27. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Februar 2024

Wie die AfD die Demokratie zerstören will

von Stephan Wohanka

Zwei strategische Felder zeichnen sich dabei ab – das Meinungsklima zu verändern und die Delegitimierung der Institutionen.

 

Erstens
Wie schon im Blättchen zu lesen war, fand Ende November 2023 ein Treffen von Rechtsextremisten mit Vertretern der AfD statt. Dort debattierte man über einen „Masterplan“ zur praktischen Umsetzung der so genannten „Remigration“ von Millionen migrantischer Menschen aus Deutschland. Immerhin könnte das etwa 23,8 Millionen Menschen oder knappe 29 Prozent der Bevölkerung betreffen. Vorgetragen hat das Papier Martin Sellner; lange Jahre Kopf der Identitären Bewegung in Österreich; auch als Aktivist der Neuen Rechten hierzulande bekannt. Hintergrund ist die Angst, globale Eliten wollten die Bevölkerung Deutschlands planvoll durch Ausländer ersetzten; Stichwort „Umvolkung“. Davon kann keine Rede sein; wenig, sehr wenig läuft bisher in der Migration nach Plan, weder deren Steuerung nach innen, noch die Ausweisungen nach außen.

Die „Ausländerfrage“ ist jedoch die Klammer, die den von Fliehkräften bedrohten Zusammenhalt der AfD sichert; ist die Partei doch in grundsätzlichen Punkten unterschiedlicher Meinung – die einen, vor allem im Osten, übernehmen eins zu eins die russische Propaganda, was für die anderen an Verrat grenzt: „Die Unterstützung Russlands kann man 85% der Westdeutschen nicht erklären“. Eine ähnlich gespaltene Haltung läßt sich zum Nahostkrieg und zu Israel respektive zum Antisemitismus ausmachen; auch der Euro und die EU polarisieren. Desgleichen Björn Höcke, dessen völkische und geschichtsrevisionistische Weltsicht nicht allen AfD-Mitgliedern passt.

Sellner lies sich auch zur Strategie ein, wie die AfD an die Macht kommen könne: Dazu müsse „metapolitische, vorpolitische Macht“ aufgebaut werden, um „das Meinungsklima zu ändern“. Sellner nimmt damit die Methode auf, die Götz Kubitschek, das Mastermind der AfD, schon vor Jahren vorgab; er nannte sie „Ein Prozent für unser Land“. Diese Initiative, 2016 gemeinsam mit dem Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer und anderen gegründet, verfolgt die Idee: Ein Prozent der Deutschen genüge, um die Stimmung im Land nachhaltig zu verändern.

Dahinter verbirgt sich das Konzept der „Besetzung von Feldern im vorpolitischen Raum“, um „Informationen und Lebensgefühl durch ein ganzes Kapillarsystem sickern zu lassen“. Nur „eine Subkultur garantiert längerfristig die Durchsetzung eigener Zielvorstellungen“. Die Pointe: Das Konzept ist den Schriften des italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891-1937) entlehnt. Auch dieser ging davon aus, dass eine politische Wende – bei ihm natürlich hin zu einem politischen Sieg der Linken im damaligen Italien –, die sich in Wahlerfolgen niederschlägt, das langwierige Beeinflussen des vorpolitischen Raums voraussetzt. Nochmals der gelehrige Sellner: „Alle Metapolitik ist ganz wesentlich eine Arbeit mit Begriffen und Bildern. Ihr Ziel ist es, die kulturelle Hegemonie, welche die Grundüberzeugungen und Grundbestimmungen in der Gesellschaft formt, zu beeinflussen. Das bedeutet vor allem, neue Begriffe und Bilder zu injizieren“.

Damit zielt man erst einmal grundsätzlich auf Institutionen der Zivilgesellschaft (Vereine, Verbände), auch auf Universitäten, namentlich jedoch auf die in den (sozialen) Medien ausgetragenen Grundsatzdebatten und – immer wichtiger – auf die vermeintlich unpolitische Pop-Kultur. Alles mit dem Ziel, andere Meinung zurückzudrängen und zu marginalisieren und eine rechtsextremistische Gegenöffentlichkeit zu schaffen und zu stärken. In der AfD gibt es folglich Überlegungen, eine Agentur für rechte Influencer aufbauen, mit dem Ziel, Einfluss auf die nächsten Wahlen zu nehmen. Man zielt vor allem auf junge Menschen: „Die Generation, die das Blatt wenden muss, steht da“. Plattformen wie TikTok oder YouTube sollen mit den Inhalten bespielt werden, die als „normale“ politische Themen wahrgenommen werden sollen. Für die Älteren, die über 60jährigen, brauche es dagegen weiterhin die klassische Radio- und Fernsehwerbung. Offenbar plant die AfD auch, die öffentlich-rechtliche Medien zu bekämpfen. Eine Musterklage gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei in Planung; desgleichen eine Kampagne, die zeige, wie luxuriös die Sender ausgestattet seien.

