Der Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie
wabert durchs Land.
Björn Höcke
In Nummer 4 des Blättchens war in den „Antworten“ zu lesen: „Nach den Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 zog Goebbels als einer von zwölf Abgeordneten der NSDAP in den Reichstag ein […] Daher gilt: solange die AfD einen Björn Höcke und dessen Gedankengut in Ihren Reihen nicht nur goutiert, sondern ein nicht unmaßgeblicher Teil der Mitglieder und der Wähler der Partei diesem Flügel zuneigt, solange gibt es nicht nur Platz für eine politische Brandmauer, sondern ist sie ein notwendiges Instrument, um einer Zerstörung der Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu wehren“.
In der gerade abgelaufenen Wahl folgte die AfD zwar auch noch dem eurokritischen Kurs ihres Gründers Bernd Lucke, ihr politisches Credo aber setzt auf ideelle Wurzeln, die andere Vordenker haben. Armin Mohler ist einer von ihnen. Der Schweizer Publizist gilt als Gründungsfigur und Mentor der Neuen Rechten. Er legte 1949 die Dissertation „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932“ vor. Präsentiert wird ein Reigen reaktionär-völkischer Autoren: neben Oswald Spengler und Ernst Jünger auch Carl Schmitt und Arthur Moeller van den Bruck sowie noch namhafte andere. Er „schuf“ so eine politische Pseudo-Strömung mit dem Ziel, deren Protagonisten vom Vorwurf des Nationalsozialismus zu reinigen, um so einen rechten Neuanfang hierzulande zu ermöglichen. Die „alten“ Rechten lehnten sowohl den Liberalismus als auch den Marxismus ab und suchten nach einer „dritten Position“, die autoritäre, national-chauvinistische und kulturell-elitäre Elemente miteinander verquickte.
Mohler, 1920 in Basel geboren, überschritt 1942 illegal die deutsche Grenze, um sich, beeindruckt von der Lektüre Jüngers, der Waffen-SS anzuschließen, wozu es dann nicht kam. Nach dem Krieg avancierte er zu Jüngers Privatsekretär und wurde bald zum Lehrer heutiger Mitglieder der Neuen Rechten wie Götz Kubitschek, der als Publizist und Verleger tätig ist und ein privates Institut für Staatspolitik betreibt, eine Denkfabrik der Neuen Rechten: „Schnellroda (dort befindet sich das Institut – St. W.) ist der Knotenpunkt eines konservativ revolutionären Milieus, einer rechtsintellektuellen Szene.“ Diese setzt an heutigen politischen, sozialen und kulturellen Wirklichkeiten an, wobei sie einen Diskurs um Elite, Leistung und Antiliberalismus führt, eine Fundamentalkritik an zentralen Verfassungsnormen übt und das Erstarken rechtsextremer Politikansätze befördert.
2003 rief Kubitschek Mohler an dessen Grabe nach: „Was er uns gelehrt hat … lässt sich in einigen Begriffen ausdrücken: die Unbekümmertheit des raschen Vorstoßes, die Befreiung der Gestalt, die Bewaffnung der Sprache, die Hochschätzung der Form, die Taktik der Nonkonformität“. (Der Duktus gleicht dem eines Briefes, den Jünger 1930 an Schmitt schrieb: „Ich schätze das Wort zu sehr, um nicht die vollkommene Sicherheit, Kaltblütigkeit und Bösartigkeit Ihres Hiebes zu würdigen …“)
Der Ton ist gesetzt – „Unbekümmertheit des raschen Vorstoßes …“ und so weiter. In ihrer Gesamtheit beschreiben diese Begriffe einen Habitus, der für ideologische Bewegungen typisch ist; Bewegungen, die Konventionen ablehnen, radikal oder rebellisch sind, dabei dynamisch, impulsiv und risikobereit vorgehend. Die Taktik der Nonkonformität betont die bewusste Ablehnung von Normen und Konventionen bei „Hochschätzung der Form“, was eine elitäre Haltung beschreibt, die den Wert von Struktur oder Ästhetik, oft im Gegensatz zu inhaltlichen Aspekten, hochhält. So auch in der Gegenbewegung zu Aufklärung – der Romantik. Mohler fand es angemessen, seiner Dissertation die Hölderlin-Worte „Geh, fürchte nichts! Es kehret alles wieder, und was geschehen soll, ist schon vollendet“ voranzustellen. Und dieses immer Wiederkehrende, so dachte jedenfalls Moeller van den Bruck, liege darin, „Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt“. Diese „zu erhaltenden Dinge“ befinden sich in den „Archiven unseres kulturellen Gedächtnisses“, woraus „sie wieder ans Tageslicht zu befördern“ wären. Das Gedankengut der 1920er Jahre?
