27. Jahrgang | Nummer 5 | 26. Februar 2024

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (XIV)

von Wolfram Adolphi

Lily Abegg und Emi Siao – die beiden in Teil XIII zitierten Stimmen zu Mao Zedong – sollen hier ein zweites Mal aufgerufen werden, nun jedoch mit Zeugnissen aus der Zeit nach 1949, als China zur Volksrepublik geworden war.

Lily Abegg (1901-1974), Schweizer Staatsbürgerin mit zweiter Heimat Japan, machte 1957 – 17 Jahre nach „Chinas Erneuerung“ von 1940 – mit einem weiteren Chinabuch von sich reden. Es hieß „Im neuen China“, erschien im Atlantis-Verlag Zürich und Freiburg i. Br., und im Vorwort gestand die Autorin, dass es „kein leichter Entschluß“ gewesen sei, „ein Land zu besuchen, dessen Regierungssystem man von vornherein ablehnt“, aber am Ende habe doch „die Überzeugung“ gesiegt, dass es „eigentlich die Pflicht langjähriger Ostasien-Korrespondenten“ sein müsse, „sich mit der imposanten Realität, die das neue China bedeutet, zu befassen“. Und so reiste sie also, und es gelang ihr ein Buch, das in Gründlichkeit und Ausgewogenheit der Chinadarstellung zum Besten gehört, was in dieser Zeit im westlichen deutschsprachigen Raum zu finden ist.

Platz war darin auch für etliche Mao-Passagen, von denen eine hier in Gänze zitiert sein soll: „Mao Tse-tung ist eine bedeutende Persönlichkeit und fühlt sich seiner führenden Rolle sehr sicher. Er hat immer zu jenen leitenden Männern gehört, die nicht alles an sich reißen, sondern die Gabe besitzen, Kompetenzen und Arbeitsbereiche an ihre Mitarbeiter abzugeben. Er versteht es, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden. Gerade deswegen, so scheint es, hat er seinen ruhigen Kopf und damit auch die Zügel in der Hand behalten. Mao ist der Typ eines besonnenen Bauern; er hat nichts von einem nervösen Geschaftlhuber an sich. Vor allem aber hat er stets ein konsequentes und rücksichtsloses Streben nach Macht besessen. Auf dem Weg zu seiner Führerstellung hat Mao Tse-tung mit seiner Bauernschlauheit nicht nur geschickt intrigiert, sondern auch zahlreiche Mitglieder seiner eigenen Partei umbringen lassen, wenn sie ihm im Wege standen. Er ist, nachdem er sich in jahrelangen Bemühungen gegenüber Rivalen und andersartigen Meinungen durchgesetzt hatte, seit 1935 der unumstrittene Chef der Kommunistischen Partei Chinas gewesen.“

Mit Emi Siao (1896-1983) – in China: Xiao San – konnten deutsche Leser am 8. Juni 1951 Bekanntschaft schließen: Das Zentralorgan der SED Neues Deutschland druckte auf Seite 3 in einer Übernahme aus „der internationalen [in der Sowjetunion erscheinenden – W.A.] Zeitschrift ‚Frieden‘“ sein Gedicht „An meinen Sohn“. Die [wohl aus dem Russischen hergeleitete] deutsche Fassung stammte von Henryk Keisch, und die Zeitung fügte zur Person des Autors hinzu: „Emi Siao ist Mitglied des Sekretariats des Weltfriedensrates“.

In dieser Funktion war er auch zu sehen im Neuen Deutschland am 3. Juli 1952 auf einem Foto des Präsidiums der Eröffnungssitzung des Weltfriedensrates in Berlin. Da saß er zwischen Isabelle Blume aus Belgien und Ricardo Lombardo aus Italien unter weiteren Persönlichkeiten wie dem Präsidenten des Rates, Frédéric Joliot-Curie, Ilja Ehrenburg, Alexander Fadejew, Pietro Nenni und Chinas Kulturminister Kuo Mo-jo [Guo Moruo]. Und am 6. Juli 1952 meldete die gleiche Zeitung ein Treffen der „bedeutendsten Vertreter der Literatur unserer Zeit […] mit hervorragenden deutschen Schriftstellern“, nennend neben Emi Siao uunter anderem Nazim Hikmet, Pablo Neruda, Jaroslaw Iwaszkiewicz, Georg Lukacz und „von deutscher Seite“ Anna Seghers, Stefan [sic] Hermlin, Willi Bredel, Alexander Abusch, Alfred Kantorowicz und Rudolf Leonhard.

Zwei Jahre später – am 5. September 1954 – annoncierte Neues Deutschland das Erscheinen des Emi-Siao-Buches „Kindheit und Jugend Mao Tse-tungs“ im Verlag Neues Leben: „Der Verfasser dieses von Alex Wedding ins Deutsche übertragenen Buches stammt aus demselben Dorf wie Mao Tse-tung und hat einen Teil seiner Jugend mit ihm gemeinsam verbracht. Aus der unmittelbaren Anschauung der Wirklichkeit hat er ein lebendiges Bild über die bewegten und entbehrungsreichen Jahre, in denen der große Revolutionär und Führer des chinesischen Volkes heranreifte, entworfen.“

Nicht vorstellbar war da, was 1967 geschehen sollte. Im Juni, mitten im Toben der von selbigem Mao angezettelten mörderischen „Kulturrevolution“, wurden Emi Siao und seine deutsche Frau Eva Siao, geborene Sandberg, die sich 1934 in der Sowjetunion begegnet waren und nach Heirat, gemeinsamem Leben in Yan’an, Scheidung und neuerlicher Heirat seit 1949 wieder vereint in China lebten, getrennt voneinander verhaftet und bis Oktober 1974 gefangen gehalten. Nach weiteren fünf Jahren Hausarrest erlebten sie 1979, als die von Deng Xiaoping, Hu Yaobang und anderen geführte tiefgreifenden Umgestaltung Chinas begann, ihre vollständige Rehabilitation.

In deutsche Köpfe kam Bericht darüber erst 1990, als Eva Siao (1911-2001) ihre Erinnerungen „China. Mein Traum, mein Leben“ im Gustav Lübbe Verlag veröffentlichte. „Emis und mein Einsatz für China“, schrieb sie da über die Zeit ihres Eingesperrtseins, „galt nun als Spionage. […] Meine Fotos und Filme, meine Reisen nach Tibet, ins Landesinnere, in die DDR und die Sowjetunion machten mich verdächtig. […] Dabei sprach aus jedem meiner Filme, Fotos, Bildbände, Aufsätze, aus allen meinen Briefen meine Liebe zu China“. – Von Emi Siao findet sich in einer von Helga und Erhard Scherner besorgten Nachdichtung aus dem Chinesischen das 1971 entstandene Gedicht „Im Gefängnis singe ich meine Sehnsucht“: „Als Mann und Frau im selben Netz gefangen, / gilt gleiche Not, das gleiche Leid. / Im selben Kerker sind wir eingesperrt, / uns nahe wie die Enden dieser Welt. / Letztlich vereint, ob Morgen oder Nacht, / doch man verwehrt, daß wir uns sehn. / Mir brennen Herz und Eingeweide – / ihr laufen Tränen übers Angesicht. / Die Erde – eine große Sehnsucht, / grotesk ist, denk’ ich, diese Menschenwelt. / Wie werden Mann und Frau sich nochmals sehn, / wenn meines Lebens Tage ganz zu Ende gehn?“

(Wird fortgesetzt.)

 

Die Schreibweisen des jeweiligen Originals wurden beibehalten.