Vorm Haus steht eine Kugel aus Bronze. Oben reckt eine Gruppe Eisbären die Nasen neugierig in den Wind, unten hängen Pinguine kopfüber, und da und dort sieht man auch anderes Getier an jenen Orten sich erheben, die ihnen die Natur zugewiesen hat: Elefanten, Kängurus und Krokodile. Das originelle Kunstwerk in der Erich-Weinert-Allee schufen Ende der siebziger Jahre Axel und Cornelia Schulze, und die Weltkugel – eins zwanzig im Durchmesser – stand schon dort, als das Haus noch einen Kindergarten beherbergte. Jetzt ist es ein Museum, was irgendwie auch symptomatisch ist. Die Einwohnerschaft von Eisenhüttenstadt hat sich seit dem Ende der DDR mehr als halbiert, liegt jetzt unter 25.000, folglich gibt es auch weniger Kinder. Das Einzige, was sich hier entwickelt, ist der Stimmenanteil einer Partei, die das Blaue im Schilde führt und auch in ihren Programmen verspricht. Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 bekam sie hier jede dritte Stimme und konnte nicht einmal alle neun Sitze belegen, die sie gewann. Deshalb zählt die Stadtverordnetenversammlung statt der 28 nur 25 Mitglieder. Das aber nur am Rande, dem rechten.
Das Museum nennt sich Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, draußen heißt es „Museum Utopie und Alltag“. Zu sehen sind eine Dauerausstellung mit Alltagsgegenständen aus dem untergegangenen Land und temporäre Sonderausstellungen. Dass im statistischen Durchschnitt im Monat weit weniger als tausend Besucher den Weg hierher finden, liegt nicht an der Qualität der Expositionen, sondern mehr an der Abgeschiedenheit des Ortes. Zwar ist die vor über siebzig Jahren aus dem märkischen Sand gestampfte Industriemetropole der DDR auch per Bahn zu erreichen, aber nicht immer fährt sie. Als beispielsweise Klara Němečkova von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zum Rundgang durch die von ihr kuratierte Ausstellung „PURe VISIONEN“ einlud, fuhr mal wieder keine. Das machte sich augenscheinlich an der Zahl der Interessenten bemerkbar.
So folgte der jungen Frau nur ein Dutzend Neugieriger durch die bunte Plastikwelt der siebziger Jahre. Vornehmlich sah man Möbel aus dem Kunststoff Polyurethan (PUR). Die erwiesen sich schon nach wenigen Jahren als geschmäcklerische Sackgasse. Als die DDR ihr einzigartiges Wohnungsbauprogramm auflegte, musste zwangläufig auch die Frage beantwortet werden: Was stellen sich die Mieter in ihr neues Quartier? So kam man denn auf die Idee, sie mit Kunststoffmöbeln zu bestücken. Die waren schnell und in großen Mengen herzustellen. Einfacher und schneller jedenfalls, als Bäume wuchsen und in langwierigen Produktionsprozessen zu Stühlen, Tischen und Schrankwänden wurden. Dann aber wurden das Erdöl immer teurer und die Devisen immer knapper. Auch schwand das Bedürfnis der Kunden, sich Massenware aus Plaste und Elaste ins Heim zu holen. Die DDR – in diesem Falle wirklich Weltspitze – produzierte mehr Kunststoffmöbel als jedes andere Land der Welt, bis es der Markt richtete: Anfang der achtziger Jahre kaufte kaum ein Bürger noch Möbel aus Kunststoff, die Produktion wurde darum 1982 eingestellt.
Die Exposition im Obergeschoss des Hauses zeigt Entwicklung und Herstellung, Verbreitung und Verwendung des gepressten Mobiliars. Wir sehen etwa Erich Honecker während der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 auf einem PUR-Hartschaumsessel sich räkeln, an seiner Seite die aus einem Gefängnis in den USA freigekämpfte Angela Davis. Es gibt diverse Tische, Kugelbehältnisse, Stapelstühle, Badezimmerausstattungen, Schrankwandfronten und ähnliches zu betrachten, oft von Studenten in Burg Giebichenstein (Halle) und der Kunsthochschule Weißensee (Berlin) entworfen. Die hießen damals Formgestalter, heute natürlich Designer.
