Wahlzeiten
Lesen Sie auch noch Wahlplakate? „Es wücht ein ja viel jebotn, ssur Sseit“, würde Tucholskys älterer, aber leicht besoffener Herr sagen, schließlich: „Man muss sich auf den laufenden halten.“ Sonst vor allem mit Zirkus- und Hüpfburgen-Werbung behängt, präsentieren sich die Laternenmasten derzeit überreichlich bestückt mit Werbesprüchen zu den Wahlen zum Europäischen Parlament (fälschlich immer als Europaparlament bezeichnet). Allerdings ist der Einfallsreichtum der etablierten Parteien oder ihrer Werbeagenturen so vielfältig nicht. Wenn Farben und Parteikürzel nicht variieren würden, an den Parolen wüsste man die Absender kaum zu unterscheiden: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand … Die Aussichten auf die Erfüllung solcher Versprechen, wenn sie denn als solche gemeint sind, scheinen derzeit allerdings getrübt. Aber wüssten Sie auf Anhieb, wer sich hinter dem Wahlspruch „Ein starkes Europa bedeutet ein sicheres Deutschland“ verbirgt? Ich hätte glatt auf die CDU getippt, aber der Slogan ziert das Großplakat der Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke. Kennen Sie nicht? Die Christdemokraten verorten sich im Unterschied dazu „In Freiheit, in Sicherheit, in Europa“ (auch einzeln zu haben, jedenfalls auf Plakaten) und fordern „Sicherheit braucht Ihre Stimme“. Auffällig einig sich Schwarze und Grüne auch, was den „Wohlstand“ betrifft, nur dass die einen den „Wohlstand erhalten“ und die anderen den „Wohlstand erneuern“ wollen. Wie immer das zu bewerkstelligen wäre. Ganz originell wähnt sich dagegen eine Kleinpartei, die uns alle auffordert „Sei kein A …“ (Nein, das Wort kommt mir nicht über die Blättchen-Tastatur, was immer da noch kleingedruckt in der Ecke steht.) Aber wählen Sie selbst! Um noch einmal Tucholsky zu zitieren: „Denn winsch ick Sie ooch ne vajniechte Wahl! Halten Sie die Fahne hoch!“
Achim Höger
Gordijewskis Doppelleben
Ben Macintyre hat bereits zahlreiche Spionageromane publiziert. Diesmal beschäftigt sich der britische Bestsellerautor mit dem meistgesuchten Doppelagenten der Welt, Oleg Gordijewski, der nach Macintyres Einschätzung maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen hat, indem er als KGB-Offizier für den britischen Geheimdienst spionierte.
Geboren in eine Familie von KGB-Agenten schlägt Gordijewski wie selbstverständlich ebenfalls diese Laufbahn ein und befindet sich zum Zeitpunkt des Baus der Berliner Mauer in Berlin. Dies und die Niederschlagung des Prager Frühlings sind für ihn prägende Erlebnisse, die zum weltanschaulichen Umdenken und zu einer brisanten Entscheidung führen.
Das Buch beschreibt jedoch nicht nur Leben und Versteckspiel Oleg Gordijewskis, sondern geht in diesem Zusammenhang auch grundlegenden Fragen nach: „Warum spioniert jemand? Warum die Sicherheit von Familie, Freunden und festem Job zugunsten der gefährlichen Dämmerwelt der Geheimnisse aufgeben? Warum tritt jemand dem Geheimdienst bei und ist dann plötzlich dem gegnerischen Dienst gegenüber genauso loyal?“ Der Autor nennt nicht nur verschiedene Motive, sondern nimmt die Leserschaft vor allem mit in die Gedankenwelt seines Helden, der immer wieder abwägen muss, wem er wieviel anvertrauen kann, wie es um die Sicherheit seiner Familie steht und ob es nicht doch angeraten wäre, aus diesem Doppelleben auszusteigen.
Anschaulich beschreibt Macintyre das Innenleben vieler Geheimdienste, das eben nicht nur von Spionage und Geheimhaltung geprägt ist, sondern auch von Intrigen, Speichelleckerei, Schwachstellen und Unzulänglichkeiten – sowie Frustration darüber, dass erlangte Informationen von den Entscheidungsträgern nicht beachtet und als handlungsrelevant angesehen werden. Gerade die sowjetische Führung habe einen Großteil ihrer eigenen Propaganda geglaubt und daher gravierende Fehlentscheidungen getroffen.
Vor diesem Hintergrund nimmt der Autor auf Ereignisse der Weltgeschichte ebenso Bezug wie auf deren geheimdienstliche Begleitung durch die Dienste von KGB, MI5 und CIA. Dies eröffnet den Lesern neue Blickwinkel auf bekannte Geschehnisse – darunter den Besuch Michail Gorbatschows bei Margaret Thatcher.
