27. Jahrgang | Nummer 13 | 17. Juni 2024

Doktor Siemerlings Putbus

von Dieter Naumann

Der 1789 in Aurich geborene und 1837 in Stralsund verstorbene Heinrich Carl Theodor Friedrich Siemerling war Arzt und Schriftsteller. Als Doktor der Medizin und Chirurgie publizierte er unter anderem zur Cholera („Sendschreiben an Deutschland´s Aerzte über die Cholera“, Stralsund 1831). Vater Christian Friedrich war Arzt, Vorsteher eines Hebammeninstituts und Apotheker, Mutter Charlotte Dorothea war die Tochter des Königlich preußischen Artilleriemajors Hiccius, Friedrich war der Erstgeborene von fünf Kindern des Paares.

1832 veröffentlichte Siemerling in der Löfflerschen Buchhandlung Stralsund seine „Andeutungen über das Friedrich-Wilhelms-Seebad bei Putbus auf der Insel Rügen“. Damit wolle er einem Besucher von Putbus „einige Blätter zu seiner Zurechtweisung“ vorlegen, um ihn zu ermutigen, die positiven Wirkungen des Seebades an sich selbst wahrzunehmen.

An den Anfang stellt Siemerling Betrachtungen über Wirkungen und Anwendungsart eines Seebades mit den damals üblichen Empfehlungen, bei welchen Krankheiten das Seebad zur Linderung oder Heilung beitragen könne. Dabei verweist er unter anderem auf chronische Nervenkrankheiten (zum Beispiel „Veitstanz“, Epilepsie), „Gemüthskrankheiten“ und „Krankheiten von Geschlechtsausschweifungen“. Auch dem, der „bei schlaffer Faser sehr zum Fettwerden geneigt“ sei, wird das Seebad zu Linderung empfohlen.

Allerdings würden Wirkungen nur beim Baden in der offenen See eintreten, also im Ostseewasser, von dem drei Pfund laut Siemerling 263 Gran Natron oder Kochsalz, 111 Gran salzsaure Bittererde, 12 Gran schwefelsaures Natron, 2 Gran schwefelsaure Talkerde und 1 Gran Extraktivstoff enthielten (ein Gran entsprach etwa 62 Milligramm).

Die beste Freibadezeit sei morgens nüchtern oder nach leichtem Frühstück, zu empfehlen sei, völlig entkleidet zu baden, da selbst Badehemden und dergleichen nicht nur die Wirkung des Seebades hindern, sondern sogar oft schädlich wirkten. Siemerling zitiert einen Dr. Kind, der nicht einmal den Gebrauch einer „wachstaffetnen Badekappe“, die Damen gern zum Schutz der Haare trügen, für zweckmäßig hielt: Die Furcht vor Kopfweh nach dem Bade sei unbegründet, die nassen Haare würden, mit groben Handtüchern und Löschpapier abgerieben und lang ausgekämmt, bald an der Luft trocknen. Ein Ausgehen oder Grauwerden des Haares sei nicht zu befürchten, Glanz und Geschmeidigkeit ließen zwar etwas nach, könnten aber mit guter Pomade und Haaröl wiederhergestellt werden.

Die Dauer des Bades könne bei schwächlichen Personen vier bis sechs Minuten, bei Gesunden eine Viertel- oder gar halbe Stunde ohne negative Folgen betragen, die Anzahl der Bäder sollte nicht unter 30 liegen. Dafür wären in der Regel fünf Wochen Kuraufenthalt zu planen. Nach dem Seebad solle man sich sorgfältig abtrocknen, eine Kopfbedeckung aufsetzen und mittels Wärmflasche angewärmte Kleidung anziehen.

Kranken Badegästen werden sogar Kuren von bis zu sieben Wochen Dauer empfohlen. Je nach Krankheit müssten der Badekur oft noch Trinkkuren mit 18 bis 20 Krügen Eger-, Maria-, Kreuz-, künstlichem Carlsbader und anderen Brunnen vorausgehen. Bei derartigen Kuren solle man zwischen sechs und acht Uhr den Brunnen und danach ein leichtes Frühstück zu sich nehmen. Beim Trinken solle man sich „gelinde Bewegung“ an der frischen Luft, bei ungeeigneter Witterung in einem geräumigen Zimmer machen. Wer an Kaffee gewöhnt sei, könne zuvor ein paar Tassen starken Kaffees trinken, besser noch eine gute, in Wasser gekochte Schokolade. In jedem Falle sei vor dem warmen oder dem Seebad der Rat des zuständigen Badearztes – zu Siemerlings Zeiten der Fürstliche Badearzt Dr. Benedix – einzuholen.

Zur Ergänzung der Putbusser Bademöglichkeiten im Warmbadehaus oder vom Badekarren, Badezelt oder – ganz im Freien – von den Schilderhäuschen ähnlichen „Gemächern“ aus habe der Fürst unweit von Ahlbeck (Binz) „alle Anstalten zu Seebädern mit Brücken, Karren, Wäsche und Bedienung getroffen“.

