27. Jahrgang | Nummer 16 | 29. Juli 2024

Antworten

Rolf Henrich, Rechtsanwalt und Autor – Ihr im April 1989 erschienenes Buch „Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus“ brachte Sie in Konflikt mit dem SED-Regime. Sie wurden aus dem Anwaltskollegium und der SED ausgeschlossen, erhielten Berufsverbot.

In einem aktuellen Interview mit der Frage konfrontiert, ob nicht Veranlassung bestände, dem Titel „Der vormundschaftliche Staat“ einen aktuellen Nachfolger beizugesellen, antworteten Sie: „Ein Buch über den vormundschaftlichen Staat schreibt man nur einmal. Aber Ihre Frage ist insofern berechtigt, als einem das Verhalten der politischen Klasse immer mehr auf die Nerven geht. In seinem jüngsten Sommerinterview mit dem ZDF hat Friedrich Merz gesagt: ‚Es ist eine Frage, ob wir den Osten nach 35 Jahren Mauerfall gut genug integriert bekommen.‘ Da frage ich mich als gebürtiger Deutscher, ob ich hier integriert werden soll, wie jemand, der aus Uganda kommt? Solche Äußerungen müssen doch bei jedem, der hier geboren ist, eine Aversion auslösen!“

Nur eine solche?
Oder nicht auch massenweise Kreuze für die AfD auf Wahlzetteln?

 

Emanuel Todd, prominenter französischer Historiker und Anthropologe – Sie haben Aufsehen erregt, als Sie vor ein paar Monaten sagten, dass Kiew den Ukraine-Krieg bereits verloren habe. Eine deutsche Tageszeitung meinte, deswegen können man „Ihnen eine Nähe zu Putin vorwerfen“. Das wiesen Sie zurück: „Wenn ich sage, die Ukraine hat den Krieg schon verloren, dann spreche ich nur aus, was das Pentagon oder der französische Generalstab denken.“ Auch zur Perspektive dieses Krieges vertreten Sie eine Auffassung, die mindestens quer zum westlichen Mainstream in Politik und Medien liegt: „Jeder im Westen weiß, dass Russland weder den Willen noch die Mittel hat, in Europa einzumarschieren. Das Letzte, was die Russen wollen, ist, wieder Polen verwalten zu müssen. Die Europäer könnten also einen Frieden in der Ukraine akzeptieren, das wäre in ihrem Interesse. Aber für die Amerikaner wäre das katastrophal. Würden die Russen ihre Ziele in der Ukraine erreichen, wäre Amerika in den Augen der Welt von einer ebenbürtigen Macht besiegt worden.“

Das könnte man, weiß Gott, eine ausweglose Sackgasse nennen, denn Russland verweigert sich ja ebenfalls einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Da ist es bis zum ganz großen Knall wohl nur noch eine Frage der Zeit …

 

Angela Merkel, Altbundeskanzlerin – Das Attribut ist nicht despektierlich gemeint. Sie feierten ja gerade ihren 70. Geburtstag. Schnörkellos und verstandesmäßig gingen Sie im Alter von 67 Jahren in den Ruhestand, im aktuellen Rentenalter sozusagen. Allein dies zeichnet Sie gegenüber so manchen senilen Herren aus. Der zu Ihrem Geburtstag noch aktuelle Zweikampf um die Präsidentschaft überm großen Teich sprach Bände, ein Hahnenkampf zwischen einem 81-Jährigen, der glaubte, die Welt zu regieren, und einem 78-jährigen Herausforderer, der glaubt, es bald von Gottes Gnaden zu können. Manch einer apostrophierte Sie als mächtigste Frau der Welt. Sie sind klug genug, auf solchen Unsinn freiwillig zu verzichten. Genießen Sie Ihren Ruhestand. Sie schaffen das!

