Abseits der politischen Hauptschlacht hat Polens Parlament jetzt über ein Gesetz abgestimmt, mit dem das Schlesische zur Regionalsprache aufgewertet werden soll. Für das Gesetzesvorhaben der Regierungskoalition stimmten im Sejm sogar zwei Abgeordnete der nationalkonservativen PiS. Unterschreibt nun Präsident Andrzej Duda die Novelle, wird es in Polen neben dem Kaschubischen eine weitere gesetzlich anerkannte Regionalsprache geben.
Zur Einordnung sei hinzugefügt, dass der Gesetzgeber in Polen neun nationale und vier ethnische Minderheiten anerkennt, die seit über 100 Jahren auf polnischem Gebiet siedeln und denen Minderheitenrechte zukommen: Armenier, Belorussen, Deutsche, Juden, Litauer, Russen, Slowaken, Tschechen und Ukrainer genießen als nationale Minderheiten, Karäer, Lemken, Roma und Tataren als ethnische Minderheiten entsprechende Schutzrechte, vor allem in Hinsicht auf die eigene Muttersprache. Die Rechte oder Möglichkeiten derjenigen, die sich anerkannter Regionalsprachen bedienen, liegen unterhalb der Schwelle, an der verbriefte Minderheitenrechte einsetzen. Anders gesagt: Die Anerkennung als Regionalsprache ist ein erster, keineswegs unbedeutender Schritt auf einer längeren Stufenleiter.
Laut der landesweiten statistischen Erhebung von 2021 haben knapp 470.000 Personen angegeben, zu Hause oder im Alltagsleben Schlesisch zu sprechen. Nimmt man die gesamte Region, in der Schlesisch überhaupt verbreitet ist, käme man auf eine Bevölkerungszahl von knapp 5 Millionen, was also bedeutet, dass dort immerhin fast 10 Prozent der Gesamtbevölkerung Schlesisch als persönlich wichtige Sprache im Alltag ansehen. Etwa 55.000 Personen geben sogar an, ausschließlich Schlesisch zu sprechen. Wenn jetzt von einer Regionalsprache gesprochen wird, dann betrifft es zunächst einmal diesen Personenkreis, also eine Zahl, die an die halbe Million heranreicht und zahlenmäßig alle nationalen – die deutsche mit etwa 150.000 einmal ausgenommen – und ethnischen Minderheiten deutlich in den Schatten stellt.
Unter Sprachwissenschaftlern gibt es indes sehr unterschiedliche Positionen. So ist Jolanta Tambor, die Direktorin des Instituts für polnische Sprache und Kultur an der Universität in Katowice, der Auffassung, dass die Bestimmung als Regionalsprache vor allem eine politisch-rechtliche Kategorie sei, um einer traditionellen Sprache, die auf einem bestimmten Gebiet stärker verbreitet ist, einen zusätzlichen Schutz zu gewähren – also Schulunterricht bis hinauf zum Ablegen des Abiturs in dieser Sprache, womöglich zweisprachige Orts- und Hinweisschilder (wie in kaschubischen Gegenden bereits üblicher), Theateraufführungen und so weiter. Jolanta Tambor sprach sich bei der Anhörung im Sejm eindeutig für die gesetzliche Anerkennung des Schlesischen als Regionalsprache aus.
Dagegen sieht der renommierte Sprachwissenschaftler Jan Miodek, Mitglied der Sprachkommission in der Polnischen Akademie der Wissenschaften, selbst im polnischen Schlesien geboren und aufgewachsen, kaum vernünftige Gründe, das Schlesische als eigene Sprache gegenüber dem Polnischen herauszukehren: „Der schlesische Dialekt ist durch und durch vom Polnischen durchdrungen, so dass es nicht notwendig ist, ihn zu kodifizieren. Die literarische Form des Schlesischen ist das Polnische. Fertig und aus.“ Für den Sprachkenner gib es keine grammatikalischen Eigenheiten, die nur auf das Schlesische zutreffen würden. Er warnt in Presse und Medien regelmäßig davor, bestimmte Besonderheiten des Schlesischen zu übertreiben, es sei ein Dialekt des Polnischen, aber auch nicht mehr. In der jetzigen politischen Debatte wurden vor allem seine Argumente herangezogen, um sich gegen das Gesetz über eine neue Regionalsprache auszusprechen. Nach Auffassung der Gegner wird mit der Aufwertung des Schlesischen zur Regionalsprache ein Einfallstor geöffnet, um schließlich eine schlesische ethnische Minderheit anerkennen zu müssen. Jarosław Kaczyński hält das Spiel mit dem Schlesischen übrigens seit langem für eine „verdeckte deutsche Option“.
Ende vergangenen Jahres wurde ein Rat für die schlesische Sprache ins Leben gerufen (Rada Ślōnskigo Jynzyka), dessen Vorsitzender Grzegorz Kulik sich als literarischer Übersetzer ins Schlesische bezeichnet. Seine beiden Stellvertreter sind die besagte Jolanta Tambor und Rafał Szyma, ein Schriftsteller aus der Region, der einen bekannten Blog in Schlesisch führt und dort zum Beispiel mit Nachdruck auf die erfolgreiche Kodifikation der sardischen Sprache verweist. Und die Reihe derjenigen, die sich nun entschieden einsetzen für die Durchsetzung einer verbindlichen Schriftsprache des Schlesischen, also eines genormten Alphabets mit eigenen diakritischen Zeichen, die es weder im polnischen noch im tschechischen Alphabet gibt, wird immer illustrer. Verwiesen wird gerne auf die vielen kleinen Fortschritte – auf Übersetzungen aus der Weltliteratur, auf Bibelübersetzungen, auf erste Buchveröffentlichungen polnischer Verlage von regionalen Autoren in Schlesisch, auf Polnisch-Schlesische Wörterbücher.
Ohne tiefer eindringen zu wollen in den derzeitigen Streit in Wissenschaft und Politik über dieses eigenwillige, gleichwohl faszinierende Sprachgebilde im kulturellen Grenzbereich gleich dreier Hochsprachen – des Polnischen, des Tschechischen und des Deutschen –, soll wenigstens noch verwiesen werden auf den bemerkenswerten Schatz, den tausende Lehnwörter aus dem Deutschen demjenigen bereiten, der die Ohren in Gliwice, Zabrze, Katowice oder Rybnik spitzzumachen versteht. Während im Polnischen nach Schnittlauch mit szczypiorek gerufen wird, sagt man im Schlesischen ganz einfach sznitloch. Und für den Fahrradtouristen, sollte ihm unterwegs einmal die Defekthexe zusetzen, wird es sowieso kinderleicht: die Lenkstange ist lynksztanga, die Bremse brymza und der Mantel mantel.
Schlagwörter: Jan Opal, Minderheiten, Polen, Regionalsprache, Schlesisch, Sprachengesetz