Damit ist die AfD natürlich nicht als Partei charakterisiert; jedoch Anklänge an das äußere Auftreten und die innere Einstellung ihrer Funktionsträger lassen sich schon ablesen … tja, und da kommt Björn Höcke – der als „Nazi“ bezeichnet werden darf, ein „an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“ – ins Spiel, der mit Kubitschek direkten Umgang pflegt. Ob sein Stern sinkt, wie zu lesen ist, egal; seine faschistoiden Überzeugungen sind jedoch präsenter denn je. Einig sind sich alte und neue Rechte vor allem in der Ächtung des Liberalismus – er „zerstört Völker“. So diagnostiziert Höcke, dass sich die heutigen Deutschen in einer „äußerst miserable(n) Verfassung“ befänden. Sie seien, schreibt er in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“, „im Zuge des westlich dekadenten Liberalismus und der ausufernden Parteienherrschaft zur bloßen ,Bevölkerung‘ herabgesunken“. Was sei zu tun? „Um nun als Deutsche wieder zu einem vollwertigen … Volk zu werden, brauchen wir … eine fordernde und fördernde Elite, die unsere Volksgeister wieder weckt.“ Das deckt sich mit der Vision Moellers van den Bruck, der in seinem 1923 erschienenen Hauptwerk „Das dritte Reich“ von einer „sozialaristokratischen Regierung“ spricht; anderen schwebte damals ein „durch eine Elite geführte(r) autoritärer Staat“ vor. Ob der kommune AfD-Wähler das gewusst hat?
Dieses elitäre Staatsmodell widerspricht den Ideen der Aufklärung und der Moderne. Die Aufklärung befreite den Menschen aus aristokratisch-religiösen Bindungen und ermunterte ihn bekanntlich, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“. In modernen – liberalen – Gesellschaften ist die individuelle Freiheit die Grundnorm; angelehnt daran ist die Staatsform der Demokratie, in der sich Menschen als vernunftbegabte Wesen ihre politische Ordnung selbst geben. Die Neue Rechte setzt dagegen, der Mensch brauche Orientierung, wie gesagt, durch Eliten, durch Überzeitliches, sei es Gott oder Mythos; nur so könnten Liberalismus und Dekadenz überwunden werden.
Gegen beides steht einmal die rechtsextreme Strategie vom Wiedererstarken des Völkisch-Nationalen. Einem damit aufgeladenen Begriff der Kulturnation. Blut und Boden. Natürlich nicht in dieser Diktion; subtiler: Es ginge darum, eine „Umvolkung“ (übrigens ein Begriff aus der Zeit um 1918) abzuwehren, desgleichen eine „Überfremdung“ und den „Austausch des deutschen Volkes“. Es war übrigens die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die 2016 versuchte, den Begriff „völkisch“ politiktauglich zu machen. „Rassenlehre“ wandelt sich zu „Ethnopluralismus“. „Ausländer raus“ heißt heute „Remigration“. Erst wies die AfD den Begriff empört von sich, um sich dann mit stolzem Trotz seiner anzunehmen; Alice Weidel kam es zu, ihn auf ihrer Riesaer Krönungsmesse zu adeln: „Und wenn das dann Remigration heißt, dann heißt das eben Remigration!“ Es gelte eine völkische „Vertrauensgemeinschaft“ wiederherzustellen, aus der das willkürlich definierte „Fremde“ zugunsten eines idealisierten „Eigenen“ vertrieben werden müsse. Vieles klingt in Teilen unverfänglich, gar wissenschaftlich und bedient neben rechtsextremen Positionen auch bürgerliche, liberale.
Auch „Überzeitliches“ vulgo Geist, Spiritualität und Mythen sollen dem siechen deutsche Volkskörper wieder aufhelfen. Höcke betont den Wert letzterer; sie seien „Kraftquellen und Orientierungshilfen“. Ein „reines Technokratentum“ könne „nie die inneren Kräfte der Menschen freisetzen, die wir für die grundlegende Erneuerung unseres Landes brauchen“. Er beschwört „die romantische Tiefenhellsichtigkeit der Deutschen“, die „mystische Versenkung“. Hinter diesem esoterischen Geschwafel lauern knallharte Vorstellungen dessen, was zu tun sei: „Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten“.
„Romantische Tiefenhellsichtigkeit der Deutschen“, „mystische Versenkung“? Diese „Remythisierung unserer Lebenswelt“ (Klaus Dermutz) bereitet den Raum für Retro-Utopien, die passgenau auf die Ängste und Unsicherheitserfahrungen der Menschen, die zum Teil erst damit erzeugt wurden, abstellen, da sie von vermeintlicher Kontinuität, Einfachheit und Überschaubarkeit schwärmen, von heilen Familien in einer homogenen Nation. Diese Apologeten beschwören die mythische Kontur eines „Deutschseins“ und preisen es als rettende Klippe in der Brandung der Globalisierung. Die Zukunft wird zum Rückgriff auf die gute alte teutsche Vergangenheit, die sie nie war.
„Deutsche Unbedingtheit“? Kubitschek hilft weiter. Deutschsein sei „Sehnsucht nach dem Totalen, nach dem Risslosen, nach Etzels Saal, nach dieser Treue bis in den Tod, die eben nicht ausweicht, um weiterzuleben, sondern stehenbleibt, bis es nicht mehr geht“. „Treue bis in den Tod“ dürfte wohl selbst Hardcore-AfD-lern zu weit gehen… und aus welcher Richtung der Höcksche „Verwesungsgeruch“ wohl wabert, ist somit auch klar.
Schlagwörter: AfD, Alice Weidel, Armin Mohler, Björn Höcke, Demokratie, Götz Kubitschek, Stephan Wohanka