Nach den Wahlerfolgen der AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen 2019 schrieb Kubitschek: „Ja, es ist tatsächlich fast alles vorhanden für eine politische Wende in Deutschland: Wähler, Unmut, Konturen eines Programms, Mandatsträger auf allen Ebenen, eine ins Tausend gehende Mitarbeiterschaft, ein sich ausdifferenzierendes Vorfeld, Theorie, Bücher und Zeitschriften, Initiativen, Stiftungen, Begriffe, vorzeigbare Gesichter. Wenn der nächste gewaltige kalte Realitätsschock in die Deutschen fährt, wird es für den Unmut ein sehr viel besser und breiter angelegtes Auffangbecken geben als noch vor vier oder fünf Jahren. […] Geduld also, Geduld, Geduld und nochmals Geduld“. Könnte heute geschrieben sein. Viele in der AfD meinen jetzt aber, sich nicht mehr gedulden zu wollen …

 

Zweitens
Hier sollen nicht zum wiederholten Male konkrete Personen angeklagt werden ob ihrer Destruktion des demokratischen Prozesses, sondern gezeigt werden, wie und wo die Zerstörer ansetzen.

Demokratie legitimiert sich durch Verfahren, was besagt, dass die Machtausübung des Staates nur dann als gerechtfertigt und fair angesehen wird, wenn sie auf demokratischen Vorgängen beruht, wie zum Beispiel auf gleichen und freien Wahlen oder Abstimmungen der Bürger. Wechselnde Mehrheiten und damit die Ablösung der einen Partei durch eine andere an der Regierung ist die Regel. Die funktionale Leistung von Verfahren besteht auch darin, demokratische Wege zu Entscheidungen vorzuzeichnen, ohne die Entscheidung selbst vorwegzunehmen. In der modernen Gesellschaft stößt so das Vertrauen zu Personen an Grenzen; das politische „System“ in seiner Gesamtheit muss vertrauenswürdig sein.

Handlungen, Verhältnisse oder Machtbeziehungen, die gerechtfertigt sind oder sich rechtfertigen lassen, sind legitim. Legitimität ist zu unterscheiden von Legalität. Ist etwas legal, entspricht es dem Gesetz. Legitim meint darüber hinaus, dass es auch ethischen oder moralischen Anforderungen standhält. Unter demokratischen Bedingungen fallen Legalität und Legitimität grundsätzlich, aber nicht immer, zusammen, während sie in diktatorischen Gesellschaften auseinanderdriften.

So liegt es nahe, dass Feinde der Demokratie deren Schwächung dadurch erreichen wollen, dass sie das „System“ insgesamt angreifen; politische Parteien als werden als „Systemparteien“, unabhängige Medien als „Systemmedien“ denunziert. Des Weiteren werden demokratische Wahlen angezweifelt. Dabei wird sowohl deren Legalität als auch die Legitimität angegriffen respektive angezweifelt; erstere durch Klagen vor ordentlichen Gerichten, letztere durch moralische Verdikte: Die Wahl sei gestohlen worden. Nun ist es hierzulande noch zu keinen derartigen Vorfällen gekommen; offenbar gibt es aber bei der AfD mehr als nur Gedankenspiele, vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben zu entwerfen, das die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zöge: Je mehr dann mitmachten, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit.

Ein weiteres Mittel der Zersetzung der Demokratie und namentlich des Rechtsstaates besteht darin, Institutionen wie Verfassungsschutzorganen die Legitimität abzusprechen und das Bundesverfassungsgericht zu diskreditieren; wieder das Spiel mit Angriffen sowohl auf das Legitime als auch Legale. 2018 brachte die AfD einen bemerkenswerten Gesetzgebungsvorschlag ein: Das Bundesverfassungsgericht möge verpflichtet werden, jede Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde zu begründen. Dies hätte zweierlei Wirkungen: Dem chronisch überlasteten Gericht würde so noch mehr Arbeit aufgebürdet und es in seiner Arbeitsfähigkeit geschwächt. Und symbolisch belegt der verbindliche Begründungszwang es so mit Misstrauen; das institutionelle Vertrauen in das Verfahren, das für die Wirkkraft des Gerichts unerlässlich ist, wäre in Zweifel gezogen. Eine scheinbar rechtsstaatliche Forderung, die auf eine Schwächung des demokratischen Rechtsstaats hinausläuft.

Erst erschien es als Dummheit, das Wort „Remigration“ zum Unwort des Jahres zu küren. Damit hatte es die rechtsradikalen Kreise verlassen und war in in der „Mitte“ der Gesellschaft angekommen; Sellners Mission schien erfüllt. Nun aber zeigen die Massendemonstrationen ebendieser zivilgesellschaftlichen Mitte, dass diese geradezu allergisch auf dieses Wort reagierte und befand: Genug ist genug. Nie wieder.