Zu einer Zeit, wo das nahe Geräusch des Kriegs das Vaterland ängstiget, wo der Kampf politischer Meinungen und Interessen diesen Krieg beinahe in jedem Zirkel erneuert und nur allzuoft Musen und Grazien daraus verscheucht, wo weder in den Gesprächen noch in den Schriften des Tages vor diesem allverfolgenden Dämon der Staatskritik Rettung ist, möchte es ebenso gewagt als verdienstlich sein, den so sehr zerstreuten Leser zu einer Unterhaltung von ganz entgegengesetzter Art einzuladen.“
So lautete der einführende Satz in der Ankündigung für eine neue Monatsschrift: Die Horen. Das war im Jahr 1794, die Ankündigung verfasste der Spiritus rector und Herausgeber des Journals, das in der Verlagsbuchhandlung von Johann Friedrich Cotta in Tübingen erscheinen sollte: Friedrich Schiller. Seine Zeitschrift hatte einen großen Einfluss auf die deutsche Geistesgeschichte und gilt als ein konstituierendes Element dessen, was später Weimarer Klassik genannt wurde.
Die Horen sind die Töchter des Zeus und der Themis, griechische Göttinen. Laut Schiller, sich auf Hesiod berufend, stehen sie für Eunomia (Ordnung), Dike (Gerechtigkeit) und Eirene (Frieden).
Träumte Schiller noch von einer Zeitschrift für Weltbürger, die sich der Philosophie und der Kunst widmet, und von der kulturellen Vereinigung der Deutschen durch diese, ohne sich dabei aktuellen Themen und Ereignissen zuzuwenden, war seinem Projekt nur eine kurze dreijährige Lebensdauer beschieden.
Es gab mehrere Wiederbelebungsversuche. Seit 1955 schließlich erscheinen die horen als Vierteljahresschrift für Literatur, Kunst und Kritik, ab Band 245 (2012) im Göttinger Wallstein Verlag.
Neben gegenständlich „offenen“ Heften gibt es thematische Anthologien, auch zu fremdsprachigen Literaturen. Das aktuelle Heft „Textures“ widmet sich einem speziellen Thema: „Bild Wort Bild“. Hier geht der Impuls nicht, wie gewöhnlich, vom Text aus, der bebildert sein will. „Vielmehr sucht sich das Bild das Wort, das dann in Beziehung zum Abgebildeten tritt. Oder einen Dialog stiftet, der sich in der Zusammenarbeit entäußert“, schreiben die Herausgeber Andreas Erb und Christof Hamann. Bilder schreiben, Wörter zeichnen, um einen Buchtitel aufzugreifen, hier wird das vielschichtige Spannungsfeld zwischen Wort und Bild beleuchtet. Der Leser und Betrachter ist eingeladen, es zu erkunden.
So vielfältig wie die Textsorten sind die bildnerischen „Handschriften“ im ursprünglichen und auch im übertragenen Sinne. Unmöglich auf engem Raum eine angemessene Beschreibung zu geben. Beeindruckend Friedrich Dieckmanns Essay über Xagos gegenwärtige Überzeichnungen von Radierungen aus dem 17. Jahrhundert. Ebenso Jürgen Rennerts Sonette zu Grafiken von Mathias Gubig über Prometheus. Nicht zu vergessen Peter Wawerzineks Texte zu fünf Bildern von Klaus Zilla über den Zustand der Welt. Ist es Zufall oder steckt etwas dahinter? All die genannten Künstler sind im Osten Deutschlands sozialisiert worden. Andere mögen eine andere Auswahl treffen.
Der Arbeitstitel „Textures“ geht zurück auf ein Skizzenbuch von George Grosz, schreibt Andreas Erb, das er im inzwischen geschlossenen Grosz-Museum gesehen habe. Über das unrühmliche Ende des Museums berichtete ich vor einem Monat an dieser Stelle, dem folgte ein Gedicht von Friedrich Schiller: „Hoffnung“ im Blättchen. Merkwürdig, ein Kreis schließ sich.
Schiller wollte in seiner Zeitschrift Zeitgeschichte und gegenwärtige Politik aussparen, was ihm nicht stets gelungen ist. Das heutige Journal folgt erfreulich nicht dieser Beschränkung.
die horen, Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik. Band 296, Textures – Bild Wort Bild. Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 208 Seiten, 16,50 Euro.
Schlagwörter: Die Horen, Friedrich Schiller, Jürgen Hauschke, Wallstein Verlag