Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen,
Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen
zu wollen – nur Blut, das soll immer wieder
mit Blut ausgewaschen werden.
Bertha von Suttner, Die Waffen nieder! (1889)
Die Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg veranstaltete im Herbst 2023 in Rahmen des Berliner Dialogs der Weltanschauungen – ja, den gibt es noch – eine Tagung unter dem Titel „Waffen nieder oder Waffen liefern?“. Der vorliegende Sammelband, erschienen im Alibri Verlag, dokumentiert die Vorträge.
In einem ersten Teil werden verschiedene Annäherungen an Bertha von Suttner vorgestellt. Sie wurde 1843 in Prag als Gräfin Kinsky geboren, war die Tochter eines Generals und kannte die Begeisterung des österreich-ungarischen Adels für Kriegstüchtigkeit, Gehorsam und Patriotismus. Den aggressiven Militarismus verarbeitete sie in dem wirkmächtigen Roman „Die Waffen nieder!“. Er wurde rasch ein Weltbestseller. 1905 erhielt sie den ersten Friedensnobelpreis, gleichzeitig erschien bereits die 37. deutsche Auflage des Buches. Sie wurde eine Gallionsfigur der Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, dessen Beginn sie wegen einer Krebserkrankung nicht mehr erleben musste.
Aber sie „lebt als Ikone weiter. Nur Mozart schaffte wie sie den Abdruck auf der Schillingnote und auf der österreichischen Euromünze“, formuliert Johann Georg Lughofer in seinem Text über Bertha von Suttner als Pazifistin und als Freidenkerin, als Kämpferin gegen den Nationalismus und für einen europäischen Staatenbund als wirkliche Garantie für anhaltenden Frieden.
Katharina Lenski betrachtet Suttner als Reformpädagogin, die sich für eine friedensstiftende Erziehung in der Schule einsetzte.
Heiner Thurm beschreibt ihre zeitgenössische Stellung in der Frauen- und Friedensbewegung.
Anders Ralf Schöppner schlägt eine Brücke von Bertha von Suttner in die Gegenwart. Ausgehend von der wörtlichen Bedeutung des Begriffs „Pazifismus“, Frieden zu machen, sieht er die Verantwortung und das Bekenntnis zum praktischen Engagement für den Frieden. Er fragt, ohne eine klare eindeutige Antwort geben zu können: „Ist es humanistisch, Waffen an die Ukraine zu liefern […] und viel Geld für Militär auszugeben? Oder ist es humanistisch, einen sofortigen Waffenstillstand samt Friedensverhandlungen zu fordern und Steuergelder besser für soziale und kulturelle Belange einzusetzen?“ Er stellt dann fest, „dass die Vokabel ‚Humanismus‘ zu großformatig ist, um bei solch schwierigen, ins Aporetische tendierenden Fragen ausreichend trennscharf zu sein.“
Im zweiten Teil des Tagungsbuches geht es um „Pazifismus heute“ als ein umstrittener Begriff. Im Vorwort wird gefragt: Ist die Idee eines „Pazifismus“ überhaupt noch zeitgemäß? Und bedarf dieses große Wort nicht zumindest eines klärenden Adjektivs wie „bedingungslos“, „aufgeklärt“, „pragmatisch“ oder „verantwortungsbewußt“? Oder verwässern solche „Beiworte“ nicht eher die Idee und den konsequenten Anspruch des Pazifismus? Die politisch-philosophischen Zugänge zum Pazifismus und dessen realpolitische Implikationen werden – auch divergierend – betrachtet. „Gesinnungsethischer Total-Pazifismus“ wird mit „pragmatischem“ Pazifismus vergleichend gewertet. Zu Wort kommen zu diesen Fragen Olaf L. Müller, Wilfried Hinsch, Christoph Sebastian Wiedau, Julian Nida-Rümlin und Irina Spiegel.
Der dritte Teil des Sammelbandes widmet sich friedenspolitischen Initiativen, Herausforderungen und Interventionen.
Juliane Hauschulz, Annegret Krüger und Marian Losse fassen ihre Bemerkungen unter der Überschrift „Die Atomwaffen nieder!“ zusammen. Sie referieren, dass Bertha von Suttner bereits kurz nach der Entdeckung der Radiumstrahlen vor einem atomaren Schreckensszerario warnte (im Roman „Der Menschheit Hochgedanken“, 1911), ihre Warnung belächelt wurde, aber wir heute genau in einem solchen Atomzeitalter leben. Suttners damalige Utopien von internationalen Schiedsgerichten und eines (europäischen) Völkerbundes seien zumindest in Teilen unsere heutige Realität. Darauf aufbauend, solle eine neue Utopie geschaffen werden – eine atomwaffenfreie Welt. Der Status Quo stehe jedoch dagegen, insbesondere der Glauben an eine gegenseitige nukleare Abschreckung, aber auch das „Aufrechterhalten des Patriarchats“. Die Autorinnen und der Autor verbinden ihre Überlegungen mit einer feministischen Kritik an Waffensystemen und den damit einhergehenden Logiken des Patriarchats.
Zwei weitere Beiträge seien hier noch beispielhaft genannt. Ute Finckh-Krämer zeichnet die Diffamierung und Politisierung von Kriegsdienstverweigerung als individueller Gewissensentscheidung seit dem Zweiten Weltkrieg nach, um die Spiralen von Krieg und Gewalt zu durchbrechen. Hajo Funke aktualisiert seinen Vortrag vom Oktober 2023 gut ein Jahr später für diesen Sammelband und blickt auf Gaza und die Ukraine. Er appelliert gegen jede Kriegseuphorie und für echte Verhandlungsbereitschaft und fordert „mehr Mut zu diplomatischen Initiativen“.
Grenzen und Möglichkeiten von Pazifismus werden in dem Band ebenso interessant beleuchtet, wie gegenwärtige Kriege und Konflikte als Projektionsfläche der aktuellen Suttner-Forschung genutzt werden.
Astrid Hackel / Irina Spiegel (Hrsg.): Waffen nieder oder Waffen liefern? Bertha von Suttner und die Gegenwart des Krieges. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, Band 15, Alibri Verlag, Aschaffenburg 2024, 280 Seiten, 26,00 Euro.
Schlagwörter: Astrid Hackel, Bertha von Suttner, Henricus Schwertfeger, Irina Spiegel, Pazifismus, Waffenlieferungen