Was List verborgen, wird ans Licht gebracht,
Wer Fehler schminkt, wird einst mit Spott verlacht.
Cordelia in König Lear
In Noam Chomskys 96. Lebensjahr erschien in Zusammenarbeit mit Nathan J. Robinson ein Abriss seiner politischen Analysen und Recherchen zur Innen- und Außenpolitik der USA und zur Rolle der Massenmedien in den vergangenen Jahrzehnten.
Noam Chomsky wuchs als Sohn jüdischer Auswanderer aus dem Zarenreich in einem nichtreligiösen, akademischen Elternhaus in den USA auf. Verwandte engagierten sich in anarchosyndikalistischen Bewegungen und Gewerkschaften. In seinem Studium der Linguistik und Philosophie entwickelte er gemeinsam mit seinem Lehrer Zellig S. Harris die Theorie der generativen Transformationsgrammatik, die spätestens in den 60er-Jahren weltweite Anerkennung erfuhr. Diese und weitere Theorien zur Universalgrammatik bereiteten den Weg für programmierte Unterrichtsformen im naturwissenschaftlichen und Sprachunterricht in Ost und West sowie für erste Versuche im Bereich maschineller Übersetzungen. An seiner späteren Wirkungsstätte, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), forschte er zu computergestützten Umsetzungen menschlicher Sprache in Befehle für militärische Zwecke. Dieser in den Sechzigern in Angriff genommene Forschungsschwerpunkt wird am MIT mit den heutigen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz für Bildungs- und Militärprojekte intensiv verfolgt.
Noam Chomsky und Nathan J. Robinson blicken in ihrem Buch, das im Wesentlichen in der Corona-Zeit zusammengestellt wurde, kritisch zurück auf die Politik der USA, insbesondere in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Erste wissenschaftliche Statements und Aktivitäten Chomskys setzten mit der amerikanischen Kriegsführung im Vietnamkrieg ein. Im Jahr 1967 veröffentlichte er den Essay „Die Verantwortung der Intellektuellen“, der im Milieu der Studenten- und afro-amerikanische Protestbewegung und der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer zu einem Leitfaden wurde.
Das Buch „The Myth of American Idealism“ (Der Mythos des amerikanischen Idealismus) charakterisiert in komprimierter Form die wichtigsten Kriegsziele, die in offenen und verdeckten militärischen Operationen verfolgt wurden, und mit welchen Mitteln der Desinformationen die US-amerikanische Bevölkerung manipuliert wurde.
Länder, die es zaghaft wagten, sich dem ökonomischen, finanzpolitischen und militärischen Einfluss und der Einmischung der USA zu entziehen, mussten mit Sanktionen oder Strafaktionen rechnen, frei nach dem Motto: „Es darf kein zweites Kuba geben.“ Chomsky kommt zu dem Schluss: Wenn es um USA-Interessen geht, werden bewusst Not, Elend und Umweltzerstörung in Kauf genommen. Dies belegt er mit Dokumenten und Zitaten der damals handelnden Protagonisten, in denen bewusste Zerstörung der Umwelt, ziviler Infrastruktur, demokratischer Transformationsprozesse direkt durch US-Militärs oder deren Marionetten initiiert wurden und werden. Gleichzeitig geht es ihm um die sprachliche Täuschung gegenüber den US-Bürgern und der Weltöffentlichkeit. Nach dieser Lesart führten die USA „keine Kriege“, sondern sie „engagieren sich im Rahmen ihrer wertegeleiteten Außenpolitik in Operationen in verschiedenen Ländern“. Enden die militärischen Operationen in Katastrophen, gilt: „Es kann zu Fehlern kommen, aber niemals zu Verbrechen.“ Gemeinsam mit dem Philosophen John Dewey vertritt Chomsky die Meinung, dass „die unvermeidliche Wirkung des gegenwärtigen ökonomischen Systems auf die Publikationstätigkeit, auf die Beurteilung, was eine Nachricht ausmacht, auf die Auswahl und Nichterwähnung dessen was veröffentlicht wird …“ den jeweiligen herrschenden Meinungsmachern obliegt. Diese Beobachtungen sind einem Kapitel unter der Überschrift „Wie Mythen fabriziert werden“ gewidmet.
Nicht nur durch seine antikapitalistische, israelkritische, pazifistische Haltung in Publikationen, sondern auch durch seine Teilnahme an Demonstrationen wurde Chomsky zu einem entschiedenen Kritiker der Nachkriegspolitik der USA, die im eklatanten Widerspruch zu den Prinzipien der UNO steht.
Mit der Präsidentschaft Donald Trumps gewinnt dieses Buch nochmals an Relevanz, da wichtige Begleiter in Regierungspositionen aus Trumps erster Amtszeit mit großer Wahrscheinlichkeit erneut Entscheidungsbefugnis erlangen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass immer mehr Medienanstalten und Verlage auf eine Trump-freundliche Berichterstattung einschwenken und kritische Äußerungen eliminiert werden.
Die Lektüre des Buches gestattet eine komprimierte Vermittlung wesentlicher Vorgänge in der Weltpolitik des 20. Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart. Der umfangreiche Quellennachweis ermöglicht den Zugang zu Chomskys Schriften und den Aussagen anderer Autoren zu einem Themenschwerpunkt. Dieses Buch sei einer zahlreichen Leserschaft eines der meistzitierten, produktivsten und unerschrockenen Intellektuellen der USA empfohlen.
Noam Chomsky / Nathan J. Robinson: The Myth Of American Idealism – How US Foreign Policy Endangers The World. Penguin Books 2024, 400 Seiten, 21,50 Euro
Schlagwörter: Krieg, Massenmedien, Nathan J. Robinson, Noam Chomsky, Politik, USA