Die Sparquote gehört zu den bekanntesten und aussagefähigsten ökonomischen Indikatoren. Sie weist den Anteil am verfügbaren Einkommen aus, der innerhalb eines Jahres nicht ausgegeben, sondern gespart wird. Diese Größe lässt sich sowohl für die Gesamtwirtschaft als auch für private Haushalte ermitteln. Bezogen auf die Privathaushalte gibt sie an, wieviel vom verfügbaren Einkommen nicht konsumiert, sondern gespart wird. Im Jahr 2023 waren dies in Deutschland 11,4 Prozent oder 268,2 Milliarden Euro. Verglichen mit den Vorjahren, als bedingt durch die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung die Ersparnis extrem hoch war (2020 betrug die Sparquote 16,5 Prozent, 2021 noch 14,9 Prozent), bedeutet dies eine Rückkehr zur Normalität, denn auch vor 2020 lag die Sparquote zumeist zwischen zehn und elf Prozent. Im internationalen Vergleich ist das ein hoher Wert, der nur in wenigen Staaten übertroffen wird, so von der Schweiz, von Luxemburg und den Niederlanden. Viele Staaten, zum Beispiel Italien, Griechenland, die USA, Polen, Ungarn und Frankreich, weisen signifikant geringere Sparquoten auf.
Bei den statistischen Angaben handelt es sich um Durchschnittsgrößen. Berücksichtigt man, dass rund die Hälfte der Bevölkerung kaum oder nur ganz minimal etwas von ihrem Einkommen spart, das oberste Fünftel der Einkommensbezieher dagegen locker 30 Prozent, so wird deutlich, dass die Sparneigung maßgeblich von der Einkommenshöhe bestimmt wird. Hinzu kommt, dass sich die Einkommensbezieher am unteren Ende der Skala nicht selten verschulden, um über die Runden zu kommen. Ihre Sparneigung ist also negativ, wodurch die sich an Durchschnittsgrößen orientierende Statistik verzerrt wird.
Mit dem Phänomen des Sparens haben sich etliche Theoretiker beschäftigt, unter anderem der britische Ökonom John Maynard Keynes. Er führt acht Beweggründe dafür an, warum sich Menschen veranlasst sehen könnten, sich „der Ausgabe ihrer Einkommen zu enthalten“: Erstens, „um eine Rücklage gegen unvorhergesehene Ausgaben aufzubauen“. Zweitens, „um Vorsorge zu treffen“, zum Beispiel für das Alter oder in Bezug auf Kinder. Drittens, „um Zinsen und Wertzuwachs zu genießen“, was unterstellt, dass „ein größerer Realverbrauch an einem späteren Zeitpunkt einem sofortigen kleineren Verbrauch vorgezogen wird“. Viertens, um mit zunehmendem Lebensalter „eine allmählich zunehmende Ausgabe zu genießen […], obschon die Fähigkeit, zu genießen, abnehmen mag“. Fünftens, „um ein Gefühl der Unabhängigkeit und die Macht, Dinge tun zu können, zu genießen, obschon ohne klare Vorstellung oder deutliche Absicht einer bestimmten Handlung“. Sechstens, „um ein einsatzbereites Kapital zur Ausführung spekulativer oder geschäftlicher Pläne sicherzustellen“. Siebentens, nicht ohne Ironie, „um ein Vermögen hinterlassen zu können“, und achtens, „um bloßen Geiz zu befriedigen, das heißt aus unverständigem, aber beharrlichem Zurückschrecken vor der Ausgabe als solcher“.
