Thema des Tages war am 16. Juli das Verbot des rechtsgerichteten Magazins Compact. Der Chefredakteur und Eigentümer Jürgen Elsässer war frühmorgens um 6 Uhr aus dem Bett geklingelt worden. Noch im Morgenmantel musste er einen schwarzgekleideten, vermummten Sturmtrupp der Polizei ins Haus lassen, in dem sich die Büroräume und seine Privatwohnung befinden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte das Verbot des Magazins und der dazugehörigen GmbH einen „harten Schlag gegen die rechtsextremistische Szene“. Es gehe gegen „geistige Brandstifter“, Compact hetze „auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie“. Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident und stellvertretender Vorsitzender der FDP, bezweifelte die Rechtmäßigkeit dieses Verbots. Sollte dieses vor Gericht scheitern, sei „ein Rücktritt der Innenministerin unvermeidlich“.
An jenem frühen Morgen standen jedoch nicht nur die Polizisten vor Elsässers Tür, sondern auch Pressefotografen und Journalisten. Es waren offenbar einige Medien vorab informiert worden. So dass die Bilder von Elsässer im Morgenmantel und mit zerzaustem Haar zeitnah in den Medien waren. Jürgen Fliege, vielen noch bekannt als Talkmaster im Fernsehen, ist gelernter Pfarrer. Er nannte dies „Bilder inszenierter Schamlosigkeit“, das Gegenteil dessen, das die Mütter und Väter des Grundgesetzes meinten, als sie die Menschenwürde ganz oben in die Verfassung schrieben. Auch die TAZ, rechter Umtriebe und Sympathie für Compact gewiss unverdächtig, nannte dies „Antifaschismus als Spektakel“. Die Zeitung erinnerte daran, dass bereits am frühen Morgen des 7. Dezember 2022, als der Reichsbürger Heinrich XIII. Prinz Reuß von Spezialkräften der Polizei abgeführt wurde, weil er einen Staatsstreich geplant haben sollte, ebenfalls Fernsehteams, Fotografen und Journalisten vor seiner Tür gewartet hatten. So werde, weiter die TAZ, „Innenpolitik zur bloßen Inszenierung“.
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 14. August 2024 das Verbot von Compact in einer vorläufigen Entscheidung aufgehoben, unter Bezugnahme auf Artikel 5 des Grundgesetzes, das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit. Die Rheinische Post merkte dazu an, dass „die Gesinnung der Macher einer Zeitschrift“ keine rechtlichen Konsequenzen habe. „Solange sich die Rechtsextremen in Wort und Bild nicht klar gegen unsere demokratische Ordnung aussprechen oder volksverhetzende und antisemitische Inhalte teilen, sind auch sie durch die Meinungsfreiheit geschützt.“ Der Staat dürfe „nicht darüber richten, welche Aussagen wahr und welche Aussagen falsch sind. Das muss er dem mündigen Bürger und der mündigen Bürgerin überlassen.“
Dies jedoch scheint seit einiger Zeit das Bestreben der derzeitigen Bundesregierung und ihrer nachgeordneten Dienststellen zu sein. Thomas Haldenwang, derzeit Chef des Verfassungsschutzes, meinte: „Wir dürfen nicht den Fehler machen, im Rechtsextremismus nur auf Gewaltbereitschaft zu achten, denn es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen.“ Dazu wiederum erklärte er: „Nach den Gesetzen hängt verfassungsschutzrechtliche Relevanz von Äußerungen als tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz eröffnen, nicht davon ab, ob diese strafbar oder illegal sind.“ Das heißt, die Einordnung einer Organisation als „erwiesen rechtsextremistisch“, kann sich ausschließlich auf „Anhaltspunkte“ beziehen, die weder strafbar sind noch illegal. Das ist ein sehr eigenartiges Rechtsstaatsverständnis. Grünen-Ministerin Lisa Paus, die mit dem sogenannten Demokratiefördergesetz auch Meldezentralen für Blockwarte finanziert, sagte dazu: „Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze vorkommt.“ Mit anderen Worten, der Blockwart oder der Diensthabende im Meldezentrum entscheidet, was als Anzeige entgegenzunehmen ist.
