Der Sicherheitsrat der Ukraine beschloss am 13. Februar Sanktionen gegen zwei Politiker und drei reiche Unternehmer. Sie wurden durch Dekret des amtierenden Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wirksam. Die Sanktionen beschränken die Fähigkeiten der Betroffenen als juristische Personen, blockieren ihre Vermögenswerte und beschneiden ihre Bewegungsfreiheit auch innerhalb des Landes. Die beiden Politiker sind Petro Poroschenko und Wiktor Medwedtschuk. Letzterer hält sich jedoch gar nicht in der Ukraine, sondern in Russland auf. Die Unternehmer sind Konstantin Schewago, ein Milliardär und Eigentümer der Gruppe „Finanz und Kredit“, sowie die beiden Milliardäre und Eigentümer der „Privat“-Gruppe Igor Kolomojskyj und Genadij Bogoljubow.
Am meisten Aufsehen erregte der Sanktionsbeschluss gegen den ehemaligen Präsidenten und Führer der größten Oppositionspartei, Petro Poroschenko. Journalisten, unter anderem im Kyiv Independent, vermuten einen Zusammenhang mit der Forderung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump nach Neuwahlen für das Amt des ukrainischen Präsidenten. Vereinfacht ausgedrückt wird gemutmaßt, dass der amtierende Präsident mit den Sanktionen gegen Poroschenko einen Konkurrenten kaltstellen will. Seit 2022 wurde das bereits mehrfach versucht, etwa durch den Vorwurf des Hochverrats gegen ihn. Dieses Mal werden Poroschenkos Geschäfte mit Firmen in der separatistischen Ostukraine aus den Jahren 2014 und 2015 erwähnt. Aus dem Verkauf von Kohle aus den Separatistengebieten seien damals 72 Millionen US-Dollar an Profit gewonnen worden.
Poroschenko ist sicher jemand, der sich in den Jahren seit der Unabhängigkeitserklärung persönlich bereichert hat. Neben dem vermuteten privaten Gewinn durch das Kohlegeschäft mit dem Donbass steht auch die Behauptung aus dem Prozess gegen Wiktor Medwedtschuk im Mai 2022, Poroschenko habe sich an der Privatisierung einer Erdölpipeline bereichert. In den Kommentaren zum Sanktionsbeschluss geht es aber weniger um diese Seite des Sanktionierten als um dessen Rolle im zukünftigen Wahlkampf. In diesem Zusammenhang gibt es auch wieder Informationen über den Versuch der Präsidialverwaltung, einen anderen Konkurrenten Selenskyjs in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken, den Kyiver Bürgermeister Vitalyj Klitschko, der mehrfach die Konzentration der Macht im Präsidentenamt kritisiert hatte.
Allerdings hat eine Umfrage im November vergangenen Jahres einen anderen politischen Konkurrenten als gefährlicher für Selenskyj herausgestellt: den früheren militärischen Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj. Er war im Februar letzten Jahres von Selenskyj entlassen worden und ist seit Mai 2024 Botschafter der Ukraine in Großbritannien. Saluschnyj wurde in Umfragen von 27 Prozent der Ukrainer als ihr Favorit für das Amt des nächsten Präsidenten genannt, Selenskyj wurde mit 16 Prozent Zustimmung Zweiter, Poroschenko erhielt als Dritter sieben Prozent. Vitalyj Klitschko lag in dieser Umfrage mit zwei Prozent erst an neunter Stelle. Die Daten stammen aus einem Bericht der ukrainischen Zeitung Zerkalo Nedeli.
Warum Poroschenko trotzdem als potenzielle Gefahr für Selenskyj angesehen wird, kommentierte eine andere ukrainische Zeitung, Strana, in einem Bericht schon am 23. Januar dieses Jahres, als bereits über Sanktionen gegen ihn spekuliert wurde, wie folgt: „Besorgniserregender ist jedoch die von ihm geschaffene politische Infrastruktur – eine Partei mit einer weit verzweigten Organisationsstruktur, Informationsressourcen sowie die hohe Aktivität der Unterstützer des Ex-Präsidenten in sozialen Netzwerken und im Medienbereich allgemein“.
Der frühere Oberbefehlshaber ist jedoch das größere Problem für die Mannschaft des Präsidenten bei einer zukünftigen Wahl. Bei Betrachtung der Methode, mit der er kaltgestellt wurde, fällt außer der starken Zentralisierung der staatlichen Kompetenzen in der Ukraine in der Präsidialverwaltung und dem Sicherheitsrat noch etwas auf: eine Anleihe bei spätsozialistischen Traditionen. Während unter Stalin Opponenten anfangs in die Verbannung geschickt und später in Schauprozessen zum Tode verurteilt wurden, waren es später weniger brutale Methoden. Die Abschiebung auf (von der Macht) entfernte Funktionen, entweder (wie in der DDR) als Mitarbeiter in staatliche Archive, oder aber, sehr beliebt, als Botschafter des Landes irgendwo. So wurde Alexander Dubček nach seiner Entmachtung als Parteiführer 1969 Botschafter der Tschechoslowakei in der Türkei. Und Alexander Jakowlew, als Abteilungsleiter des ZK der KPdSU für Ideologie abgelöst und kaltgestellt, wurde 1973 sowjetischer Botschafter in Kanada.
Auf diese Weise zeigt sich gewissermaßen trotz versuchter Abnabelung von der eigenen sowjetischen Tradition doch eine historische Kontinuität in den Methoden der Machtausübung zwischen der staatssozialistischen Spätzeit und der heutigen Ukraine. Daran wird allerdings auch deutlich, welche Defizite das Land, sicher begünstigt durch den Krieg, auf politischem Gebiet hat. In der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, protestierten die empörten Abgeordneten der größten Oppositionspartei, der Partei Poroschenkos, gegen die Sanktionen gegen ihren Chef und blockierten das Rednerpult. Dabei hielten sie ein Transparent hoch, auf dem stand: „ні диктатури“ (Keine Diktatur)!
Gewiss stellt sich die Frage, ob eine kritische Sicht auf die Ukraine angemessen ist in einer Zeit, da sich das Land gegen die russische Aggression verteidigt und zugleich die demütigende Behandlung ihres Präsidenten durch die US-amerikanische Führung im Oval Office erleben muss. Sollte da nicht Zurückhaltung in der Kritik an der Politik der ukrainischen Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung geboten sein?
Ich halte das nicht für gegeben. Kritik an einer falschen Politik ist ebenso nötig wie eine kritische Sicht auf die andere Seite des Konflikts. Beschweigen oder Tabuisierung von Fehlern hilft niemandem.
Das Ende des Krieges muss kommen, früher oder später. Besser früher als später. Der Frieden nach außen wird jedoch nur stark sein, wenn der innere Frieden erhalten bleibt. Die Ukraine wird als demokratischer Staat nur stark sein, wenn ihre Politiker die demokratischen Regeln ernst nehmen. Kompromisse sind dafür notwendig, besonders in einem Land mit derart gegensätzlichen Identitäten, wie es die Ukraine darstellt. Eine Politik, in der andere Meinungen und Interessen mittels Sanktionen und Verboten unterdrückt werden, ist dagegen schädlich für deren Einheit.
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