In dieser beinahe erschöpfenden Aufzählung erscheint das Sparen nicht unbedingt als Ziel privater Einkommensdisposition, sondern eher als ein residualer Prozess, dessen Motive die „Beweggründe der Vorsicht, Voraussicht, Berechnung, Verbesserung, Unabhängigkeit, Unternehmungslust, des Stolzes und des Geizes“ sind. Zieht man hiervon diejenigen ab, die auf den Konsum gerichtet sind, auf dessen Sicherung in der Zeit, seine Vergrößerung oder Steigerung, so bleiben vier Motive übrig, um die Ausgabenenthaltung zu begründen. Zwei davon sind sozialer oder ökonomischer Natur, die Gewinnung von „Unabhängigkeit und Macht“ sowie die „Ausführung spekulativer oder geschäftlicher Pläne“. Die beiden anderen aber sind eher psychologisch bestimmt: Man spart „um ein Vermögen hinterlassen zu können“ oder „aus unverständigem, aber beharrlichem Zurückschrecken vor der Ausgabe als solcher“. Während erstere Aussage sarkastisch gemeint ist, zielt letztere auf den schnöden Geiz ab, auf eine Eigenschaft also, die Keynes nicht nur moralisch verwirft, sondern auch volkswirtschaftlich als schädlich einstuft und scharf kritisiert.
Diese Kritik könnte als Vorlage für eine Auseinandersetzung mit der Sparpolitik der FDP dienen, für die dringend gebotene Absage an deren unsägliche Sparpläne im Staatshaushalt, an die Propaganda, worin Sparen und Konsumverzicht sowie die Aufrechterhaltung der „Schuldenbremse“ als ökonomisch vernünftig und als „Tugend“ erscheinen. Dabei darf man jedoch die Wirkungen der Inflation nicht außer Acht lassen. Die letzte, gegenwärtig gerade verebbende Inflationswelle hat den Deutschen einen Kaufkraftverlust von rund 20 Prozent beschert. Dies lässt sich statistisch mit dem Anstieg des nationalen Verbraucherpreisindex (VPI) auf 118,6 Prozent (März 2024) gegenüber 2020 (= 100) belegen. Legt man den europäischen Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) zugrunde, so beläuft sich der Anstieg sogar auf 128,0 Prozent (2015 = 100). Bei Nahrungsmitteln sind es 143,5 Prozent und bei Energie 150,5 Prozent.
Von dieser Entwicklung blieben die Ersparnisse nicht verschont. Ganz im Gegenteil: Deren Kaufkraft ist seit 2015 um mehr als ein Viertel und seit 2020 um rund ein Fünftel gesunken. Zieht man den Inflationsverlust von den nominalen Geldvermögen ab, so steht man als Sparer heute in etwa wieder da, wo man 2019 stand. Das heißt, der gesamte seit 2019 angesparte Zuwachs an Geldvermögen wurde durch die Inflation der Jahre 2021 bis 2023 real entwertet, also faktisch vernichtet. Absolut sind das 1435 beziehungsweise 2160 Milliarden Euro, die den Sparern durch die Inflation seit 2020 beziehungsweise seit 2015 in Deutschland an realer Kaufkraft verloren gegangen sind, sofern man als Bezugsgröße den Gesamtumfang des nominalen Bruttogeldvermögens der privaten Haushalte wählt. Das ist eine ungeheure Summe, die nicht so rasch durch vermehrtes Ansparen wieder „eingebracht“ werden kann.
Dieser Inflationsverlust aber ist zu berücksichtigen, wenn derzeit über zu viel oder zu wenig Ersparnis diskutiert wird. Um den „Wert“ der Spareinlagen, Fest- und Termingelder, Bargeldreserven und anderen Geldanlagen stabil zu halten, würde es einer Extra-Ersparnis in Höhe des Inflationsverlustes bedürfen. Davon ist bei den meisten Haushalten aber kaum auszugehen. Die enorme Ungleichverteilung und die krasse Differenzierung der Geldvermögen in Deutschland verschärfen das Problem zusätzlich: Während die einen mehr sparen müssten, dies aber nicht können, sollten andere besser ihr Geld ausgeben, es versteuern und weniger sparen. Gerade die Reichen aber sparen nicht weniger, sondern deutlich mehr und sorgen so auch weiterhin für eine relativ hohe Sparquote in Deutschland!
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