Der harte Kern der Fußballfans vom Hauptstadtklub Legia hat seinen Ruf in Polen weg. Auch in der politischen Auseinandersetzung schreckt man vor nichts zurück. Man steht stramm rechts und stellt das im Stadion mit verschiedenen Choreographien regelmäßig heraus. Zuletzt nahm man den Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski aufs Korn: Der sei für Abtreibung, für illegale Migration, für LGBT, seinerzeit sei er gar für NordStream 2 gewesen, andererseits stelle er sich gegen den „Unabhängigkeitsmarsch“ und gegen den neuen Zentralflughafen Polens! Der Flughafen war ein Lieblingsprojekt der vormaligen nationalkonservativen Regierung, die jetzige sieht es viel nüchterner. Der gewaltige „Unabhängigkeitsmarsch“ hingegen ist seit Jahren ein gespenstischer Aufzug für nationalistisches und EU-feindliches Gedankengut, den Unabhängigkeitstag vom 11. November missbrauchend.
Trzaskowski ist bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen – der erste Wahlgang ist am 18. Mai 2025 – der Kandidat der liberal geführten Bürgerkoalition von Ministerpräsident Donald Tusk. Da Trzaskowski der haushohe Favorit für die erste Runde ist, ruhen auf ihm zugleich die Hoffnungen des gesamten Regierungslagers für die Stichwahl, auch wenn er von gemäßigt konservativer und linker Seite zunächst jede Menge Kritik aushalten muss. Derzeit werden für ihn Werte von 35 Prozent notiert, der Abstand zu den Konkurrenten ist groß.
Für die Nationalkonservativen geht Karol Nawrocki ins Rennen, ein Historiker, der im politischen Leben bislang eine Nebenrolle spielt. Seit 2021 ist er Direktor des staatlichen Instituts für Nationales Erinnern (IPN), das für das Kaczyński-Lager eine zentrale Rolle im geschichtspolitischen Kampf spielt. Die Nominierung Nawrockis galt als Überraschung, weil PiS-Chef Jarosław Kaczyński prominentere Namen ignorierte, so als wollte er in diesem Jahr wiederholen, was ihm 2015 meisterlich gelungen war: Die Nominierung des Hinterbänklers Andrzej Duda hatte damals gleichfalls überrascht, und doch konnte er Amtsinhaber Bronisław Komorowski in der Stichwahl schlagen. In Umfragen kommt Nawrocki derzeit auf Werte um die 25 Prozent, inhaltlich spuckt er scharfe nationalkonservative Töne, obendrein versucht er, Donald Trumps verwegenen Kurs gegen EU-Europa und die Ukraine für sich zu nutzen.
In dieser Frage – gegen die EU und gegen die Ukraine – teilt auch Sławomir Mentzen kräftig aus. Der an Jahren noch recht junge Wirtschaftsmann aus dem Brauereigewerbe tritt für die nationalistische Konfederacja (Konföderation) an. An der EU und der EU-Mitgliedschaft Polens wird kein gutes Haar gelassen, Mentzen unterstellt, dass ein nicht von den politischen Vorgaben aus Brüssel diktierter Markt dem Land die größeren Chancen auf erfolgreiche Entwicklung biete. Den Nationalkonservativen wird mangelnde Konsequenz vorgeworfen, beugten die sich trotz großer Töne am Ende doch immer dem großen Druck aus Brüssel. Mentzen sucht vor allem jüngere Wählerschichten in der Provinz für sich einzunehmen. In Umfragen werden ihm landesweit überraschend hohe Werte – bis zu 20 Prozent – vorausgesagt. Sollte es eine spannende Frage für die erste Wahlrunde geben, so wäre es am ehesten die, ob Mentzen mit ordentlichem Schwung auf der Zielgeraden doch noch an Nawrocki vorbeiziehen könnte.
Für Trzaskowski ist diese Konstellation in jedem Fall ein ernstes Warnsignal, denn zusammengerechnet bringen die beiden Rechtskandidaten (nach jetzigem Stand) stolze 45 Prozent auf die Waage, was also einen Sieg in der Stichwahl greifbar macht. Insofern lockt der Blick auf jene Kandidaten, die keine Chancen mehr haben, in die Schlussrunde einzuziehen, die aber so etwas wie das Zünglein an der Waage spielen könnten. Aus dem Regierungslager tritt auf der gemäßigt konservativen Seite Szymon Hołownia an, der mit Umfragewerten um die acht Prozent aber weit unter den Erwartungen bleibt. Auf der linken Seite versucht Magdalena Biejat ihr Glück, in manchen Umfragen schafft sie sechs Prozent, aber auch ihre Werte liegen unter den eigenen Erwartungen. Rechnet man die Zahlen der beiden zusammen, so kämen in der Stichwahl noch einmal – wenn es gut läuft – 14 Prozent auf das Trzaskowski-Konto. Da alle anderen stimmenschwächeren Kandidaten meistens stärker rechts blinken, darf ausgeschlossen werden, dass dort noch Stimmen für das Trzaskowski-Lager gewonnen werden könnten. Einzige Ausnahme ist Adrian Zandberg, der für die kleine linksalternative Razem-Partei ins Rennen geht. Seine Werte schwanken zwischen zwei und vier Prozent, noch ist kaum auszumachen, ob sich der Kurs des offenen Bruchs mit der Tusk-Regierung auszahlen wird. Wenig spricht im Augenblick dafür, dass Zandberg in der Stichwahl zu Trzaskowski halten wird.
Will Trzaskowski die Stichwahl für sich entscheiden, braucht er eine ähnliche Mobilisierung wie im Juni/Juli 2020, als er im Rennen gegen Amtsinhaber Duda am Ende nur knapp das Nachsehen hatte. Auch der Herbst 2023 könnte angeführt werden, denn insbesondere Frauen und jüngere Wählerschichten verschafften dem Tusk-Lager bei den Parlamentswahlen jenen Rückenwind, der den Sieg über die Nationalkonservativen einbrachte. Für die erste Runde hat sich Trzaskowski konservativer ausgerichtet als von ihm gewohnt. Insofern gehen die oben angeführten Vorwürfe der Legia-Fans ein wenig ins Leere, denn im Trzaskowski-Lager glaubt man, den Sieg über die Nationalkonservativen in der konservativ geprägten Mitte sicherstellen zu müssen. Vielleicht eine Fehlrechnung, denn Trzaskowski soll ja Präsident werden, um dem Regierungslager auch die nötigen Spielräume für die Liberalisierung in der so drängenden Frage von Frauenrechten zu sichern.
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