Das alles ist ziemlich informativ und interessant, dennoch wenig spektakulär. Die Pointe findet sich bei den ausgewiesenen Sponsoren. Das sind die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ und ein Chemiekonzern in Ludwigshafen, die BASF. Wenn man die Tafeln neben den bunten Objekten genau studiert, entdeckt man auch den tieferen Sinn, weshalb sich beide an der Ausstellung beteiligten: Der westdeutsche Konzern reklamiert quasi die Vaterschaft für die Möbel. Das Garten-Ei und der Z- oder Känguru-Stuhl gelten nur fälschlich als „Ikonen ostdeutschen Designs“. Und: Die „DDR-Außenhandelsagentur ‚Kommerzielle Koordinierung‘ unter Alexander Schalck-Golodkowski“ hat die Sache „eingefädelt“. „Gestützt auf inoffizielle Wirtschaftskontakte bezog die DDR von französischen und vor allem westdeutschen Unternehmen Maschinen, technisches Wissen, Schäumformen und Lizenzen für Entwürfe“, heißt es da. Womit die Unterzeile der Exposition begründet wird: „Kunststoffmöbel zwischen Ost und West“. Was Unsinn ist, gemeint ist natürlich nicht „zwischen“, sondern „in“. Das ist Grammatik. Dass diese Geschäfte angeblich illegal liefen, hingegen pure Ideologie.
Es ist richtig, dass der I.G.-Farbenkonzern nicht nur in Auschwitz tätig war, sondern seinerzeit auch den Schaumstoff Polyurethan entwickelte. In den sechziger Jahren brachte das Nachfolgeunternehmen Bayer Konsumgüter aus diesem Kunststoff auf den Markt. In der DDR verfolgte man seit 1958 ein eigenes Chemieprogramm („Chemie gibt Brot, Wohlstand, Schönheit“). Plasteprodukte und Kunstfasern zogen fortan in den Alltag ein, die „Plastifizierung“ erreichte bald jeden Lebensbereich. Trotz Embargo und Kaltem Krieg, trotz CoCom-Liste im Westen und Störfreimachung im Osten gab es Austausch und Handel auch im Chemiebereich zwischen der DDR und der BRD. So bezog man anfänglich chemische Grundstoffe von der Bayer AG und anderen Unternehmen, besorgte sich legal Lizenzen und Maschinen aus der Bundesrepublik. Und damit produzierte man unter anderem im Petrolchemischen Kombinat (PCK) Schwedt Möbel „aus einem Guss“. Wie die Tafeln behaupten „zunächst ausschließlich zum Export an westdeutsche Vertriebsfirmen“. Komisch nur, dass auf der Kölner Möbelmesse 1971 und auf der Leipziger Herbstmesse 1972 identische Modelle aus PUR mit unterschiedlicher Herkunft ausgestellt wurden.
Hier nun soll auf die berühmte Ricola-Frage „Wer hat’s erfunden?“ die Antwort gegeben werden. Zuerst war das Ei, dann die Henne. „Das Sortiment von Möbeln aus Schwedt wurde ursprünglich für die Firma Horn im baden-württembergischen Rudersberg entworfen.“ Und diese Möbel „hatten ihren Ursprung im niedersächsischen Lemförde, im ‚Design-Center‘ des Unternehmers Gottfried Reuter. Nach dem Konkurs der Firma 1973 (Elastogran GmbH) wurden sie vermehrt innerhalb der DDR zum Kauf angeboten.“
Mag ja sein, dass das „Garten-Ei“ 1971 von Peter Ghyczy im Westen zum Patent angemeldet wurde, doch die Produktion erwies sich in der BRD als zu teuer, weshalb die Firma Elastogran das aufklappbare Sitzmöbel und andere von ihr entworfene PUR-Möbel-Modelle im VEB Synthesewerk Schwarzheide produzieren ließ. Doch die DDR produzierte und entwickelte sie kreativ weiter. Auch wenn das Ei und der Z- oder Känguru-Stuhl keine genuinen DDR-Erfindungen waren: Dass beide als Design-Ikonen berühmt wurden und heute fasziniert als überzeugende Beispiele der Ostmoderne gefeiert werden, wäre ohne die DDR und deren Massenproduktion wohl kaum denkbar. Insofern erklärt sich auch die Beihilfe der „Stiftung Aufarbeitung“: Hier hoffte man wohl am Lack des gerühmten DDR-Designs kratzen zu können. Das gelingt allerdings nur schwach.
Und gänzlich unideologisch endet die Ausstellung, die demnächst auch in Halle/S. gezeigt werden soll, in einem Raum, der das vormalige Material der Zukunft als globales Problem behandelt. Der Werkstoff Polyurethan – wegen seiner Langlebigkeit und Vielseitigkeit unverändert viel genutzt – ist nur schwer recycelbar. Was lässt sich daraus machen, bevor er sich auf Abfallbergen türmt, in Ozeanen treibt, als Mikroplastik in der Nahrungskette landet oder gesundheits- und klimaschädlich verbrannt wird? Gezeigt werden Beispiele für einen nachhaltigen Umgang. Der ist zwar nicht so bunt wie die siebziger Jahre, aber mitunter verblüffend einfach, also ziemlich nah am Ei des Kolumbus.
Schlagwörter: BRD, DDR, Design, Eisenhüttenstadt, Jutta Grieser, Möbel, Polyurethan