts des „geopolitischen Epochenbruchs“ soll EU-Europa eine „umfassende strategische Souveränität entwickeln. Schlüsseltechnologien, Energiesicherheit, digitale Souveränität inklusive europäischer Plattformen, Schutz kritischer Infrastrukturen, Resilienz sowie eigene Fähigkeiten, um sich im globalen Systemwettbewerb zu behaupten, sind dafür zentral“. Wichtig ist den Autoren am Ende eine „Europäische Verteidigungsunion“ mit einem „echten Binnenmarkt für Verteidigungsgüter“. Das also scheint nun des Pudels Kern der EU-Integration zu sein.
Schlagwörter: Erhard Crome, Koalitionsvertrag, Politik, Regierungsbildung