Nun hatten sich auch etliche Linke gefreut, weil dies sich „gegen rechts“ richtet. Inzwischen hatte allerdings die Tageszeitung Junge Welt dagegen geklagt, in Verfassungsschutzberichten genannt zu werden, das sei ein Eingriff in die Pressefreiheit und wirke geschäftsschädigend. Der Verfassungsschutz hatte befunden, die Zeitung strebe die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung an, nehme positiv Bezug auf Lenin und sei der „ehemaligen DDR“ sehr verbunden. Deshalb erscheine sie unter der Rubrik „Linksextremismus“. Zudem seien einzelne Redakteure und Autoren der „als linksextrem geltenden DKP“ zugehörig. Das Berliner Verwaltungsgericht lehnte die Klage ab, die Beschreibung sei zutreffend, die Zeitung müsse die Nennung in den Verfassungsschutzberichten hinnehmen. Wolfgang Kubicki kritisierte das, mündige Bürger bräuchten keine exekutive Interpretation, um öffentlich zugängliche Texte zu interpretieren, das „passt nicht in einen freiheitlichen Rechtsstaat“.
Inzwischen wurden die erlaubten Debattenräume weiter verkleinert und durch zusätzliche Tatbestände erweitert. Fedor Badenberg, die beim Verfassungsschutz in leitender Position gearbeitet hatte, derzeit auf einem CDU-Ticket Justizsenatorin in Berlin ist und als mögliche Nachfolgerin von Haldenwang gehandelt wird, sagte dazu, heute sei „nicht mehr nur das Abgreifen von Informationen, sondern auch das Einbringen von Desinformationen und Propaganda gefährlich. Die Sabotage des Meinungsbildungsprozesses muss unter Strafe gestellt werden.“ Dazu wurden beim Verfassungsschutz absichtsvoll verschwiemelte Begriffe neu erfunden, „Sabotage der Meinungsbildung“ ist nur einer davon. Andere sind „Coronaleugner“, „Putinversteher“, „Palästinasolidarität“, „Verächter der Demokratie“, „verfassungsfeindliche Delegitimierung des Staates“, „Desinformation“.
Nachdem das Feld rechts und links abgesteckt war, ging der Inlandsgeheimdienst daran, sich die Mitte vorzuknöpfen. Nun gibt es die Behörde als Bundesamt und in Gestalt von 16 Landesämtern. Hier kann man natürlich arbeitsteilig vorgehen und zunächst einen Versuchsballon starten. Die Berliner Zeitung machte am 11. September 2024 öffentlich, dass sie – zusammen mit der Wochenzeitung Der Freitag und anderen – im Jahresbericht 2023 des Bayerischen Verfassungsschutzes aufgeführt wurde, als „potenzielles russisches Propagandawerkzeug“, sie verbreite Nachrichten, die „anscheinend grundsätzlich ins russische Narrativ passen“. Die „Kontaktschuld“, dass Mitteilungen von jemandem genutzt werden, gilt hier auch wieder als verdächtig. Die Chefredaktion der Berliner Zeitung nannte dies „rufschädigende Unterstellungen“, die der medialen Konkurrenz dazu dienen könnten, die Zeitung anzugreifen und ihre Mitarbeiter zu diskreditieren. Weshalb ausgerechnet der Verfassungsschutz Bayern für die Beobachtung von in Berlin ansässigen Zeitungen zuständig sein soll, gehört wohl zu den Interna der Behörde.
Die Beschwerde der Berliner Zeitung blieb zunächst nicht folgenlos. Der Bayerische Verfassungsschutz ruderte zurück. Er entschuldigte sich natürlich nicht, sondern erklärte, es sei „in der öffentlichen Rezeption“ seiner Publikation „teilweise zu inhaltlichen Missverständnissen“ gekommen. Der Bericht werde überarbeitet und schnellstmöglich auf der Webseite des Amtes online gestellt. Das könnte man als Erfolg ansehen. Es wird jedoch nicht der letzte Versuch gewesen sein, die Beschuldigungen wegen missliebiger Meinungsäußerungen über die üblichen Verdächtigen rechts und links hinaus weiter auszudehnen.
Am Ende stellt sich die Frage, wer sind die wirklichen Verfassungsfeinde? Diejenigen, über die in den Berichten geschrieben wird, oder diejenigen, die sie schreiben? Nancy Faeser ist jedenfalls dem Hinweis von Wolfgang Kubicki nicht gefolgt und bisher nicht zurückgetreten.
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