Da Brunnen- und Badegäste gemeinhin einen sich früher regenden und stärkeren Appetit hätten, sollten sie mittags und abends nicht zu spät, mittags um zwölf, abends um sieben, zu Tisch gehen. Man wähle leichte Speisen und meide schwer zu verdauende, blähende, fette, stark gewürzte, geräucherte und eingesalzene Speisen ebenso wie Mehlspeisen und Backwerk.

1837 veröffentlichte Siemerling in der Hallberger´schen Verlagsbuchhandlung Stuttgart unter dem Pseudonym Homogalakto (wohl „Milchbruder“) seine nicht unumstrittenen „Reminiscenzen für Semilasso“. Semilasso, „der Verstorbene“, war das Pseudonym von Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau. Im Jahrgang 1837 des „Repertorium der gesammten deutschen Literatur“, bei F. A. Brockhaus in Leipzig herausgegeben, wurden die Reminiszenzen völlig verrissen. Die Unverschämtheit, „mit solchen Erbärmlichkeiten unter so prätentiösem Titel aufzutreten“, lasse sich kaum erklären. In den Blättern für literarische Unterhaltung, Jahrgang 1837, ebenfalls bei Brockhaus erschienen, war von „schalem Zeug“ die Rede. In anderen Rezensionen bestanden augenscheinlich Unklarheiten über die Hintergründe der verwendeten Pseudonyme. So wurde im 1856 bei Falcke & Rössler in Leipzig erschienenen „Index Pseudonymorum. Wörterbuch der Pseudonyme […]“ von E. Weller „Homogalakto“ erstaunlicherweise unter den „nichtenthüllten Pseudonymen“ geführt. In einigen Quellen wurde fälschlicherweise vermutet, Fürst Pückler-Muskau selbst habe die Reminiszenzen veröffentlicht.

Siemerling beschreibt darin unter anderem einen Besuch in Putbus, wo er sich mehrere Tage bei Hofrat Engelbrecht aufhielt: Auf der Fahrt zum Badehaus passiere man eines der schönsten und anziehendsten Landschaftsgemälde, unter anderem bestehend aus dem Blick auf die Insel Vilm, die Buchenwälder der Granitz, die holzbewachsene Goor, die Gebäude und die mit hohem Kostenaufwand erbaute Brücke von Lauterbach, die im Feld verstreuten Hünengräber und die alte bemooste, im Dunkeln liegende Kirche von Vilmnitz. Das Badehaus an der Goor enthalte zehn Badezimmer, zum Teil elegant gestaltet mit Sofas, großen Spiegeln, Tür- und Fenstervorhängen, Toiletten, Fußbecken und dergleichen. Seit Errichtung der Badeanstalt habe sich Putbus bedeutend vergrößert und böte nun einen imposanten Anblick. Außer dem fürstlichen Schloss zähle Putbus bereits 60 Gebäude, von denen sich ein Teil an der großen Allee des Parks, am geräumigen Marktplatz mit dem gusseisernen Kandelaber und am Circus, „der in kurzer Zeit mit imposanten Werken moderner Baukunst ausgefüllt seyn wird“, befände. Es fehle auch nicht an Hotels, von denen das größte 60 Zimmer „darbiete“ (gemeint ist der spätere „Fürstenhof“).

Im Park verweist Siemerling auf den Salon von 100 Fuß Länge, verhältnismäßiger Breite und 40 Fuß Höhe. Der in der Nähe befindliche Pavillon, 1889 abgerissen, beherberge die Hallen eines Modehändlers, eine Konditorei, die auch die bekanntesten Journale, Tageblätter und anderen Zeitungen anbiete, ein Musikzimmer für kleinere Zirkel und einen Spielsaal. Das nach Meinung Siemerlings in seinen äußeren zierlichen architektonischen Formen sehr gefällige Schauspielhaus hätten selbst Berliner Baukünstler als sehr gelungen erkannt. Die innere Einrichtung sei schön, bequem und geräumig genug, um etwa 500 Zuschauer fassen zu können.

Das fürstliche Schloss halte nach seinem wohl 50.000 Reichstaler kostenden Umbau mit seinem imposanten Portal, den grandiosen Säulen, seinen schwebenden Orangengärten, seiner neuen Kapelle, der in ihrer Art einmaligen Prachttreppe, „an vergoldeten Ketten hängend“, den Blick gefangen. Das gälte auch für die mit der größten Eleganz geschmückten, teilweise in Seide möblierten Zimmer, die meisterhaft parkettierten Fußböden und die kolossalen Spiegel von seltener Größe. Noch höheren Genuss böten jedoch die vielen Kunstschätze und Seltenheiten, wie etwa die Bildergalerie mit einer Kopie von Raphael, Originalen von Rubens und anderen Meistern, zum Beispiel Philipp Hackert und Caspar David Friedrich, Statuen von Thorwaldsen, herrlichen Kupferstichen italienischer Meister, einigen Gefäße aus Neapel, die „größtentheils in Gegenwart des Fürsten zu Putbus in Herkulanum und Pompeji ausgegraben“ wurden, und vielen anderen interessanten Gegenständen. Abschließend empfiehlt Siemerling eine kaum zwei Stunden dauernde Fahrt von Putbus durch die Granitz zum Jagdschloss des Fürsten. „Den dabei nahe gelegenen Fürsten- oder Tempelberg kann man der wunderlieblichen Aussicht wegen nicht oft genug besteigen.“