Viola Schubert-Lehnhardt
Ben Macintyre: Der Spion und der Verräter. Die spektakulärste Geheimdienstgeschichte des Kalten Krieges. Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger. Insel Verlag, Berlin 2024, 474 Seiten, 28 Euro.
Kraus’sche Boshaftigkeiten – Seelenschlieferl
Der Unterschied zwischen den Psychiatern und den anderen Geistesgestörten, das ist etwa das Verhältnis von konvexer und konkaver Narrheit.
Ein guter Psycholog ist imstande, dich ohneweiters in seine Lage zu versetzen.
Psychologen sind Durchschauer der Leere und Schwindler der Tiefe.
Wo man Fremdwörter vermeiden kann, soll man’s bekanntlich tun. Da hört man immer von „Psychoanalytikern“. Als ich einmal einen auch zu sehen bekam, fiel mir sofort die glückliche Verdeutschung „Seelenschlieferl“ ein.
Psychologie ist so müßig wie eine Gebrauchsanweisung für Gift.
Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich, nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul als mit S. Freud machen.
Ihm gebührt das Verdienst, in die Anarchie des Traums eine Verfassung eingeführt zu haben. Aber es geht darin zu, wie in Österreich.
Man kehrt nur dann vor fremder Bewußtseinsschwelle, wenn man’s zuhause schmutzig hat.
Mein Unbewußtes kennt sich im Bewußtsein eines Psychologen weit besser aus als dessen Bewußtsein in meinem Unbewußten.
Medizinischer Sinnspruch: Was den Vätern alte Hosen, sind den Söhnen die Neurosen.
Psychologie ist der Omnibus, der ein Luftschiff begleitet.
Die Zwangslage
Wie rächen sich die Zwerge
an den Riesen?
Sie machen sich über die Berge
oder Psychoanalysen.
Aus-Leser Jürgen Hauschke.
Die Orthographie des Originals wurde beibehalten, wird fortgesetzt.
Die Rosen kommen zum Schluss
Der Bandname RWPL ist ein Akronym, zusammengesetzt aus den Nachnamen der Gründungsmitglieder Phil Paul Rissetio, Christian „Chris“ Postl, Karlheinz „Kalle“ Wallner und Jürgen „Yogi“ Lang. Gegründet wurde die ursprüngliche Pink Floyd-Coverband bereits 1997.
Kurz nach der ersten Albumveröffentlichung „God has failed“ ging der Gruppe bereits das „P“ abhanden: Stephan Ebner ersetzte für einige Jahre Chris Postl. Im Laufe der Zeit gab es immer wieder personelle Wechsel, dem musikalischen Genre des Art Rock oder Progressive Rock blieb die Band aus Oberbayern aber treu.
Die neueste Veröffentlichung „True Live Crime“, das zwanzigste Album übrigens, ist der Mitschnitt eines Konzerts im niederländischen Zoetermeer im Oktober 2023.
Dieses Live-Album umfasst zum einen das komplette Studioalbum „Crime Scene“, bei dem die Band den Fokus auf das Morbide und Böse, die Abgründe des menschlichen Verhaltensspektrums legt. RWPL-Frontmann Yogi Lang erklärt dem Publikum in seinen Ansagen kurz die Inhalte der Stücke. Musikalisch verstärkt wird die Gruppe durch den Keyboarder Butsch Keys sowie die Sängerinnen Caroline von Brünken und Carmen Tannich.
Der zweite Teil des Konzertmitschnitts stellt eine Auswahl von Stücken aus verschiedenen Schaffensperioden dar, eine Art Querschnitt des langjährigen Schaffens.
Und das Beste kommt hier zum Schluss: Das Stück „Roses“ ist wirklich das unbestrittene Highlight des Albums. Ein wirklich bitterer Wermutstropfen für analoge Musikfans: Ausgerechnet dieses Lied ist nicht auf der Do-LP enthalten.
Die Bombastrocker von RWPL zeigen sich auf ihrem Jubiläums-Album sehr spielfreudig.
In den kommenden Monaten können sie auch live bewundert werden: Im September sind Konzerte in Polen eingeplant und Mitte Oktober treten sie in ihrer Heimatstadt Freising drei Tage hintereinander unter dem Motto „Rock trifft Klassik“ mit dem dortigen Symphonieorchester auf.
Thomas Rüger
RWPL: True Live Crime. DoCD/DoLP, Label: Gentle Art of Music/Soulfood, 2024, etwa 19 Euro.
Schlagwörter: Achim Höger, Ben Macintyre, Gordijewski, Jürgen Hauschke, Karl Kraus, Thomas Rüger, Viola Schubert-Lehnhardt