28. Jahrgang | Nummer 8 | 21. April 2025

Trump irrational und durchgeknallt?

von Jürgen Leibiger

Angesichts mancher Auftritte, Äußerungen und politischer Maßnahmen Donald Trumps könnte man meinen, er handle irrational oder sei nicht ganz bei Sinnen, durchgeknallt. Oder wie soll man das Aufstellen einer Karte des umbenannten Golfs von Mexiko im Oval Office, die Absicht, sich Grönland einzuverleiben, eine Verfügung zum Wasserdruck in Duschköpfen oder das Hin-und-Her bei den Zöllen erklären? Peter Navarro, Direktor für Handel und Industriepolitik und Architekt von Trumps Handels- und Zollpolitik, ist laut Elon Musk „dümmer als ein Sack Ziegelsteine“. Auch von Musk selbst kennt man seltsam anmutende Auftritte. Aber wird man zum reichsten Mann der Welt, zum unangefochtenen Führer der Republikanischen Partei, zu dem von mehr als der Hälfte der Bevölkerung gewählten Präsidenten der Weltmacht Nummer Eins, zu einem Harvard-Absolventen und Wirtschaftsprofessor wie Navarro, wenn man irrational, durchgeknallt und nicht ganz bei sich ist? Ja, es hat in der Weltgeschichte genügend Figuren gegeben, die mit viel Macht ausgestattet waren, irrational gehandelt haben und womöglich auch irre waren. Und über seine Schüler sagte Paul Samuelson, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, sie gingen dorthin, wo Macht und Geld seien, unabhängig seien sie nicht. Nicht alle klugen Leute sind mit einem tollen Chef gesegnet.

Hier soll und kann kein Psychogramm erstellt werden. Über Interessen und Motivationslage Trumps und seines Umfelds bedarf es keiner derartigen Mutmaßungen. Im Mittelpunkt steht die Absicht, die Position der USA als führende ökonomische, politische und Militärmacht der Welt zu verteidigen, egal, was es kostet und wie die Welt darüber denkt. Die von Trump wütend, geradezu geifernd begründeten handelspolitischen Maßnahmen sind unbeabsichtigter Ausdruck von Verzweiflung. Trotz der gewaltigen und in der Weltgeschichte historisch einmaligen Macht, über die das Land verfügt, ist seit einigen Jahrzehnten ein Erosionsprozess im Gange. Der Anteil der USA an der Weltproduktion ging trotz aller Anstrengungen, trotz der außerordentlichen Innovationskraft und beachtlichen Wachstums seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück, andere Länder – allen voran China – wuchsen schneller und rückten gefährlich auf. Seit über dreißig Jahren weisen die USA eine negative Leistungsbilanz auf. Inzwischen haben sie das größte Leistungsbilanzdefizit der Welt in absoluten Zahlen und fast auch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Trump, seine Anhänger und wohl sogar eine sich über alle Klassen erstreckende Mehrheit der US-Amerikaner wollen einfach nicht glauben, dass es dabei mit „rechten“ Dingen zugeht; es müssten „unfaire“ Praktiken gegen „Gottes eigenes Land“ im Spiel sein. Also wird gegen alle und alles geschossen, wovon man glaubt, es schade irgendwie den USA. Mit seinen extremen Äußerungen und Maßnahmen will Trump Freund und Feind einschüchtern und Angst schüren. Da macht es auch nichts, wenn eine Maßnahme wieder zurückgenommen werden muss; man hat sein Ziel erreicht und zu Verhandlungen gemäß den eigenen Vorstellungen gezwungen.

Ja, es stimmt: Die USA erhoben bislang relativ niedrige Zölle, sie lagen lange Zeit erheblich unter dem globalen Durchschnitt und waren kaum halb so hoch wie beispielsweise in China. Solange die Vereinigten Staaten die Weltwirtschaft unangefochten dominierten, pflegte man die Freihandelsideologie. Man hatte genügend andere Stellschrauben, um diese Stellung trotz niedriger Zölle zu behaupten. Die großen Industrie- und Finanzkonzerne lagen nahezu unangefochten an der Spitze der globalen Wirtschaftshierarchien. Der starke Binnenmarkt, die niedrige Spar- und die hohe Konsumquote der privaten Haushalte und der Kredithunger des Staates bedingten einen starken Kapitalzufluss aus dem Ausland und eine hohe Nachfrage nach dem Dollar. Er war und ist die kaufkraftstärkste und angesagteste Währung der Welt. Leistungsbilanz und Kapitalbilanz bilden allerdings kommunizierende Röhren: Der Import-Überschuss beim Kapital korrespondiert mit der negativen Leistungsbilanz. Ein starker Dollar hat eine Kehrseite, er hemmt den Güter- und Leistungsexport und begünstigt deren Import. Die Hauptursache der negativen Leistungsbilanz der USA liegt also weniger bei den niedrigen Zöllen als beim starken Dollar.

