Im Russischen ist es üblich, Geburtstagwünsche mit der Hoffnung auf ein langes Leben, möglichst bis einhundert Jahre, zu verbinden: поздравления с днем рождения до ста лет. Im Falle des renommierten Russland-Historikers Peter Hoffman dürften sich diese Wünsche am 9. November erledigt haben, oder, besser noch: Zu wünschen sind dann weitere gute Jahre, denn an diesem Tag vollendet er sein 100. Lebensjahr.
In Berlin in einer bürgerlichen, nicht-nazistischen Familie geboren, erlag der junge Hoffmann jedoch den Verlockungen der faschistischen Ideologie: Noch vor dem Abitur meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS, auch, um dem obligatorischen Jahr des Reichsarbeitsdienstes zu entgehen. Doch verband sich für ihn, der auch an Kampfeinsätzen an der Ostfront beteiligt war, damit kein Unrechtsbewusstsein, wie er in seiner Autobiografie eingesteht. Erst in amerikanischer Kriegsgefangenschaft – dort wurde ihm die Abiturprüfung ermöglicht – begann er, über Ursachen und Folgen von Faschismus und Krieg nachzudenken. 1947 floh er aus dem nachlässig bewachten Kriegsgefangenenlager bei Frankfurt am Main und gelangte ohne größere Probleme nach Ost-Berlin. Bis 1949 arbeitete er als Starkstrommonteur, danach studierte er bis 1953 Geschichte und Slawistik an der Humboldt-Universität, wobei der wissenschaftlich herausragende Eduard Winter der ihn prägende Lehrer wurde (Winter konnte seine Mitarbeit in der Reinhard-Heydrich-Stiftung im besetzten Prag herunterspielen und seine NSDAP-Mitgliedschaft lange verschweigen; so wurde für den ehemaligen „entlaufenen“ katholischen Priester eine Professur in der DDR frei).
Als Assistent und Doktorand Winters wurde Peter Hoffmann 1959 mit einer Arbeit über den Historiker, Geografen, Ethnografen und Archivar Gerhard Friedrich Müller (1705–1783) promoviert. Müller wurde vor allem als Sibirien-Forscher bekannt; so nahm er an der großen Nordischen Expedition (1733–1743) teil und sammelte umfangreiche Materialien, die eine unverzichtbare Grundlage für spätere Forschungen anderer bildeten. Zugleich war Müller Herausgeber der ersten populärwissenschaftlichen Zeitschrift in russischer Sprache.
Noch vor der Promotion wechselte Peter Hoffmann an das Institut, später: Zentralinstitut für Geschichte der DDR-Akademie der Wissenschaften. Dort war er zeitweilig Leiter der Arbeitsgruppe „Geschichte der slawischen Völker“. 1986, drei Jahre vor seinem regulären Eintritt in den Rentenstand, wechselte er infolge der Teilung des Instituts als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Institut für Allgemeine Geschichte.
Hoffmans Spezialgebiete waren die deutsch-russischen Beziehungen des 18. Jahrhunderts sowie Fragen der Petersburger Aufklärung und des russischen Absolutismus. Seine Arbeit schlug sich in einer Vielzahl an Monografien, Aufsätzen und vor allem sorgfältigen Quelleneditionen nieder.
Doch erst 1981 verteidigte er seine Dissertation B (dem DDR-Äquivalent zur bundesdeutschen Habilitation) zum Thema „Russland im Zeitalter des Absolutismus“, die 1988 überarbeitet als Buch erschien. Die späte Zusatzqualifikation hing auch mit der Tatsache zusammen, dass Hoffmann trotz hervorragender fachlicher Qualifikation und zahlreicher Gastaufenthalte in der Sowjetunion niemals die Chance auf eine Professur erhielt: Zu schwer wog seine einstige Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Darüber berichtete er ohne jede Verbitterung; er sah seinen Platz „In der hinteren Reihe“ (so der Titel seiner Autobiografie) der DDR-Wissenschaft, in der er dennoch nützliche Arbeit leisten könne.
