27. Jahrgang | Nummer 23 | 4. November 2024

Im Bann der Worte

von Joachim Lange

Der Herbst ist die Zeit fürs Impfen, um den Körper gegen Viren zu wappnen. Für die Sprache im Allgemeinen und die Nutzer des Deutschen im Besonderen liefert das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt einmal im Jahr eine Impfung gegen all die Sternchen- und Genderinfekte, die die Sprache seit einigen Jahren befallen haben und ihre Nutzer in unterschiedliche Lager verweisen. Die einen halten diese Art von Bevormundung für den Bestandteil eines emanzipatorischen Erziehungsprojekts. Die anderen (sollte man sagen: die Mehrheit?) nervt es. Als ob die Anglifizierung nicht schon genug Wortwindbruch im deutschen Sprachwald angerichtet hätte. Der Beifall, den Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff bekam, als er sich wieder auf die Seite der deutschen Sprache stellte und auch dagegen wandte, Goethes „Faust“ etwa aus dem Kanon des Literaturunterrichtes hinaus zu komplimentieren, sprach für sich. (Schade nur, dass das gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, an dem auch sein Land beteiligt ist, nicht auf Gegenliebe trifft, sondern man sich da im Gendereifer gegenseitig überbietet.)

Die Anhänger der Sprache Goethes, Schillers, Thomas Manns, Christa Wolfs und anderer dürften in Bad Lauchstädt so gut wie unter sich sein, wenn Sopranlegende Edda Moser zu ihrem „Festspiel der deutschen Sprache“ ins Goethe-Theater lädt, um ohne Sternchen, Binnen-I und ähnliche Varianten von Wortverstümmelungen dem Klang der Sprache und ihrem Nachhall zu lauschen.

Es ist schon das 18. Festspiel, seit Edda Moser dem Rat des Hallensers Hans-Dietrich-Genscher folgte und mit ihrem famosen Sprachpflege-Herzensanliegen nach Bad-Lauchstädt übersiedelte. Im Kulturkalender Sachsen-Anhalts ist das ein Termin wie die Eröffnung der Bayreuther Festspiele für Bayern. Und er macht Freude! Denn wenn Edda Moser ruft, dann kommen eben auch die Mimen, die man braucht, um die alten Texte in aller Frische leuchten zu lassen. Manchmal wirken sie sogar überraschend heutig. So wie jetzt Gotthold Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“ aus dem Jahre 1767.

Lessing lieferte mit des weisen Nathans Ringparabel nicht nur den sozusagen harten Kern eines aufklärerischen Toleranzbegriffs, der zu unserem Selbstverständnis gehört (oder gehören sollte). Bei Lessing gibt es das Spiel mit den Ringen auch eine Nummer kleiner, als Komödie. Minna nutzt den Verlobungsring, den der in die Bredouille geratene Major von Tellheim versetzt hat, geschickt als Mittel, um als Frau dem Mann eine Lektion zu erteilen, die sich gewaschen hat. Von seinem Ehrbegriff, der wohl auch nur eine Form von Standesdünkel ist, bleibt am Ende nicht viel übrig. Oder eben doch. Er hielt sich selbst ihrer nicht für würdig, weil seine materielle Lage, der körperliche Zustand und seine gesellschaftliche Reputation nicht seinen, das heißt den vorherrschenden Vorstellungen entsprach. Für sie ist das nicht wichtig, sie sieht den Menschen und bringt ihn in seinem Gedöns von Ehre zur Räson, indem sie ihm vorgaukelt, selbst in Bedrängnis zu sein, um seinen Beschützerinstinkt zu aktivieren. Das Spiel, das sie mit ihm treibt, ist geradezu das Muster einer Komödie, in der der falsche Schein zum rechten Ergebnis führt.

Dass bei alledem in der (wort-)konzertanten Variante, als Lesung ohne jeden Überschreibungs-, Verbiegungs- oder Aktualisierungsfirlefanz, nicht nur der Wortwitz auf den Wellen der Sprachmelodie aufblitzt, sondern die leichtfüßige Geschichte (vor dem durchaus tragisch-kriegerischen Hintergrund der Zeit) auch berührt, liegt daran, dass das Wichtigste für so ein Unterfangen auf der Bühne versammelt war: ein Ensemble von handverlesenen und wie maßgeschneidert passenden Mimen. Und zwar von solchen, die man obendrein aus anderen (vor allem TV-) Zusammenhängen kennt und hier mit ihrer Bühnenpräsenz bewundern kann.

Wenn man nicht schon (spätestens seit ihrer Tanzschulchefin in der Ku’damm Saga) Fan von Claudia Michelsen ist, dann jetzt nach dieser Minna. Geradezu jugendlich frisch, hinreißend selbstbewusst, kriegt sie am Ende was sie will: ihren Tellheim. Auch Harald Schrott ist so ein Schauspieler mit Bildschirmdauerpräsenz – auf der Bühne ist er ein wunderbarer an sich selbst fast verzweifelnder Tellheim. Da in dieser Komödie der König sogar in einem Handschreiben alles ins rechte Lot bringt, kann man sich gut vorstellen, dass das Ehepaar Tellheim-Barnhelm auf ihren Gütern wohl ziemlich vorbildliche Herrschaften abgeben würden. Zu grandioser Treuer-Diener-Hochform läuft Marek Harloff als Tellheims Diener Just auf. Ebenso Karolina Lodyga als Minnas schnippisch lebenskluges Mädchen Franziska. Anrührend, wie sie mit dem Wachtmeister Werner flirtet und wie Hans-Martin Stier sie schüchtern immer wieder Frauenzimmerchen nennt. Eine Klasse für sich ist Dietmar Bär (Ballaufs Langzeit-Kommissarskollege) als Wirt. Urkomödiantisch, schlitzohrig, wunderbar. Lauchstädt-Stammgast Bernt Hahn schließlich schwatzt – zungenbrecherisch zwischen dem Französischen und dem Deutschen lavierend – als Spieler Riccault de la Marliniere Minna ein hübsches Sümmchen ab.

Julia von Sell (Regie) und Ilsedore Reinsberg (Dramaturgie und Lesefassung) haben dafür gesorgt, dass sich Lessing in Goethes Theater so wohl fühlte wie die sieben exzellenten Schauspieler mit seinem Text. Und das begeisterte Publikum mit allem.