Der Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle hat ein Leben lang wahre Kriminalfälle analysiert und, wenn notwendig, gegen das verbreitete Justizunrecht gekämpft. Das angebliche Verbrechen, über das hier berichtet wird, hätte ihn mit Sicherheit auf den Plan gerufen, „faszinierten Doyle an den realen Fällen gerade die verbleibenden Rätselhaftigkeiten, die offenen kriminalistischen Fragen und die menschlichen, psychologischen und juristischen Abgründe“. So hatte es der Autor, Journalist und Conan-Doyle-Experte Michael Klein einmal formuliert.
Zum Glück gab es im berühmt-berüchtigten Fall Monika de Montgazon würdige Erben, ihren Schwager Rudolf Jursic und den Privatermittler Mario Arndt. Doch dazu später.
Als das Schreckliche geschah und sich tiefe juristische Abgründe auftaten, ist Monika de Montgazon 47 Jahre alt. Ihr Sohn Michael wurde 1978 geboren.
Der Vater von Monika de Montgazon erkrankte unheilbar an Krebs und wurde ein Pflegefall – er hatte nur noch wenige Monate zu leben. Seine Tochter und ihr Lebensgefährte zogen deshalb im März 2003 in das Haus des Vaters nach Berlin-Buckow. Monika de Montgazon ging weiter als Arzthelferin arbeiten, und ihr Freund pflegte und versorgte den bettlägerigen Theodor de Montgazon im Obergeschoss der Doppelhaushälfte.
Am 18. September 2003 gegen ein Uhr brannte das Haus ab. Der Vater starb in seinem Bett; Tochter und „Schwiegersohn“, der sich auch erhebliche Verletzungen zuzog, konnten sich retten.
Für Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft war von Anfang an völlig klar, dass Monika de Montgazon in der Nacht den Brand selbst gelegt hatte, um an die hohe Versicherungssumme für das Haus zu gelangen, zumal ihre finanzielle Lage nicht gerade rosig war. Also Mord aus ganz niederen Motiven. Ein Vorurteil im Sinne einer Vorverurteilung.
Und wenn man sich eine solche vorgefasste Meinung bestätigen lassen will, holt man sich die richtigen Experten mit ins Boot. So auch geschehen in diesem Fall, als ein Brandgutachter des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin „nachwies“, dass der Brand mit Brennspiritus als Brandbeschleuniger gelegt worden war. Mehrere externe Sachverständige der Verteidigung widersprachen der Aussage des Gutachters zur Brandursache zwar vehement, aber sie wurden zur Hauptverhandlung gar nicht zugelassen. So macht man das eben. Da konnte auch der Rechtsanwalt der Verteidigung Lutz Körner nichts ausrichten.
Dass der Vater wenige Wochen später an den Folgen seiner schweren Erkrankung ohnehin gestorben wäre, interessierte die Ermittler bei der Motiverforschung merkwürdigerweise überhaupt nicht.
Das Landgericht Berlin verurteilte Monika de Montgazon wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung, mit Brandstiftung mit Todesfolge, mit Versicherungsmissbrauch und mit fahrlässiger Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und stellte überdies noch eine besondere Schwere ihrer Schuld fest. Was heißt, dass sie nach 15 Jahren Haft keine Möglichkeit gehabt hätte, auf Bewährung entlassen zu werden!
Die ganze solidarische Familie, allen voran ihr Schwager und Kämpfer für die Gerechtigkeit Rudolf Jursic, die von ihrer Unschuld überzeugt war, beauftragte den Rechtsanwalt Mario Seydel als Nebenkläger und den Privatermittler Mario Arndt, mit kriminalistischen und juristischen Scharfblick und sozialer Verantwortung neue Ermittlungen zu führen. Und neue Gutachten zu initiieren mit dem Ziel, endlich Licht in das Dunkel zu bringen.
Der Bundesgerichtshof für Strafsachen, der angerufen wurde, hob 2006 das Urteil auf und verwies es zur erneuten Verhandlung zurück an eine andere große Strafkammer des Landgerichts Berlin. Monika de Montgazon wurde nach 888 Tagen (!) aus der Haft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen in Pankow entlassen.