Und ganz unabhängig von den Wirtschaftsdaten der USA haben die internationalen Entwicklungsrelationen ihre eigene Logik. Das mussten schon alle wirtschaftlich führenden Nationen erfahren. Die aufholenden Länder können gewisse Aufwendungen, Irr- und Umwege vermeiden. Sie lernen von den weiter fortgeschrittenen Ländern. Deutschland ist dafür ein gutes Beispiel. Die englischen Industrieerrungenschaften wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezielt erforscht, ausspioniert und übernommen, bevor die eigene Industrie eine gewisse Reife hatte und selbst Pionierleistungen hervorbrachte. Die USA haben ihren Siegeszug in jenem Jahrhundert zwar auch dem Bevölkerungswachstum zu verdanken, aber sie profitierten und profitieren bis heute vom mit den Immigranten importierten technologisch-ökonomischen Fortschritt Englands und der übrigen Welt. Und übrigens hatten die USA jenes ganze Jahrhundert hindurch die nahezu höchsten Einfuhrzölle, um ihre junge Wirtschaft zu schützen. Alexander Hamilton, einer der Gründungsväter der USA, hatte diese Handels- und Industriepolitik umfassend begründet und durchgesetzt. Friedrich List, der bezüglich Deutschlands für Schutzzölle warb, war ein gelehriger Schüler Hamiltons.

Wird Trump mit seiner Politik erfolgreich sein? Es wird Verhandlungen geben, einige Länder und Regierungen werden Trump gezwungenermaßen den Gefallen tun müssen, und da und dort wird es – für manche Länder teilweise ziemlich schmerzhafte – Verschiebungen in den Warenströmen und im Investitionsverhalten geben. Aber alles in allem wird die Administration der USA in diesen Fragen scheitern. Dafür werden innere wie äußere Faktoren sorgen und die nächsten Kongresswahlen 2026 werfen schon ihren Schatten voraus. Die wachsende Unsicherheit ist Gift für jede Konjunkturentwicklung und höhere Zölle bedeuten höhere Preise. Der Wahlsieg Trumps war auch ein Resultat davon, dass die vorherige Regierung die Inflation nicht in den Griff bekam. Nun ist es Trump, der sie politisch anheizt und die Weltwirtschaft in eine Rezession treibt. Anders als vor hundert oder zweihundert Jahren ist die Weltwirtschaft hoch vernetzt. Die Kompensation von ausbleibenden Importgütern durch Inlandsproduktion oder stärkere Direktinvestitionen aus dem Ausland ist keine Angelegenheit von ein paar Monaten oder Jahren. So wie Deutschland stark exportabhängig ist, sind die USA importabhängig. Und kommt es infolge der Zölle tatsächlich zu geringeren Importen, wird sich auch das Kalkül, den Staatshaushalt mittels der Zolleinnahmen zu entlasten, nicht erfüllen. Das heißt, spätestens in der zweiten Jahreshälfte wird der Gegenwind gegen die Trumpsche Zoll- und Handelspolitik aus dem eigenen Land stärker werden.

Auch die Kehrtwende in der Klima- und Umweltpolitik wird zwar für einige Industrien in den USA Vorteile haben, aber die Gesamtwirtschaft und die Bevölkerung werden darunter langfristig leiden. Sie müssen die externen Kosten dieser Politik tragen: verdreckte Umwelt, höhere Gesundheitskosten, Zurückbleiben bei den weltweit immer stärker gefragten sauberen Technologien. Auch Trumps reaktionäre Sozialpolitik wird seine Wählerschaft hart treffen. Wie lange wird die Bevölkerung all diese Folgen klaglos hinnehmen?

Noch sind die USA die weltwirtschaftliche Nummer Eins. Aber längerfristig können sie nicht verhindern, dass andere Staaten aufholen und auf einigen Gebieten zum Überholen ansetzen. So wie die deutschen Benzinkutschen trotz ihres technischen Komforts immer weniger gekauft werden, so werden amerikanische SUVs auf den Weltmärkten zurückgedrängt werden. Die Unsicherheit, die Trump mit seiner Politik sät, beschleunigt die Abkehr von der internationalen Gefolgschaft, vom USA-dominierten Zahlungssystem, vom Dollar und von den Institutionen, die von den USA beherrscht werden.

Vor knapp vierzig Jahren veröffentlichte Paul Kennedy eine Untersuchung über „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ und zeigte die Mechanismen des mehrfachen Hegemoniewechsels zwischen 1500 und 2000. Er sagte damals den Abstieg der Sowjetunion und der USA voraus. Der erste Teil seiner Voraussage hat sich bereits als richtig herausgestellt. Die Verwirklichung des zweiten Teils wird noch etwas dauern, aber ihre Anfänge sind bereits sichtbar. Wenn Trump seine Ziele mittels des Faustrechts durchzusetzen versucht, wird es wohl noch schneller gehen. Realitätsverweigerung, Irrtum und irre Politik liegen eng beieinander.