 

James David Vance, Nominierter zum Running Mate von Donald Trump – Sie werden gerade vierzig Jahre alt, sind also an der Seite Ihres Herrn ein regelrechter Jungspund und ganz anders, wenn nicht gar gegenteilig, als dieser sozialisiert. Sie galten als Stimme des Rust Belt. Dann konvertierten Sie vom protestantischen Glauben zum katholischen, und sie konvertierten vom Trump-Kritiker („Opioid der Massen“) zu dessem Adepten („großartiger Präsident“). Jetzt wollen Sie bald als Vizepräsident zeigen, was Sie können. Konvertiten zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie „im Glauben fester“ und unbarmherziger sind als alle anderen. Wurden Sie deshalb erwählt?

 

Elon Reeve Musk, Autodidakt, Manager und Multimilliardär – Ihre ingenieurtechnischen Visionen und Umsetzungen nötigen uns allen Respekt ab. Ihre Wutausbrüche, Aggressionen und Launen lassen uns zweifeln. Ihre gewerkschaftsfeindlichen und antilinken politischen Bestrebungen missbilligen wir. Jetzt hört man sogar, sie wollten ab Juli dieses Jahres 45 Millionen Dollar für den Wahlkampf von Donald Trump spenden. Nein, nochmal hingeschaut, nicht einmalig, sondern monatlich bis zur Wahl. Griff in die Portokasse?

 

Matthias Schülke, Blättchenleser – Sie schreiben uns, „in zwei Beiträgen wurde im Blättchen wegen des diesjährigen [Caspar-David-, d. Red.] Friedrich-Jubiläums die Dresdener Ausstellung von 1974 erwähnt. Noch heute ist das für mich eine beglückendes Erlebnis gewesen. Zeitgleich fand damals im Dresdner Albertinum eine Ausstellung mit Bildern von Wolfgang Mattheuer statt. Das fand ich eine glückliche Symbiose, denn beiden Malern ging es nicht nur um die ‚schönen‘ Bilder.“

Manche Erinnerungen verblassen auch nach 50 Jahren nicht, da sind wir bei Ihnen. Wir wünschten uns, Sie vermutlich auch, wieder eine Mattheuer-Ausstellung zu besuchen, vielleicht im Leipziger Museum der Bildenden Künste zum einhundertsten Geburtstag des Künstlers im Jahr 2027? Das nur als Anregung an Mattheuers Leipzig.

 

Faustino Oro, schachspielendes Wunderkind – Internationale Schachmeister sind auch nicht mehr das, was sie mal waren – erwachsene Männer. Sie erfüllten jetzt mit zehn Jahren, acht Monaten und sechzehn Tagen als jüngster Mensch die Norm als internationaler FIDE-Meister. Der internationale Schachverband wurde gerade 100 Jahre alt. Sie spielen erst seit vier Jahren, online beginnend, das königliche Spiel. In Buenos Aires aufgewachsen, wurden Sie (oder doch Du?) als „Messi des Schachs“ bezeichnet, wie das Journalisten mitunter einfallslos tun. Nur der eine Stern geht gerade unter und der andere auf. Sie haben ein außergewöhnliches, riesiges Talent für das komplexe Brettspiel und bereits im vergangenen März Schach-Superstar Magnus Carlsen in einer sogenannten Bullet-Partie, einem Spiel mit äußerst wenig Bedenkzeit, geschlagen. Wir ziehen ehrfurchtsvoll als alte und blutige Amateure den Hut.

 

Jens Weissflog, legendärer Floh vom FichtelbergSie haben weltweit alle wichtigen Wettbewerbe im Skisprung gewonnen, vier Mal die Vierschanzentournee und als einziger Sportler das olympische Gold sowohl im Parallel-Stil als auch im V-Stil noch dazu für zwei Staaten. Geblieben sind Sie ein Weltsportler ohne Starallüren. Als Senior trifft man Sie noch immer auf Skiern unterwegs, allerdings nun mit Langlaufski. So begegneten wir Ihnen zufällig vor wenigen Jahren auf Ihrer „Hausstrecke“ zwischen Oberwiesenthal und Boží Dar (Gottesgrab). Dort führt ein grenzüberschreitender Rundweg, genannt Jens-Weissflog-Tour, über den Kamm des Erzgebirges. Einem netten Schwätzchen mit Tips unter „Freizeitsportlern“ waren Sie nicht abgeneigt. Wir gratulieren und ziehen erneut den Hut, dieses Mal zum 60. Geburtstag.