Die als Obergutachterin beauftragte Sachverständige des Bundeskriminalamtes Frau Dr. Löffler widerlegte in der Verhandlung vor dem Landgericht am 2. April 2008 auch durch Lehrfilme renommierter Universitäten alle Aussagen des Chemikers und des Brandursachenermittlers des LKA Berlin. Der Brand war keine Brandstiftung, sondern ein Schwelbrand mit der Ausbruchstelle im Zimmer des verstorbenen Theodor de Montgazon. Es wird bewiesen, dass es zweifelsfrei einen Brandverlauf von der Decke zum Fußboden gab und nicht umgekehrt wie bei einer vorsätzlichen Brandlegung. Der Auslöser des Brandes war (mit einer hohen Wahrscheinlichkeit) eine Zigarette des Vaters. Die brennenden Holztäfelungen hatten die gleichen Gasrückstände freigesetzt wie Spiritus. Die Untersuchungsmethoden des LKA Berlin sind für die wirkliche Expertin „nicht nachvollziehbar“.
So fiel auch die Presse über den Gutachter Dr. A. her: Seine Methoden stammten wohl aus dem „Mittelalter“ und entbehrten jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Monika de Montgazon wurde freigesprochen. Sie war zunächst ohne Arbeit, lebte von Arbeitslosengeld II und erhielt eine Haftentschädigung von elf Euro pro Tag (9.779 Euro insgesamt). 2009 änderte der Bundestag das Strafverfolgungsentschädigungsgesetz und erhöhte den Tagessatz auf 25 Euro, wobei das Schicksal von Monika de Montgazon und die Auseinandersetzungen zu ihrem Fall dafür mit ausschlaggebend waren.
Sie erhielt zur Haftentschädigung als Erbin das Geld aus der Feuerversicherung. Mit einem Bekannten eröffnete und betrieb sie die Diskothek „Zeitlos“ im Berliner Südwesten. Als der erhoffte wirtschaftliche Erfolg ausblieb, musste Monika de Montgazon Privatinsolvenz anmelden.
Sie telefonierte am 27. Dezember 2016 letztmalig mit ihrem Sohn und wurde am 2. Januar 2017 in der Wohnung tot aufgefunden. Sie war am gebrochenen Herzen gestorben, ein Fremdverschulden konnte der Gerichtsmediziner ausschließen. Im Juni 2019 schrieb Uta Eisenhardt in der Wochenzeitung Die Zeit: „Es war kein gewaltsamer Tod. Niemand hat sie erschlagen, erwürgt oder vergiftet. Sie war nur – aufgrund systematischer Schlamperei und Arroganz – aus ihrem sozialen Gefüge katapultiert worden.“
Was ist aus den anderen Akteuren geworden? Der Gutachter Dr. A. wurde kurz nach dem Freispruch pensioniert. Der Richter, der Staatsanwalt und die untersuchungsführenden Kriminalisten, die Verantwortlichen für das Unrecht, sind mit neuen Strafverfahren und Fällen beschäftigt, so als wenn nichts geschehen wäre. O-Ton Mario Arndt: „Zu diesem Fehlurteil und Justizskandal wäre es nicht gekommen, wenn der Herr Richter seine Arroganz gegen Menschenkenntnis und Objektivität eingetauscht hätte.“
Ohne die Unterstützung durch Rudolf Jursic, die gesamte Familie, die Rechtsanwälte und den Privatermittler Mario Arndt säße Monika de Montgazon mit Sicherheit noch immer im Gefängnis. Denn eine Justiz handelt niemals selbstständig, auch wenn sie noch so großes Unrecht erkennt, und Schicksale von Menschen interessieren nicht. Die Justiz hat keine Gefühle, und sie hat immer Recht. Und das ist die eigentliche Katastrophe im viel beschworenen System von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, das immer mehr abhanden kommt.
Schlagwörter: Frank-Rainer Schurich, Justiz, Monika de Montgazon, Recht