Politisch verstand und versteht sich Peter Hoffman seit den späten 1940er Jahren als Kommunist. Es war ihm undenkbar, sich nach 1989 von seiner einst hart erarbeiteten politischen Position loszusagen. Noch lange war er Mitglied der PDS und dann der Linkspartei, bis sich diese – seiner Meinung nach – von marxistischen Positionen immer mehr entfernte.
Da im Rentenstand, musste Peter Hoffmann sich nicht um einen der wenigen Plätze bewerben, die ostdeutschen Historikern im bundesdeutschen Wissenschaftssystem offenstanden. Als Privatgelehrter setzte er die wissenschaftliche Arbeit fort. Früchte dieser Anstrengung waren weitere Quelleneditionen, Aufsätze und Biografien über Mittler des deutsch-russischen Kulturaustauschs: über Michail Lomonossow (1711-1765) und Anton Friedrich Büsching (1724–1793); dieser hatte mehrere Jahre als Pfarrer in Petersburg gewirkt. Er rief auch den Aufklärer und Gegner der Leibeigenschaft Alexander Radischtschew (1749–1802) ins öffentliche Bewusstsein zurück. Insgesamt publizierte Hoffmann seit dem Eintritt in den Un-Ruhestand nicht weniger als 13 Bücher, darin unterstützt von seinem familiären Umfeld und besonders von seiner 2014 verstorbenen Frau Anni.
Sein wichtigstes Werk dieser späten Jahre war die großangelegte Monografie „Peter der Große als Militärreformer und Feldherr“, die 2010 erschien. Hoffmann schilderte Peters Wirken als Militärreformer wie auch als Truppenkommandeur und Feldherr. Mit den Petrinischen Reformen setzte sich, so Hoffmann, die Trennung von Militär und ziviler Gesellschaft in Russland durch. Mit dem fast gleichzeitigen Tod der beiden Hallenser Historiker Erich Donnert und Günter Mühlpfordt 2016–17 wurde Hoffmann zum ältesten deutschen, wissenschaftlich aktiven Russland-Historiker.
Aus Anlass von Peter Hoffmanns 90. Geburtstag erschienen die „Studien zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte sowie zu den deutsch-russischen Beziehungen des 18. und 19. Jahrhunderts.“ Diese Sammlung seiner Aufsätze, die seine früheren Akademie-Kollegen Lothar Kölm und Peter Schippan herausgaben, trug den Charakter einer Festschrift. Darin finden sich auch Arbeiten zur Geschichte des Buchwesens; Peter Hoffmann ist seit 1986 Mitglied der bibliophilen Pirckheimer-Gesellschaft. Andere Fähigkeiten, so als Maurer, zeigte der handwerklich überaus geschickte Historiker beim Hausbau in Nassenheide nordöstlich von Berlin.
In seiner Autobiografie, die 2018 in zweiter, erweiterter Fassung erschien, hebt Hoffmann hervor, dass die Jahrzehnte der DDR in seinem langen Leben die Zeit waren, die ihn – und die Generation des Neuanfangs 1945 – unwiederbringlich am tiefsten prägte: „Vierzig Jahre DDR haben uns, das ist meine Überzeugung, trotz aller Unzulänglichkeiten auch einen Blick in eine erstrebenswerte Zukunft vermittelt; dass es nicht die von uns häufig idealisierte Gegenwart und noch weniger der direkte Weg in diese Zukunft geworden ist, wie wir seiner Zeit gehofft hatten, gehört zu den unvermeidlichen Irrtümern, denen letztlich jede Generation in dieser oder jener Weise unterliegen muss.“ Dabei geht er mit eigenen Illusionen und Irrtümern sehr selbstkritisch um. Doch wurde Peter Hoffmann in der DDR, wie er schreibt, „die Möglichkeit geboten, über Jahrzehnte Erfahrungen und Wissen zu akkumulieren, die dann, bereits nach dem Ende der DDR, eine recht erfolgreiche Ernte und Nachlese ermöglichten.“
Peter Hoffmann: In der hinteren Reihe. Aus dem Leben eines Osteuropa-Historikers in der DDR und danach, 2. Auflage, Berlin: Nora-Verlagsgemeinschaft, 2018, 465 Seiten, 23,50 Euro.
Schlagwörter: Historiker, Mario Keßler, Osteuropa, Peter Hoffmann, Russland